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Landschaftsbild Lausitz mit Kraftwerkstürmen Magazin Mitbestimmung

Strukturwandel: Mit Krisenerfahrung und Energiekompetenz

Ausgabe 06/2024

Mit dem Aus für die Braunkohle steht die Lausitz zum zweiten Mal nach 1990 vor einem riesigen wirtschaftlichen Umbruch. Eine Region zwischen Zukunftsoptimismus und Zweifeln. Von Fabienne Melzer

Was für ein Mittwoch. Reni Richter, Bezirksleiterin der IGBCE in Cottbus, sucht auch am Tag nach dem Ampel-Aus noch nach Worten. „Wie hieß das? Schwarzer Freitag? Das war unser Schwarzer Mittwoch“, sagt Richter. Nachdem am Morgen Donald Trump zum nächsten Präsidenten der USA gewählt wurde, am Nachmittag in Sachsen die Koalitionsverhandlungen platzten, brach am Abend die Regierung in Berlin auseinander. Schlimmer hätte es für ihre Region nicht kommen können. Die Lausitz befindet sich mitten im Umbruch. Bis 2038 gehen hier alle Braunkohlekraftwerke vom Netz. „Wir brauchen jetzt klare Entscheidungen“, sagt Reni Richter.

Die gibt es für Kraftwerkstandorte in der Region noch nicht, und auch beim Wasserstoffausbau geht es nicht recht voran. Das, fürchtet Richter, werde sich angesichts der politischen Lage auf Landes- und Bundesebene nun nicht beschleunigen. Die Gewerkschafterin sieht Politik durchaus pragmatisch: „Ich muss mit jedem Demokraten zusammenarbeiten, egal, wer regiert.“ Wobei sie keinen Hehl daraus macht, dass sie gerne weiter mit den beiden bisherigen Ministerpräsidenten in Sachsen und Brandenburg arbeiten möchte. „Wir hatten in ihnen politische Verbündete, die sich für den Strukturwandel stark gemacht haben und für die Tarifbindung und Mitbestimmung keine Fremdwörter sind“, sagt Richter.

Selbst die Weltpolitik könne bis in die Lausitz durchschlagen. Wenn Trump China mit 60 Prozent Einfuhrzöllen belegt, werde das Land möglicherweise Unternehmen in der Lausitz den Markt streitig machen. Reni Richter fällt auch sofort ein Beispiel ein: „Die Glasmanufaktur GMB in Tschernitz. Sie produziert Glas für Solarpaneele und leidet bereits jetzt unter der billigeren chinesischen Konkurrenz.“

  • Reni Richter, Bezirksleiterin der IGBCE in Cottbus, vor dem Kraftwerk Jänschwalde.
    Reni Richter, Bezirksleiterin der IGBCE in Cottbus, vor dem Kraftwerk Jänschwalde. Es geht bereits 2028 vom Netz.

Wir brauchen klare Entscheidungen.“

RENI RICHTER, Bezirksleiterin der IGBCE in Cottbus

Dabei ist Reni Richter keine Schwarzmalerin. Sie sieht auch die Potenziale der Lausitz. „Wir haben Energiekompetenz.“ Was energieintensiv produziert, zog in die Lausitz oder in die Nähe: das Stahlwerk in Eisenhüttenstadt, die Halbleiterfabriken um Dresden oder die Papierfabriken in Spremberg. Die Region ist krisenerfahren oder, wie es Jürgen Fuchs, Vorsitzender der Geschäftsführung von BASF Schwarzheide, auf einer Veranstaltung des Lausitzforums ausdrückte: „Transformation ist Teil unserer DNA.“ Zwar machen auch dem BASF-Standort Schwarzheide die hohen Energiepreise und die Krise der Autoindustrie zu schaffen, Fuchs ist dennoch optimistisch: „Wir haben erneuerbare Energien, wir haben Flächen, und wir haben eine leistungsfähige Belegschaft.“

Anders als nach der Wende kann die Region den Schritt zu einer nachhaltigen Industrieregion mit einigen Kohlemilliarden gestalten. Das macht auch für Reni Richter den großen Unterschied: „Was nach 1990 hier geschah, war kein Wandel, das war ein Abbruch.“ Diese Erfahrung sitze noch immer tief in den Menschen. Der bloße Gedanke, dass der eigene Arbeitsplatz nicht mehr sicher sein könnte, löse selbst bei Jüngeren große Ängste aus. Gerade deshalb sei der Kohlekompromiss so wichtig gewesen. „Anders als nach der Wende ist es gelungen, den Wandel demokratisch zu gestalten“, sagt Richter. „Es ist das Versprechen, dass niemand ins Bergfreie fällt.“ Dieses Versprechen müsse nun gehalten werden.

Einiges hat sich auch schon getan. In der Rekordgeschwindigkeit von eineinhalb Jahren entstand in Cottbus die Halle 1 des neuen Bahnwerks, Halle 2 soll 2026 fertig werden. Insgesamt will die Bahn hier 1200 Menschen beschäftigen und das größte Instandhaltungswerk für die gewachsene ICE-Flotte betreiben. Mit der Uniklinik kommt eine Medizinische Universität nach Cottbus, wo an der Digitalisierung und Modernisierung des Gesundheitssystems für ganz Deutschland geforscht wird. In Boxberg soll an Karbon geforscht werden, und mit dem Deutschen Zentrum für Astrophysik (DZA) kommt die Weltraumforschung nach Görlitz und Bautzen. Rund
1000 Arbeitsplätze sollen hier in der Folge entstehen.

Bevor die Kohle geht, muss Neues entstehen, lautet das Ziel des Projekts Revierwende. Der DGB hat es ins Leben gerufen hat, um die Gewerkschaften und Beschäftigten in den Kohlerevieren beim Strukturwandel zu unterstützen. Marko Schmidt ist Teamleiter beim Projekt Revierwende in Cottbus. Die Ansiedlung von Forschung hält er für enorm wichtig. „Viele Betriebe in der Lausitz sind qualifizierte verlängerte Werkbänke“, sagt Schmidt. „Das muss sich ändern durch Forschung und Entwicklung gemeinsam mit der Industrie in der Region.“ Doch fast überall gibt es Kritik, dass die Kohlemilliarden nicht nur in den betroffenen Kommunen ausgegeben werden. Gerade an den Kraftwerkstandorten fragen sich viele, was ihnen das bringt.

In Jänschwalde stellt das Kraftwerk bereits Ende 2028 den Betrieb ein. Eine Alternative sei bislang nicht in Sicht. „Wenn wir da nichts anbieten können, kippt die Stimmung“, fürchtet Reni Richter. Dann könnte die Zuversicht, die der Kohlekompromiss den Menschen in der Region gebracht hat, in Frust umschlagen. Der bliebe, so Richter, auch politisch nicht ohne Folgen. Vor allem die Beschäftigten im Tagebau und in den Kraftwerken wünschen sich Ersatzarbeitsplätze dort, wo ihre bisherigen wegfallen.

  • Martin Schautschick und André Kleinfeld, Betriebsräte beim Energieversorger Leag, im Kraftwerk Boxberg auf dem Turm am Schweren Berg am Rande von Weißwasser
    Martin Schautschick und André Kleinfeld, Betriebsräte beim Energieversorger Leag, im Kraftwerk Boxberg.

Wir können die grüne Energiewende forcieren, wir brauchen aber auch einen Ersatz für die Grundlast, der physikalisch machbar und bezahlbar ist.“

MARTIN SCHAUTSCHIK, Betriebsratsvorsitzender beim Energieversorger Leag

Zwei, denen die Zuversicht langsam schwindet, sind Martin Schautschick und André Kleinfeld, Betriebsratsvorsitzender und Stellvertreter beim Energieversorger Leag. Sie haben bereits erlebt, wie Zusagen nicht gehalten wurden: Im ehemaligen Tagebaugebiet bei Weißwasser sollte ein Bundeswehrbataillon stationiert werden. 800 zivile Arbeitsplätze hätte es der Stadt gebracht. „Wir hatten die feste Zusage der Verteidigungsministerin“, sagt André Kleinfeld. „Jetzt kommt es nach Straßgräbchen, einem kleinen Ort bei Kamenz.“

Es gab Ideen, was die Kohlekraftwerke in der Lausitz einmal ersetzen soll, von Gas- über H2-ready-Kraftwerke bis zur Müllverbrennungsanlage. „Was es nun konkret werden soll, wissen wir immer noch nicht“, sagt Kleinfeld. Das Kraftwerk Boxberg wird als Letztes vom Netz gehen. Bis 2038 bleiben noch ein paar Jahre. Zehn Jahre Vorlauf brauche es aber schon, um etwas Neues aufzubauen, sagen die Betriebsräte.

Vom Turm am Schweren Berg am Rande von Weißwasser erstreckt sich der Blick über den Tagebau. Am Himmel ziehen graue Wolken übers Land, in der Ferne qualmt das Kraftwerk in Boxberg aus allen Schornsteinen. „Heute fahren wir Volllast“, sagt Schautschick. „Die Schwankungen im Stromnetz haben so zugenommen, dass wir das Kraftwerk an manchen Tagen fünfmal rauf- und runterfahren müssen.“ Die Betriebsräte sind sich einig: Wind- und Sonnenenergie müssen ausgebaut werden. Martin Schautschick hat zu Hause selbst Sonnenkollektoren auf dem Dach, doch an Tagen wie diesem trüben Donnerstag im November produzieren sie keinen Strom. „Wir können die grüne Energiewende forcieren“, sagt Schautschick, „wir brauchen aber auch einen Ersatz für die Grundlast, der physikalisch machbar und bezahlbar ist. Denn wir sind beim Strompreis nicht wettbewerbsfähig.“

  • Porträt Uwe Garbe von der IG Metall Bautzen mit Stadtbild im Hintergrund
    Uwe Garbe von der IG Metall Bautzen bleibt optimistisch – trotz wirtschaftlicher Flaute.

Es kommen auch wieder bessere Zeiten. Deshalb ist es wichtig, die Fachkräfte in den Betrieben zu halten.“

UWE GARBE, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Ostsachsen

Wie überall in Deutschland hängt auch in der Lausitz die Zukunft der Industrie eng mit bezahlbarer Energie zusammen. Auch Uwe Garbe, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Ostsachsen, sieht die Energieversorgung kritisch. Viele Unternehmen in seinem Zuständigkeitsbereich haben zu kämpfen. Zu schaffen mache ihnen aber nicht nur der Strompreis, sondern auch die schlechte Auftragslage.

Aber Garbe ist Optimist: „Es kommen auch wieder bessere Zeiten. Deshalb ist es wichtig, die Fachkräfte in den Betrieben zu halten.“ Beim Batteriehersteller Accumotive in Kamenz ist der IG Metall das gelungen. Mit der Ausnutzung verschiedener Tarifvertragselemente sollen die Beschäftigten über die derzeitige Durststrecke hinaus gehalten werden. Doch andere Betriebe verlegen die Produktion nach Fernost, wie Bosch in Sebnitz, oder machen zu, wie Alstom in Görlitz. Uwe Garbe kann nicht nachvollziehen, warum der Standort mit 176 Jahren Erfahrung im Schienenfahrzeugbau nicht zu halten ist. „Wenn ich mir den überalterten Fahrzeugbestand im Nahverkehr anschaue, verstehe ich nicht, dass wir so ein Werk nicht auslasten können.“ Dem Metaller fallen noch andere Perspektiven für die Region ein: Accumotive könnte ein Werk für Batterierecycling aufbauen und ein Schulungszentrum für Batterietechnik errichten, Alstom in Bautzen könnte Wasserstoffzüge bauen. „Doch dafür braucht es eine vernünftige Infrastruktur“, sagt Garbe. Er hält es für einen riesigen Fehler, dafür kein Geld in die Hand zu nehmen: „Die unsinnige Schuldenbremse ist eine echte Bremse.“

Infrastruktur – auch ein Thema für die Menschen in der Lausitz. Auch hier sollte Geld aus dem Strukturwandel fließen, etwa in den zweispurigen Ausbau der Bahnverbindung Berlin-Zittau, in ihre Elektrifizierung und in die
Straßenanbindung Richtung Westen. Wenn die Betriebsräte Martin Schautschick und André Kleinfeld in ihre Landeshauptstadt fahren wollen, brauchen sie mit dem Auto zwei Stunden. Mit der Bahn müssen sie zunächst nach Cottbus oder Görlitz fahren und brauchen fast drei Stunden. „Wenn schon keine Arbeitsplätze hier hinkommen“, sagt Martin Schautschick, „könnte die Politik wenigstens dafür sorgen, dass wir hier wegkommen.“

  • Straße in der Lausitz mit Kraftwerk im Hintergrund
    Wie überall in Deutschland hängt auch in der Lausitz die Zukunft der Industrie eng mit bezahlbarer Energie zusammen.

Wir müssen den Menschen erklären, was sie in drei, vier oder fünf Jahren von den Projekten haben, die wir jetzt anstoßen.“

TORSTEN RUBAN-ZEH, Oberbürgermeister in Hoyerswerda

Torsten Ruban-Zeh ist Oberbürgermeister in Hoyerswerda. Er kann die Ängste gerade der Bergbaubeschäftigten verstehen, sieht die Zukunft für seine Region aber durchaus positiv. „Wer hat denn schon das Geld, das wir für den Strukturwandel bekommen?“, fragt der SPD-Mann und fügt hinzu: „Aber Wandel dauert nun mal. Wir müssen den Menschen erklären, was sie in drei, vier oder fünf Jahren von den Projekten haben, die wir jetzt anstoßen.“

Ein Projekt wie der Forschungscampus im Gewerbegebiet von Hoyerswerda. Er beschäftigt sich mit autonomem Fahren und Fliegen und arbeitet mit dem DZA in Görlitz zusammen. Ruban-Zeh setzt zudem auf die Förderung heimischer Mittelständler. Sie produzieren unter anderem Wärmepumpen und Wärmeenergieanlagen und bauen derzeit Beschäftigung auf. „Erste Leag-Beschäftigte haben jetzt bei diesen Unternehmen Probe gearbeitet“, sagt Ruban-Zeh.

Auch bei der Energieversorgung gehe es voran. Das Industriegebiet Schwarze Pumpe soll ans Wasserstoffnetz angeschlossen werden, und der Energieversorger Leag plant einen riesigen Solarpark. Hoyerswerda will sich einen eigenen Energiemix aus Wind, Sonne und einer Wärmepumpe am nahe gelegenen Scheibesee aufbauen. Ruban-Zeh ist überzeugt: „Industrie siedelt sich in Zukunft dort an, wo es grünen Strom gibt.“

Auch die Leag-Betriebsräte sehen das Potenzial der Region. „Wir haben hier erschlossene Industrieflächen, der Boden ist landwirtschaftlich uninteressant, es braucht keine aufwendigen Genehmigungsverfahren, und es gibt keinen Streit mit Umweltschützern“, sagt Martin Schautschick mit Blick vom Turm. Ideale Voraussetzungen, um neue Betriebe anzusiedeln. Allerdings fragen sich die beiden Gewerkschafter, zu welchen Bedingungen die Menschen zukünftig hier arbeiten werden. Bei Leag haben sie in jahrelangem Kampf den gewerkschaftlichen Organisationsgrad auf 90 Prozent hochgeschraubt, Stück für Stück Tarifbedingungen erkämpft und Vorteile für Mitglieder herausgeschlagen. „Das verschwindet alles mit uns“, sagt André Kleinfeld. Oder muss zumindest neu erkämpft werden.

Tatsächlich gehen die Prognosen eher davon aus, dass in Zukunft Arbeitskräfte in der Region fehlen werden. Die Region braucht Zuwanderung und hofft, dass Menschen, die der Lausitz einst den Rücken kehrten, vielleicht wieder zurückkommen. So wie Katja Dietrich, Oberbürgermeisterin in Weißwasser: Die 43-Jährige wurde in Dresden geboren, ging zum Studium nach Aachen, arbeitete anschließend in Malawi, Kenia und im Irak und kehrte 2020 in ihre alte Heimat zurück. Sie trat als parteilose Kandidatin zur Oberbürgermeisterwahl in Weißwasser an und wurde Ende September gewählt. Sie kam zurück, um in ihrer alten Heimat etwas zu bewegen. „Wir müssen für die Lausitz eine neue Wirtschaftsidentität finden“, sagt Dietrich, die auch Mitglied der SPD ist. Klar sei aber auch: „Wir wollen Energieregion bleiben.“ Dabei ist sie zuversichtlich, was vielleicht mit ihrer Biografie zu tun hat. „Mit der Wende haben wir erlebt, dass alles anders sein kann, von einem Tag auf den anderen, und dass es trotzdem weitergeht“, erzählt die Kommunalpolitikerin am Rande des Lausitzforums gerade an dem Tag, an dem in Berlin die Ampel zerbricht.

Wirtschaft und Lokalpolitik haben sich getroffen, um über die Zukunft der Region zu diskutieren. Am Nachmittag sollte sich eigentlich Wirtschaftsminister Robert Habeck per Video zuschalten und die Bewerbung der Lausitz zum ersten Net Zero Valley Europas entgegennehmen. Mit dem Net Zero Industry Act will die Europäische Union durch schnellere Genehmigungsverfahren sogenannte Netto-Null-Technologien wie Photovoltaikanlagen, Elektrolyseure oder Batterietechnik stärken. Net Zero Valleys sollen dafür strukturell und finanziell begünstigt werden. Die Bewerbung nahm dann aus inzwischen bekannten Gründen nicht der Minister, sondern ein Vertreter aus dem Ministerium entgegen. Ob das Aus der Ampel nun auch die Bewerbung verzögert, konnte an diesem Tag niemand sagen. Reni Richter von der IGBCE bleibt optimistisch: „Noch ist Robert Habeck Wirtschaftsminister und kann sie unterschreiben.“

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