Quelle: Werner Bachmeier
Magazin MitbestimmungDigitalisierung: „Man schottet sich ab“
Ein Forschungsprojekt untersucht, welche Auswirkungen der Wandel der Arbeitswelt auf den kollegialen Zusammenhalt im Betrieb hat. Von Andreas Molitor
Als Stefan Rüb erfuhr, was Manager sich alles einfallen lassen, um in der Belegschaft so etwas wie eine Unternehmensbindung und Vertrautheit zu entfachen, kam er gehörig ins Staunen: „Da gibt es dann auf einmal jede Menge Teamevents oder schöne Weihnachtsfeiern“, erzählt der Göttinger Soziologe. „In einem Fall wurde sogar ein Spitzenkoch eingeladen, damit er in der Kantine für die Beschäftigten kocht.“ In Zeiten von Personalnot und Fachkräftemangel ziehen Arbeitgeber etliche Register, um ihre verstreute Belegschaft aus dem Homeoffice in die Firma zu locken.
Rüb leitet das Forschungsprojekt „Zusammenhalt in digitalen Arbeitswelten“ des Forschungsinstituts für Gesellschaftlichen Zusammenhalt (FGZ), das wissenschaftliche Vorhaben zum Thema bundesweit bündelt und vernetzt. Die Leitfrage lautet: Wie wirkt sich der Wandel der Arbeit im digitalen Umbruch auf das Miteinander – und Gegeneinander – in Betrieben aus? Um das herauszufinden, interviewte er bei Versicherungsunternehmen und Automobilzulieferern Dutzende von Beschäftigten.
Noch ist das Projekt nicht abgeschlossen – aber einige Eindrücke aus der laufenden Forschung zeichnen sich schon jetzt ab. Bei den Autozulieferern, wo Rüb Gespräche vor allem in Entwicklungsabteilungen führte, diagnostizierte der Forscher einen einschneidenden Wandel des Arbeitskontextes. „Die Leute arbeiten nicht mehr in festen, sondern in ständig wechselnden virtuellen Teams – und zwar standortübergreifend, oft sogar weltweit“, berichtet er. Oft sei man Teil eines Projekts eines anderen Standorts, werde vom Homeoffice aus per Videokonferenz zugeschaltet – und sei dann erstmal wieder weg. Das nächste Projekt wartet schon – mit anderen Menschen, bei denen man sich gut überlegt, ob die „Arbeit des Sich-Kennenlernens“ denn überhaupt lohnt. „Über diese virtuellen Kanäle dauert es viel länger, überhaupt eine Vertrauensbasis herzustellen“, sagt Stefan Rüb. Die häufige Konsequenz: „Man schottet sich ab, zieht sich raus und ist emotional viel kontrollierter“ als früher im direkten Kontakt mit Kolleginnen und Kollegen, mit denen man täglich zusammenarbeitete. Es entwickle sich „eine unverbindlichere Form von Zusammenhalt oder Kollegialität: mit einer stärkeren professionellen Distanz und weniger Preisgabe von sich selbst“.
Es entsteht kein Teamgeist
In der Versicherungs-Sachbearbeitung war der „Digitalisierungseinschnitt“ weit weniger spürbar. Schon vor der Coronapandemie und der Versetzung ganzer Belegschaften ins Homeoffice war die Arbeit extrem durchgetaktet und individualisiert. Jeder zieht sich aus dem digitalen Postkorb seine Aufträge und arbeitet sie im Laufe des Tages ab. Zwar arbeitet man in Teams, die bestimmte Leistungskennziffern erreichen müssen, aber ein Teamgeist entsteht nicht. Unausgesprochen ist klar, wer die Leistungsträger und wer die Schwachen im Team sind. „Die Arbeitsbeziehungen sind eher leistungsbezogen hierarchisch als egalitär kooperativ ausgerichtet“, berichtet Stefan Rüb. Man geht ins Büro, zieht seine Arbeit durch und fährt wieder heim. Das Post-Corona-Arbeitsregime – vereinbart sind 60 Prozent Homeoffice, 40 Prozent Büro – passe „im Grunde genommen recht gut zu dieser instrumentellen Arbeitshaltung“.
Betriebsräte berichteten Rüb, dass die Isolation durch das mobile Arbeiten zugenommen habe. Vieles, was früher offensichtlich war, bleibe nun im Dunkeln. „So etwas wie Alkoholprobleme oder Schwierigkeiten zu Hause bekommt man jetzt einfach nicht mehr mit“, so der Tenor der Beschäftigtenvertreter. Wer schon vorher kaum soziale Beziehungen hatte außer im Betrieb, laufe jetzt Gefahr, „voll in der sozialen Isolation zu landen“.
Aufschlussreich waren die Gespräche mit den Beschäftigten eines Autozulieferers, bei dem eine Werksschließung beschlossen war. Bei den Beschäftigten aus der Entwicklungsabteilung sei anfangs noch eine „gewisse Betroffenheit“ zu spüren gewesen, berichtet Stefan Rüb, aber dann habe es geheißen: „Wir sind der Entwicklungsbereich – und das ist das Werk.“
Der Weg vors Werkstor ist zu weit
Die Entwickler hätten „kaum noch einen Bezug zu Werk und Standort“, anders als früher. Da galt: „Was wir hier entwickeln, wird auch hier produziert.“ Jetzt werde es irgendwo auf der Welt gefertigt, der Bezug zum Standort sei fast völlig verloren gegangen. Einige Beschäftigte der Entwicklungsabteilung seien zu Protesten mit vors Werkstor gezogen, aber vielen sei der Weg aus dem Homeoffice zur Fabrik zu mühsam gewesen. Eine Beschäftigte brachte es im Gespräch mit Rüb auf den Punkt: „Der Standort ist für mich einfach nur noch das, wo ich hinkomme, wenn ich nicht im Homeoffice bin. Aber meine eigentliche Arbeit findet im weltweiten Raum statt.“
STEFAN RÜB ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Soziologischen Forschungsinstitut (SOFI) der Georg-August-Universität Göttingen. Er leitet das Projekt „Zusammenhalt in digitalen Arbeitswelten“ am Forschungsinstitut für gesellschaftlichen Zusammenhalt.