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Magazin Mitbestimmung

Interview: „Mit Expertise punkten“

Ausgabe 07+08/2014

Sebastian Sick, Unternehmensrechtler in der Hans-Böckler-Stiftung, über seinen Beitrag zur Mitbestimmungsvereinbarung bei der SAP SE und eine weiterhin strittige Rechtsfrage. Mit Sebastian Sick sprach Margarete Hasel.

Als der Softwarekonzern SAP sich entschloss, die Rechtsform der SE zu wählen, war einer der Gründe offensichtlich die Absicht, die externen Gewerkschafter im Aufsichtsrat loszuwerden – ein massiver Angriff auf die 76er-Mitbestimmung. 

Das stimmt. Bei keinem Unternehmen, das aus der Parität kommt, ist das bislang versucht worden. Anfangs wollte das Unternehmen nicht nur die garantierten Gewerkschaftssitze streichen, sondern sogar generell  verhindern, dass Externe als Aufsichtsratsmitglieder kandidieren können.

Ein Rechtsgutachten, das der Würzburger Juraprofessor Christoph Teichmann für die Hans-Böckler-Stiftung anfertigte, lieferte wichtige Argumente, die halfen, diesen Plan zu vereiteln. Was steht drin? 

Teichmann kommt zu dem Schluss, dass es unzulässig ist, Gewerkschaftsvertreter über Verhandlungen im Fall der SE-Gründung durch Umwandlung auszuschließen. Weil der Gesetzgeber die Umgehungsgefahren vorhergesehen hat, verlangt er, dass in diesem Fall alle Komponenten der Mitbestimmung beibehalten werden müssen. Dazu gehört auch die Sitzverteilung auf Arbeitnehmerseite im Aufsichtsrat. Nur unter dieser Bedingung hat man überhaupt  eine Umwandlung von einer AG in eine SE in das Gesetz aufgenommen.

Es gibt jetzt einen Kompromiss, den Sie selbst mitverhandelt haben, den Sie – und mit Ihnen die Gewerkschaften – aber im Ergebnis in Teilen für rechtswidrig halten und deshalb der Vereinbarung nicht zugestimmt haben. Doch zuerst die gute Nachricht: Der Aufsichtsrat wächst, zunächst bis 2019, von 16 auf 18 Köpfe.

Ja – dem SAP-Aufsichtsrat werden künftig auf Arbeitnehmerseite sieben deutsche Mitglieder angehören, darunter zwei Gewerkschaftsvertreter, ein leitender Angestellter sowie ein vom SE-Betriebsrat delegiertes Mitglied. Dazu kommen zwei Vertreter ausländischer Standorte. Ein SE-Aufsichtsrat mit 18 Mitgliedern ist bislang nur in einem Fall, bei der MAN SE, gebildet worden, bei der RWE Generation SE sind es sogar 20 Sitze. Wenn deutsche Unternehmen dieser Größenordnung sich in eine SE umwandeln, kommt es häufig zu einer Verkleinerung des Kontrollgremiums. Die Vergrößerung ist dagegen bisher einmalig 

Doch jetzt die schlechte Nachricht: Die Sitze der externen Gewerkschaftsvertreter sind nur für fünf Jahre gesichert. Dann droht eine Verkleinerung auf zwölf Köpfe, wie sie die SAP-Unternehmensleitung von Anfang an anstrebte. 

Ab 2019 kann die Sitzgarantie tatsächlich entfallen, falls der Aufsichtsrat eine Verkleinerung auf zwölf Köpfe forciert und der Hauptversammlung einen entsprechenden Antrag vorlegt. Aus Gewerkschaftssicht problematisch ist, dass die Beteiligungsvereinbarung für das verkleinerte Gremium keine ausgewiesenen Gewerkschaftssitze mehr vorsieht, auch der Sitz für die leitenden Angestellten würde entfallen. Wegen dieser Festlegung habe ich letztlich gegen die Vereinbarung gestimmt.

Die Mehrheit war aber anderer Meinung?

Dass wir mit der Auffanglösung drohen konnten, hat zunächst den Weg zum 18er-Aufsichtsrat geebnet. Damit wäre die Gewerkschaftsbeteiligung gesichert gewesen. Für jeden Mitbestimmungserfahrenen überraschend kam, dass sich im Besonderen Verhandlungsgremiums (BVG) auch eine Mehrheit fand, die deutschen Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat künftig per Urwahl zu bestellen. Das geschah auf Wunsch von Aufsichtsrat, Vorstand und Betriebsräten. Bei Unternehmen dieser Größenordnung gibt es das bislang nicht und ist nur mit der spezifischen SAP-Kultur zu erklären. Eine Mehrheit für eine komplette Wahl aller Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat durch den KBR hingegen - wie übrigens in der Auffanglösung vorgesehen -, gab es nicht, und eine Mehrheit für Gewerkschaftsvertreter im Zwölfer-Aufsichtsrat auch nicht. Dabei verlief die Front quer durch das BVG, das 32 Mitglieder aus 26 Ländern hatte.­ 

Darunter waren vermutlich nur wenige Gewerkschaftsmitglieder. 

So ist es. Zu den sieben deutschen Mitgliedern gehörten als Gewerkschaftsvertreter ein Vertreter des Deutschen Bankangestelltenverbandes - ein Betrieblicher -, und ich als einziger externer Gewerkschafter. Nominiert hatten mich ver.di­ und IG Metall gemeinsam, die beide bei SAP präsent sind. Die Wahl erfolgte durch den Konzernbetriebsrat. Das überhaupt ein externe Gewerkschaftsvertreter in das Besondere Verhandlungsgremium gewählt wurde, war ein großer Erfolg.

Was machte Sie als Kandidaten mehrheitsfähig? 

Die beiden Gewerkschaften wollten gemeinsam mit der Expertise punkten, für die die Hans-Böckler-Stiftung steht. Das hat sich als richtig herausgestellt. Denn auch den Arbeitnehmervertretern von SAP war klar, dass sie den Sachverstand, das Netzwerk und die Verhandlungserfahrung brauchen, wie es sie nur bei den Gewerkschaften gibt. 

Haben nicht viele mit den Augen gerollt, wenn Sie im Verhandlungsgremium aufgetaucht sind?

Ich wurde als Experte akzeptiert und gefordert. Durch mich sind Diskussionen zustande gekommen, die sonst gar nicht geführt worden wären. Auch wenn man mir oft nicht gefolgt ist, so wurde doch ernsthaft diskutiert. Ein gewerkschaftliches Heimspiel war freilich angesichts der Verhältnisse nicht zu erwarten. Ich konnte jedoch den ausländischen wie den deutschen Mitgliedern im Verhandlungsgremium glaubhaft vermitteln, dass Gewerkschaften verlässliche, konstruktive Partner sind. In meiner Position bin ich immer klar geblieben, was ich mittrage und was nicht. Das hat sicher dazu beigetragen, die verhärteten Fronten zwischen den gewerkschaftsnahen und gewerkschaftsfernen Fraktionen zu entschärfen. Und vielleicht hat dies zu einem Wandel der Wahrnehmung von Gewerkschaften bei SAP beigetragen, wie sich zuletzt in einem besseren Abschneiden der Gewerkschaften bei den Betriebsratswahlen zeigte.

Wo verliefen die Konfliktlinien im Gremium?

Da gab es mehrere. Einerseits der große deutsche Block gegen die Vertreter aller anderen Länder – ganz besonders ausgeprägt, wenn es beim Aufsichtsrat und beim SE-Betriebsrat um die Sitzverteilung ging. Eine andere Scheide­linie verlief zwischen der gewerkschaftsfernen Mehrheit und einer Minderheit,  die gewerkschaftlichen Fragestellungen gegenüber offener war. Der dritte Frontverlauf: große Länder gegen die kleinen – oder umgekehrt. 

Wie hat sich während der Verhandlungen das Verhältnis der Arbeitnehmer untereinander verändert?

Ich glaube, einige  SAP-Arbeitnehmervertreter haben erkannt, dass sie gegen das Management nur etwas erreichen können, wenn sie mit einer Stimme sprechen und entschieden auf Positionen bestehen. 

Wie vertraut waren die Kollegen mit der Materie?

Die fehlende Erfahrung auf diesem Gebiet ist bei Verhandlungen oft zu spüren. Nur wenige BVG-Mitglieder hatten einen Gewerkschafts- und Betriebsratshintergrund. Selbst in Deutschland gibt es erst seit 2006 einen Betriebsrat, der mit dem Aufsichtsrat nur punktuell vernetzt ist. Doch bestand das gesamte Verhandlungsgremium aus hoch qualifizierten, selbstbewussten Arbeitnehmern. 

Die Vereinbarung wurde erst am 10. März unterschrieben. Exakt an diesem Tag wäre die gesetzliche Verhandlungsfrist von sechs Monaten abgelaufen. Das heißt: Poker bis zur letzten Minute?

Das Ganze war schon sehr schwierig und kontrovers. Ein Scheitern der Verhandlungen war bis zuletzt möglich. Von September 2013 bis März 2014 waren das insgesamt mehr als zehn komplette Verhandlungswochen in der Konzernzentrale in Walldorf. Das war umfänglicher als bei allen bekannten SE-Verhandlungen und teilweise der diskussionsfreudigen SAP-Kultur geschuldet. Verkomplizierend wirkte, dass das Gremium gegen meinen Rat auf Dolmetscher verzichtete und in englischer Sprache verhandelt wurde, obwohl die rechtsgültige Version der Vereinbarung deutsch sein musste. Von Nachahmung rate ich dringend ab. Dazu wurden unsere Verhandlungen teilweise überschattet vom Betriebsratswahlkampf, der bei SAP verhältnismäßig aggressiv geführt wurde, inklusive gerichtlicher Streitigkeiten.

Der Ruf ist einschlägig. SAP gilt als gewerkschaftsfeindlich. 

Die Firmenkultur bei SAP ist sehr individualistisch, mit Fachexperten und einer schwachen Vertretungskultur. Im Aufsichtsrat gibt es bislang überhaupt keine externen Gewerkschaftsvertreter. Die dafür vorgesehenen Sitze wurden von Mitgliedern kleiner Splittergewerkschaften besetzt, die bei SAP beschäftigt waren, aber als Gewerkschafter antraten. Formalrechtlich war damit dem Gesetz Genüge getan. Gleichzeitig ist das Unternehmen aus Sicht der Interessenvertretung von Beschäftigten sehr bedeutsam: ein erfolgreicher Softwarekonzern mit weltweit 67 000 Arbeitnehmern und vom Börsenwert her eines der fünf größten Unternehmen in Deutschland. SAP steht für eine Schlüsselbranche der Zukunft, bei der die Gewerkschaften, anders als etwa in der Industrie, aber noch um Einfluss kämpfen müssen. 

Sie haben nicht nur über den Aufsichtsrat verhandelt, sondern auch über den SE-Betriebsrat. Hier waren Sie sehr erfolgreich. 

Ja, SAP ist wohl das erste Unternehmen mit vier jährlichen Treffen des  SE-Betriebsrates.  Das bedeutet eine sehr gute Grundlage für die Europäisierung  auf Beschäftigtenseite. Auch der Kündigungsschutz für die 34 Mitglieder des SE-Betriebsrates, nach deutschem Vorbild, ist außergewöhnlich. Positiv ist auch, dass es eine Umsetzungssperre gibt. Maßnahmen wie Umstrukturierungen dürfen nicht umgesetzt werden, bevor das Anhörungsverfahren abgeschlossen ist. Für Länder mit mehreren Standorten, aber ohne übergeordnete Interessenvertretung gibt es nationale Treffen der lokalen Interessenvertreter mit ihrem SE-Betriebsratsdelegierten.

Die Liste der Themen, bei denen der SE-Betriebsrat Informations- und Konsultationsrechte hat, ist sehr umfangreich.

Aber leider auch abschließend. Besser wäre sicher eine nur beispielhafte Aufzählung von Themen. Das ist einer der gewerkschaftlichen Kritikpunkte. 

War das Kalkül des Managements, hier mitzuspielen, aber gleichzeitig die Mitbestimmung im Aufsichtsrat zu schwächen? Das Ziel von SAP war ja von Anfang an, den Aufsichtsrat auf zwölf Köpfe zu verkleinern.

Dieser Zusammenhang wurde nicht offen thematisiert. Aber ich will nicht ausschließen, dass das Management im Kalkül hatte, mit einer großzügigen Kompromisslinie beim Betriebsrat bei den Verhandlungen zum Aufsichtsrat mehr zu erreichen. Die Mehrheit der Gremiumsmitglieder kam schließlich aus anderen Ländern. Sie profitieren besonders von einem starken SE-Betriebsrat.

Und jetzt? Ist das Glas halb leer oder halb voll? 

Die Lage ist verzwickt: Wir haben in vielen Punkten eine gute Vereinbarung ausgehandelt, die gleichwohl für die Gewerkschaften und für die gesamte Mitbestimmungslandschaft ein großes Problem beinhaltet. Die Gewerkschaften behalten sich wegen des ab 2019 möglichen Ausschlusses der Gewerkschaftssitze eine Klage vor. Die Vereinbarung verstößt an diesem Punkt in meinen Augen und in denen vieler anderer Juristen gegen das Gesetz.

SAP-SE-Beteiligungsvereinbarung: Vergrößerter Aufsichtsrat, starker SE-Betriebsrat

Die SE-Beteiligungsvereinbarung, die am 10 März 2014 am Konzernsitz von SAP in Walldorf nach exakt sechsmonatigen Verhandlungen unterzeichnet wurde, ist aus gewerkschafts-und mitbestimmungspolitischer Sicht problematisch. Das Besondere Verhandlungsgremium (BVG) verständigte sich zwar mit der Unternehmensleitung auf eine Vergrößerung des Aufsichtsrats von 16 auf 18 Mitglieder. Dem Kontrollgremium werden künftig auf Arbeitnehmerseite sieben deutsche Mitglieder angehören, darunter zwei Gewerkschaftsvertreter, ein leitender Angestellter sowie ein vom SE-Betriebsrat delegiertes Mitglied. Dazu kommen zwei Vertreter ausländischer Standorte. Ohne die Umwandlung in eine SE wäre der SAP-Aufsichtsrat übrigens auf 20 Mitglieder angewachsen, weil der Softwarekonzern seit einiger Zeit über 20 000 Mitarbeiter in Deutschland hat.

Ein SE-Aufsichtsrat mit 18 Mitgliedern ist bislang nur in einem Fall, bei der MAN SE gebildet worden, bei der RWE Generation SE sind es sogar 20 Sitze. Wenn deutsche Unternehmen dieser Größenordnung sich in eine SE umwandeln, kommt es bislang häufig zu einer Verkleinerung des Kontrollgremiums. Die auch bei SAP von der Arbeitgeberseite angestrebte Verkleinerung auf zwölf Mitglieder wird frühestens in fünf Jahren möglich sein – vorausgesetzt, der Aufsichtsrat legt nach Anhörung des SE-Betriebsrats der Hauptversammlung einen entsprechenden Antrag vor. Aus Gewerkschaftssicht unionsrechtswidrig ist, dass die Vereinbarung für das 12er-Gremium keine ausgewiesenen Gewerkschaftssitze vorsieht, auch der Sitz für die Leitenden würde entfallen. Die Gewerkschaften behalten sich rechtliche Schritte vor.

Die erste Wahl zur Besetzung des 18er-Aufsichtsrats wird im Frühjahr 2015 stattfinden. Bis dahin fungiert ein personell weitgehend unverändert besetzter Übergangsaufsichtsrat, ergänzt um zwei Arbeitnehmervertreter aus dem Ausland. 

Die 34 Mitglieder des künftigen SE-Betriebsrats – darunter sieben Deutsche – werden sich viermal im Jahr treffen, weitere Sitzungen finden als Telefonkonferenzen statt. Experten sprechen von einem „Quantensprung für die Europäisierung bei SAP“. Für alle gilt der besondere Kündigungsschutz, wie ihn auch deutsche Betriebsräte genießen. Ein Katalog definiert die Gegenstände der Unterrichtung und Anhörung umfassend, aber auch abschließend. Eine – allerdings zeitlich knappe – Umsetzungssperre sorgt bei Restrukturierungen für eine aufschiebende Wirkung bis zum Ende der Anhörung. Für Länder mit mehreren Standorten, aber ohne Gesamtbetriebsrat gibt es nationale Treffen der lokalen Interessenvertreter mit ihrem SE-Betriebsratsdelegierten.

Die Vereinbarung mit der Unternehmensleitung verhandelt hat ein 32-köpfiges BVG, das sich aus sieben Deutschen und 25 Vertretern von 25 ausländischen Standorten zusammensetzte. Einziger externer Gewerkschaftsvertreter im BVG war – auf gemeinsamen Vorschlag von IG Metall und ver.di – Sebastian Sick, der als Unternehmensrechtler und Mitbestimmungsexperte der Hans-Böckler-Stiftung seinen Sachverstand einbringen und vielfach punkten konnte. Seine Anwesenheit dort war, wie er sagt, „alles andere als selbstverständlich“. Sick ist promovierter Jurist, hat ein Aufbaustudium in Europarecht absolviert und leitet seit 2003 ein Referat für Wirtschaftsrecht in der Hans-Böckler-Stiftung. Seit 2007 ist er Aufsichtsratsmitglied der Georgsmarienhütte GmbH und kann auf zahlreiche Veröffentlichungen zum Unternehmensrecht verweisen. Sick war bereits an mehreren SE-Verhandlungen beteiligt.

Eine Kurzfassung des Rechtsgutachtens des Würzburger Juristen Christoph Teichmann über den „Bestandsschutz für die Mit­bestimmung bei Umwandlung in eine SE“ findet sich auf der 
Böckler-Webseite.

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