Quelle: Karsten Schöne
Magazin MitbestimmungWirtschaftspolitik: Nicht nur Rüben und Reben
In Rheinland-Pfalz suchen die Gewerkschaften den Schulterschluss mit der Politik, um Wirtschaft und Gesellschaft zu stabilisieren. Doch der Weg von der Staatskanzlei in die Betriebe ist steinig. Von Kay Meiners
Dafür, dass die neue Transformationsagentur Rheinland-Pfalz die „zentrale Anlaufstelle“ für Beschäftigte, Betriebe und Bürger sein soll, ist das Personaltableau bescheiden: Für Betriebe, Beschäftigte und Selbstständige ist von sechs Personen im „Kernteam“, die auf der Website aufgeführt sind, nur eine zuständig. Die anderen vertreten die Agentur auf Veranstaltungen oder betreuen das Social-Media-Angebot. Die 2020 gegründete staatliche Agentur ist ein Kind der rheinlandpfälzischen Ampelkoalition, das unter anderem auf Druck der Gewerkschaften entstanden ist: „Mit der Transformationsagentur, der Innovationsagentur und der Energie- und Klimaagentur wurden in den vergangenen Jahren einige Agenturen aus der Taufe gehoben”, sagt Susanne Wingertszahn, Vorsitzende des DGB Rheinland-Pfalz/Saarland. Die Transformationsagentur sei am weitesten entwickelt, wenngleich sie selbst ein Instrument sei, dass noch wachsen und sich entwickeln müsse. Die DGB-Vorsitzende sagt, die Agentur sei bereits dabei, ihre unterstützende Wirkung zu entfalten. „Gewerkschaften und Betriebsräte haben schon auf das Angebot zurückgegriffen, etwa im Nahetal, wo es eine Reihe von Industriestandorten gibt”, sagt Wingertszahn. Nur jedes dritte Unternehmen ist in Rheinland-Pfalz noch tarifgebunden, beim Thema Mitbestimmung sind die Zahlen noch niedriger.
Industrie neben Weinbergen
„Oft hat Rheinland-Pfalz den Ruf, hier gäbe es nur Reben und Rüben, und den Tourismus. Aber das stimmt so nicht. Wir sind ein wichtiger Industriestandort“, sagt Wingertszahn. Es sind überwiegend kleine und mittlere Unternehmen, die hier zu Hause sind – Firmen, deren Anstrengungen, mit Markt und Politik mitzuhalten, zuletzt durch eine Kette krisenhafter Ereignisse wie gestiegene Energiepreise und Störungen der globalen Lieferketten erneut ausgebremst wurden. Sie sollen jetzt die Zukunft meistern: den Umstieg auf regenerative Energien, die Digitalisierung, den demografischen Wandel und die globale Klimakrise. Alexander Schweitzer, der Arbeitsminister, der sich auch „Transformationsminister“ nennt, beschreibt ihre Lage so: „Es gibt Unternehmen, die durch die Gleichzeitigkeit der Herausforderungen überfordert sind, obwohl sie eigentlich stark sind.“ Ihnen will er helfen, unter anderem durch ein Weiterbildungsbudget aus der Landeskasse. Unterdessen schwächelt die Wirtschaft unter den Belastungen. Während die deutsche Wirtschaft im vergangenen Jahr insgesamt noch um 1,8 Prozent wachsen konnte, schrumpfte sie in Rheinland-Pfalz um 0,2 Prozent.
Gleichzeitig hat sich der Veränderungsdruck vervielfacht, gerade in der Industrie, von der – wie Wingertszahn sagt – „60 Prozent zu energieintensiven Branchen gehören.“ Alte Geschäftsmodelle werden bald nicht mehr funktionieren. Dass die Beschäftigung im Land zuletzt gestiegen ist, ist nur auf den ersten Blick eine gute Nachricht. Tatsächlich kündigen die Zahlen einen drohenden Engpass am Arbeitsmarkt an: Wenn die geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestand gehen, wird der Nachwuchs nicht ausreichen, um die Lücken zu füllen. Schon jetzt lässt sich beobachten, wie in einigen Betrieben der Anteil Ungelernter steigt.
Zu den Dienstleistungen der Transformationsagentur gehört eine Förderdatenbank – daneben gibt es in den Regionen weitere Infrastruktur zur Beratung – und eine Reihe weiterer Kooperationspartner – Hochschulen, Handwerkskammern, und regionale Netzwerke. Daneben vermittelt die Agentur, Kontakte zu “Transformationsbegleitern” – das sind Unternehmensberater, die dann bis zum einzelnen Beschäftigten die Zukunftspläne und Qualifikationsprofile durchgehen, inklusive einem Fragebogen zur Erwerbsbiografie, Stärken-Schwächen-Analyse und der unvermeidlichen Frage: „Wo wollen Sie in zehn Jahren sein?“
Zwischen Politik und Praxis
Die Agentur ist nur ein Baustein in einem ganzen Räderwerk, das der Wirtschaft auf die Sprünge helfen soll. Ganz oben, an der Spitze, steht ein Gremium, das ebenfalls im Jahr 2020 durch die SPD-Ministerpräsidentin Malu Dreyer gegründet wurde und in dem Vertreter der Landesregierung, der Gewerkschaften IG Metall und IGBCE sowie des DGB, der Landesvereinigung der Unternehmerverbände Rheinland-Pfalz (LVU), der Handwerkskammern, der Industrie- und Handelskammern sowie der Bundesagentur für Arbeit und der gewerkschaftlichen Technikberatungsstelle (TBS) zusammenkommen – der Transformationsrat.
Hier treffen sich unter Dreyers Vorsitz alle, die Gewicht im Land haben. „Es waren die Gewerkschaften, die Druck bei der Landesregierung machten, Industriepolitik in den Fokus zu nehmen und ein solches Gremium einzurichten“, sagt Wingertszahn. Sie gehört selbst dem Kreis an, der sich drei- bis viermal jährlich in der Staatskanzlei mit Malu Dreyer und den zuständigen Ministern und Ministerinnen trifft. Sie sagt: „Wir sind ein Beratungsgremium und können landespolitische
Maßnahmen anschieben. Beschlüsse fassen muss die Regierung.“ Das Wichtigste sei, „ein gemeinsames Problembewusstsein zu schaffen und Handlungsoptionen zu formulieren“, sagt die DGB-Landeschefin.
„Es ist wichtig, dass wir als Gewerkschaften viel erklären – das gilt auf der einen Seite für dieses Gremium, aber auch auf der anderen Seite in Richtung der Beschäftigten. Es ist unsere Aufgabe, deutlich zu machen, was in diesen Gremien wirklich passiert“, sagt Wingertszahn. Dementsprechend geht es zu einem großen Teil um Kommunikation und Aufklärungsarbeit. Das ist nötig, um die großen Linien der Transformation in ein gemeinsames Zielbild zu gießen: Maßnahmen für Beschäftigung, Qualifizierung und Weiterbildung, eine bessere berufliche Bildung, die Forschungs- und Investitionsförderung, das Vorantreiben der Erneuerbaren Energien und einer Wasserstoffstrategie – insgesamt eine Stabilisierung der industriellen Basis zu erreichen.
Die Agentur ist von der Basis, wo geschafft wird, zu weit weg. Und sie hat zu wenig Personal.“
Beim größten Arbeitgeber der Region
Simone Krämer ist Betriebsratsvorsitzende beim japanischen Autozulieferer Musashi in Bad Sobernheim, dem größten Arbeitgeber der Stadt. Hier, im Nahetal, wo Musashi Motor- und Getriebeteile fertigt, soll man sich die Probleme und Fortschritte der Transformation aus erster Hand ansehen können. Krämer lächelt etwas verlegen, als sie nach der Transformationsagentur gefragt wird. „Die Zusammenarbeit klappt nicht so gut“, erklärt sie. Ihre Kritik: „Die Agentur ist von der Basis, wo geschafft wird, zu weit weg. Und sie hat zu wenig Personal.“
Krämer hat zusammen mit dem KBR-Vorsitzenden Jürgen Gebhard und der Belegschaft der vier deutschen Standorte sowie mit der IG Metall und der TBS einen heftigen Tarifkonflikt ausgefochten, der viel Aufmerksamkeit erregt hat. Dass der Konflikt glücklich ausging, hat mit dem Organisationsgrad zu tun, für den alle Aktiven hart gearbeitet haben. Er liegt fast auf Volkswagen-Niveau. Es gibt einen Transformations-, Zukunfts- und Sozialtarifvertrag, der Mindestpersonalbemessungen für alle Standorte bis 2030 festschreibt. „Dass der Arbeitgeber volle Auftragsbücher hatte, hat uns in die Karten gespielt“, sagt Gebhard: „Wenn wir gestreikt haben, hat das richtig wehgetan. Das Ziel war, eine Tarifkommission und einen Tarifvertrag für alle Standorte zu bekommen.“ Es wird keine betriebsbedingten Kündigungen für IG Metall-Mitglieder bis 2026 an den deutschen Standorten geben: in Lüchow und Hann. Münden in Niedersachsen, in Leinefelde in Thüringen und im Nahetal mit drei Werken in Bockenau, Bad Sobernheim und Grolsheim, die einen gemeinsamen Betriebsrat haben. Zudem reden die Beschäftigten bei allen Themen rund um die Transformation – den Abschied vom fossil betriebenen Auto – mit.
Aus Gewerkschaftssicht ist Musashi ein Vorzeigeunternehmen. Zudem sind die meisten Betriebe wesentlich kleiner als die deutsche Sektion des Weltkonzerns Musashi. Dort haben die Beschäftigten meist viel weniger Verhandlungsmacht. „Die Transformationsagentur kam zu dem Zeitpunkt ins Spiel, als wir unsere Steuerungs- und Lenkungskreise gebildet haben“, berichtet Krämer. „Hier arbeiten wir mit denen zusammen. Der Betriebsrat hat gemeinsam mit der Geschäftsführung Listen über mögliche förderbare Projekte erstellt und diese bei der Agentur angefragt.“ Doch die Vorschriften, sagt Krämer, seien noch immer ein „undurchsichtiger Dschungel“.
Gefragt, was mit der Agentur besser laufen könnte, wünschen sich Krämer und Gebhard eine Förderung, die näher am Betrieb ist: „Wenn wir eine Idee haben wie etwa Solarpanels über unseren Parkplätzen, brauchen wir eine unbürokratische Beratung zur Umsetzung dieser konkreten Idee.“ Für die Transformation hin zu einer CO2-neutralen, diversifizierten Produktion haben Krämer und Gebhard selbst jede Menge Ideen, machen sich Gedanken, wie eine CO2-neutrale Produktionslinie aussehen kann. Kauft man normalen Stahl und Ausgleichszertifikate? Oder gibt es dann grünen Stahl, der mit fossilfreiem Strom und Wasserstoff gewonnen wird? Sie haben schon eine Konzernbetriebsvereinbarung für Job-Bikes entworfen, weil noch fast alle mit dem Auto zur Arbeit kommen, und machen sich Gedanken, wo man Solarpanels anbringen könnte.
Produktinnovationen sind gefragt
Am Beispiel von Musashi wird auch deutlich, dass es einen Erfolgsfaktor für das Überleben gibt, den weder die Staatskanzlei noch die Betriebsräte direkt beeinflussen können: Produktinnovationen. „Zwei unserer Geschäftsführer sind noch sehr jung und voller Ideen“, schildert die Betriebsrätin. „Sie gucken, dass sie andere Märkte außerhalb der Verbrenner für uns erreichbar machen. Für Hann. Münden haben wir einen Auftrag für E-Bikes, für die wir Teile schmieden. Wir brauchen aber auch Stückzahlen, denn wir sind auf Masse ausgelegt. Kleinserien lohnen sich für uns eher weniger.“ Doch wenn alle Anstrengungen nicht reichen, um die Auftragslage zu stabilisieren, wird das Arbeitsplätze kosten. Daher hat der Betriebsrat nicht nur einen Zukunfts-, sondern auch einen Sozialtarifvertrag ausgehandelt. Der gilt ab 2026. „Es war gar nicht einfach, zu den Kolleginnen und Kollegen zu gehen und für einen Sozialtarifvertrag zu werben, wenn die Auftragsbücher voll sind“, sagt Gebhard. „Die fragen: ‚Was ist denn mit euch los?‘“ Doch Krämer und Gebhard haben gute Argumente – der Kampf um Jobs mit Sicherheitsleine: „Was ohne Musashi an Kaufkraft, Jobs und Zusammenhalt wegfiele, ist nicht ersetzbar.“ Abhängig sind die Zulieferer und ihre Beschäftigten immer von den Technologieentscheidungen der großen Konzerne und von den Rahmensetzungen der Politik. Da tut es gut, auf die eigene Gestaltungskraft zu vertrauen. „Stillstand bedeutet Tod“, sagt Simone Krämer; „und den können wir uns nicht leisten.“
Weitere Informationen:
Der Kampf um Musashi, (Broschüre zum Download), IG Metall Bezirk Mitte, September 2022.