Nachruf: Mensch und Minister
Norbert Blüm, Altstipendiat der Stiftung, verband christliche und gewerkschaftliche Werte zu einem glaubwürdigen Plädoyer für Arbeitnehmerrechte und Mitbestimmung. Von Kay Meiners
Norbert Blüm ist am 23. April diesen Jahres verstorben. Für viele von uns war er ein Vorbild, und wir sind stolz darauf, dass er zu den Stipendiaten der Stiftung gehörte. Gab es einen besseren Ansporn für Bildungsaufsteiger? Die Hans-Böckler-Stiftung, damals noch die Stiftung Mitbestimmung, gewährte dem jungen Mann, der am Abendgymnasium sein Abitur nachgeholt hatte und Philosophie, Germanistik, Geschichte und Theologie studieren wollte, ab 1962 ein Stipendium, dann nochmals 1965 für seine Promotion – mit Mitteln der Stiftung Volkswagenwerk. Ein Gutachter hatte Blüm bescheinigt, zu den wenigen Bewerbern zu gehören, die „das Prädikat ‚hochbegabt‘ ohne Einschränkung“ verdienten. Hinzu kam sein gewerkschaftliches Engagement. 1950 war Blüm in die IG Metall eingetreten, während er bei Opel in Rüsselsheim eine Ausbildung zum Werkzeugmacher machte und sich als Jugendvertreter engagierte. „Echte, neuzeitliche Jugendarbeit“ wolle er machen, wie er in den Mitteilungen der Jugendvertretung formulierte.
Norbert Blüm war stark von der katholischen Soziallehre geprägt. Seine politische Heimat hatte er bereits mit 15 Jahren in der CDU gefunden. Schnell machte er Karriere und zog 1972, zehn Jahre, nachdem die Förderung durch die Stiftung begonnen hatte, in den Deutschen Bundestag ein. In späteren Jahren – Blüm war von 1982 bis 1998 Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung – blieb sein Profil stets erkennbar. Für ihn war es selbstverständlich, den Kern des Sozialstaates und die Tarifautonomie zu verteidigen. Manche nannte ihn dafür einen „Herz-Jesu-Sozialisten.“ Viele sozialpolitische Errungenschaften tragen seine Handschrift, allen voran die Pflegeversicherung.
Die Mitbestimmung war für Blüm eine Herzenssache – am Arbeitsplatz genauso wie an der Spitze der Unternehmen. Als eine sozialliberale Koalition im Jahr 1976 das Mitbestimmungsgesetz beschloss, das Arbeitnehmern endlich Sitze in den Aufsichtsorganen deutscher Konzerne sicherte, setzte sich Norbert Blüm für ein weitgehenderes Konzept nach dem Vorbild der Montanmitbestimmung ein, fand aber dafür keine Mehrheiten. Dennoch verteidigte er das Gesetz: „Erst der Kompromiss erzieht, mit dem Kopf des anderen zu denken; der Kompromiss erzwingt, Ergebnisse nach beiden Seiten zu vertreten, es geht eine ungeheure Integrationskraft von ihm aus.“ Humor und Sachverstand bewies Blüm, als er 1998 einen Fragebogen dieses Magazins ausfüllte: „Die deutsche Mitbestimmung durch ein Tier symbolisiert – welches würden Sie wählen?“ war eine der Fragen. Seine fast biblische Antwort: „Ein Kamel – klug und zäh.“
Das Engagement für die Arbeitnehmer stand ganz im Zeichen jender Menschenliebe, wie sie ihm sein Lehrer, der Theologe, Nationalökonom und Sozialphilosoph Oswald von Nell-Breuning, vermittelt hatte. Dies prägte sein langjähriges Wirken in der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), deren Bundesvorsitzender er von 1977 bis 1987 war. Der heutige CDA-Vorsitzende Karl Josef Laumann würdigt Norbert Blüm mit den Worten: „‚Die Wirtschaft muss dem Menschen dienen!‘ war seine unverrückbare Überzeugung, die er immer wieder aufs Neue in konkrete Politik gegossen hat.“