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Magazin Mitbestimmung

Von MARTIN KALUZA: Melodie der Revolution

Ausgabe 09/2016

Das politische Lied Die sandinistische Revolution wird begleitet von Liedern, die Wissen für den Dschungelkampf vermitteln. Ein Lied ist die Bedienungsanleitung für ein US-Sturmgewehr.

Von MARTIN KALUZA

Es ist Musik, die sofort zum Mitsingen anregt: Die Gitarren geben einen flotten Dreivierteltakt vor, wie er auf Dorffesten in Nicaragua gespielt wird. Eine männliche Stimme variiert dazu geschickt zwischen lang geschmetterten und fröhlich hüpfenden Tönen. Was für europäische Ohren ein bisschen nach Buena Vista, ein bisschen nach Mariachi klingt, hat es in sich: In dem Text wird erklärt, wie man das amerikanische Sturmgewehr Garand M-1 auseinandernimmt und wieder zusammenbaut.

Unter allen Flinten ist das Garand das Gesetz/ Das Kaliber seines Laufes ist die 30 06 / Willst Du sie zerlegen, folge den Regeln haargenau / Mach‘ die Augen auf und spitz‘ die Ohren und dann höre dieses Lied.“ So beginnt der Text. Dann folgt eine gesungene Betriebsanleitung. „El Garand“ erscheint 1979 auf dem Album „Guitarra Armada“ der nicaraguanischen Liedermacher Carlos Mejía und Luis Enrique Godoy. Die insgesamt elf Titel bieten Einführungen in den Umgang mit Gewehren, Munition und Sprengstoff.

Der Titel des Albums ist ein Wortspiel: Er kann „die zusammengebaute Gitarre“ bedeuten, aber auch „die bewaffnete Gitarre“. Veröffentlicht wird es von der Sandinistischen Nationalen Befreiungsfront FSLN. Als es herauskommt, befindet sich das Land im Klammergriff des Somoza-Clans, der seit Anastacio Somozas Putsch im Jahr 1937 an der Macht ist. Von den USA protegiert, lassen die Somozas keine Gelegenheit aus, sich zu bereichern.

Als Weihnachten 1972 ein Erdbeben die Hauptstadt Managua zerstört, leitete die Familie im großen Stil internationale Hilfsgelder auf ihre eigenen Konten um. Damit begann ihr Stern zu sinken. Die Sandinistische Nationale Befreiungsfront gewann täglich Unterstützer.

In der zunehmend heißen Phase des Konfliktes nahmen die Sandinisten den Truppen der Nationalgarde in Straßenkämpfen immer wieder Gewehre ab. Um die Gewehre nutzen zu können, mussten militärisch unausgebildete Kämpfer geschult werden. Die Hälfte der Bevölkerung Nicaraguas waren damals Analphabeten. Die Musikkassetten der „Guitarra Armada“ erreichte auch diejenigen, die kein Flugblatt hätten lesen können.

Carlos Mejía Godoy, die meisten Stücke des Albums schreibt, ist eine bekannte Stimme. Er ist Protagonist der Nueva Canción, einer Form des politischen Liedes, das seine Wurzeln in der Folklore hat. Außerdem hat Godoy als Radiomoderator seit Ende der 60er Jahre nahezu täglich einen bekannten Song parodiert. Im Juli 1979, kurze Zeit nachdem die „Guitarra Armada“ erschienen ist, besiegten die Sandinisten Somoza.

Sergio Ramírez Mercado, nicaraguanischer Schriftsteller und Menschenrechtler, sagte drei Jahre später: „Ich weiß gar nicht, wie viel die Revolution den Liedern Carlos Mejía Godoys verdankt. Sie erzeugten unter den Leuten ein Gemeinschaftsgefühl. Ihre Themen und Harmonien bezogen sie aus der Tiefe unserer Wurzeln. Sie bereiteten dieses Gemeinschaftsgefühl auf den Kampf vor.“

Foto: Fishki.net

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