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Magazin Mitbestimmung

: Mein Arbeitsplatz

Ausgabe 12/2011

SUSANNE ALTENBERG, 48, leitet das Referat Dolmetschen Deutsch des Europäischen Parlaments. Sie ist für das Personalmanagement für die rund 200 Dolmetscher in ihrem Referat zuständig und arbeitet außerdem an zwei Tagen in der Woche weiter in der Dolmetscherkabine.

Brüssel, Rue Wiertz 60 „Im Europaparlament kommen Menschen und Sprachen aus 27 Staaten zusammen. Ich bin überzeugte Europäerin. Doch meine politische Meinung gehört nicht in die Dolmetscherkabine. Ich leihe jedem Abgeordneten des Parlaments meine Stimme, egal, ob er einer linken oder rechten Partei angehört. Ein guter Dolmetscher identifiziert sich mit dem Redner, steckt in seinem Kopf, empfindet wie er. Wir sind keine Papageien, die Worte nachplappern. Wir geben Ideen weiter. Es geht darum, Aussagen in der jeweiligen Kommunikationskultur zu verpacken.

Die Parlamentssitzungen beginnen um neun Uhr und dauern dreieinhalb Stunden. Eine zweite Sitzung findet am Nachmittag statt. Ich dolmetsche aus dem Englischen, Französischen, Spanischen, Niederländischen und Polnischen ins Deutsche. Dolmetschen ist anstrengend. Das Gehirn muss gleichzeitig mehrere Funktionen erledigen: hören, verstehen und in der Zielsprache, Deutsch, wiedergeben. Ich habe jedes Mal Lampenfieber, wenn sich der Parlamentssaal füllt. Die Nervosität und der Adrenalinschub sind wichtig, damit ich mich auf die Aufgabe konzentrieren kann.

Das Vorbereiten erfordert Zeit. Ich muss Hintergründe, Standpunkte der Parteien und Fachvokabular kennen – und das in sechs Sprachen. Die Themen wechseln schnell: Morgens kann ich im Wirtschafts- und Währungsausschuss über Hedgefonds arbeiten, nachmittags im Agrar- oder Fischereiausschuss. Die letzte Sprache, die ich gelernt habe, war Polnisch. Am 14. Mai 2003, ein Jahr vor dem Beitritt Polens, habe ich die feierliche Rede des damaligen polnischen Staatspräsidenten Aleksander Kwasniewski im Europäischen Parlament gedolmetscht. Kurz vorher gab es die erste Sitzung mit allen neuen Mitgliedstaaten. Wir haben in allen Sprachen gedolmetscht und gezeigt, dass Mehrsprachigkeit auch mit 20 Sprachen funktioniert. Heute haben wir sogar 23 Sprachen.

Am meisten bewegt hat mich eine gemeinsame Rede der Träger des Sacharow-Preises 2001, Izzat Ghazzawi aus Palästina und Nurit Peled-Elhanan aus Israel. Beide haben im Nahost-Konflikt ein Kind verloren und sich danach trotz des Schmerzes für den Frieden eingesetzt. Während der Rede habe ich meine Emotionen zurückgehalten. Nachher bin ich aus der Kabine gegangen und habe geweint.“

Textdokumention: Ingmar Höhmann/Foto: Juha Roininen

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