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Apsilon Koffer Magazin Mitbestimmung

Das politische Lied: Menschliche Kälte

Ausgabe 02/2025

Der in Berlin aufgewachsene Rapper Apsilon verarbeitet in seinen Songs persönliche Erfahrungen und politische Themen. In „Koffer“ geht es um Rassismus, Migration, Gewalt und zunehmende soziale Kälte. Von Martin Kaluza

Apsilon: Koffer (2024)

Wenn Deutschland mich wieder ansieht
Und sagt, mein Herz hat keinen Platz hier
Wenn die Wolken übers Land ziehen
Mein Nachbar keine Menschen, sondern nur sein Land liebt


Eine Taxifahrt durch das nächtliche Berlin. Im Radio laufen Nachrichten. Es ist 1993, bei einem rechtsextremen Anschlag in Solingen sind fünf Menschen türkischer Herkunft ums Leben gekommen. Der deutsche Fahrgast,  konfrontiert mit der Gewalt gegen Menschen mit ausländischen Wurzeln, fordert: „Mach das aus! Ich will das nicht hören.“ Der Fahrer, selbst türkischer Herkunft, ist entsetzt: „Wie reden Sie? Da sind Menschen gestorben!“ Sls er den Gast bittet, sein Taxi zu verlassen, kommt es zum Streit. Am Ende ist der Fahrer tot.

Der Berliner Rapper Apsilon singt dazu: „Wenn die Blicke auf uns fallen/So wie Fäuste aus Metall/Wenn meine Brüder,  eine Schwestern fallen wie tote Blätter/Schwarzrot-goldne Blätter“. Die Musik dazu ist sparsam arrangiert: Über einem melancholischen Klavier schweben düstere Streicher, dazu tänzelt, zunächst zögerlich, ein Saxofon. Erst im letzten Viertel nimmt der Song ein wenig Fahrt auf.

Gewidmet ist das Video dem Taxifahrer Bekir G., der in Berlin in den 1990er Jahren von einem Fahrgast erschossen wurde. Am Ende wird ein Zeitungsbericht von damals eingeblendet. Im Video bleibt unerwähnt, was Apsilon jedoch in Interviews offenbart: Bekir G. war sein Großonkel. Apsilon war damals ein Jahr alt.

Apsilon ist aufgewachsen in Berlin-Moabit. Seine Großeltern kamen als Arbeiter im Rahmen des Anwerbeabkommens aus der Türkei nach Deutschland. „Ich habe viel mit meinen Großeltern gesprochen. Darüber, was sie nach Deutschland gebracht hat und was sie hier erlebt haben. Zum Beispiel Rassismus und Ausbeutung, aber auch Hoffnung“, erzählt Apsilon einmal. „Diese Erfahrungen sind auch für nachfolgende Generationen identitätsstiftend, ob man will oder nicht.“

Aus dieser persönlichen Auseinandersetzung hat der Rapper bereits zuvor Songs gemacht: „Köfte“ zum Beispiel ist eine wütende Geschichtsstunde in Rap-Form: „Opa für drei Groschen am Tag malochert/Jeden Monat bis zur Ohnmacht für den Tagelohn/Kohlenstaub geschluckt für euren Nachkriegswohlstand (…) Und bei der Arbeit und beim Amt immer lachen“. Die Songs auf dem jüngsten Album „Haut wie Pelz“ hingegen sind persönlicher, verletzlicher.

Der Dialog zwischen dem Taxifahrer und seinem Mörder im Video zu „Koffer“ ist fiktional. Niemand weiß, was in Wirklichkeit auf der Fahrt gesprochen wurde. Für den Song ist er wichtig: In knappen Worten zeigt er die soziale Kälte, die Gleichgültigkeit gegenüber der Gewalt an Menschen mit migrantischer Geschichte.

Das Video hat eine zweite Erzählebene. Apsilon sitzt in einem Bus. Es ist Nacht, kalte Lichtkegel streifen durch den Fahrgastraum. Außer Apsilon sitzen, schweigend, nur wenige junge Männer im Bus, ebenfalls ausländischer Herkunft.

„Deutschland, ja du kannst uns abschieben“, singt Apsilon und legt in knappsten Worten die Sündenbockargumentation bloß: „Deine Rentner sammeln trotzdem Pfandflaschen aus den Tonnen“. In Interviews ordnet Apsilon seine Songs in den größeren, politischen Zusammenhang ein. Vor der vorgezogenen Bundestagswahl 2025 sagt er: „Der ganze Wahlkampf dreht sich nur darum, dass sich die Parteien darin überbieten, wie sehr sie abschieben wollen.“

Das Lied anhören/ansehen:

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