Quelle: Karsten Schöne
Magazin MitbestimmungWarenhäuser: Malaise nach Hausmacher Art
Bei Kaufhof zahlen die Beschäftigten die Zeche für jahrelanges Missmanagement. Fast 5000 Mitarbeiter haben seit Jahresbeginn ihren Job verloren. Der neue Eigentümer fordert weitere Opfer der Belegschaft. Von Uta von Schrenk
Glaubt man den Prognosen deutscher Handelsexperten, müsste die Kaufhof-Filiale in der Aachener Adalbertstraße vor sich hin dümpeln. Das althergebrachte Warenhauskonzept habe gegen den Onlinehandel keine Chance, heißt es immer wieder. Stimmt aber nicht, zumindest nicht in Aachen. „Seit 2017 machen wir kontinuierlich Plus“, sagt der örtliche Kaufhof-Betriebsratsvorsitzende Dirk Borrmann. Das Geheimnis der Aachener: Standort, Sortiment und Service sind passgenau.
Doch Aachen ist nur eine von 95 Kaufhof-Filialen, die Ende 2018 von der österreichischen Immobilien- und Handelsgesellschaft Signa Holding, die zwischen 2012 und 2014 bereits den früheren Konkurrenten Karstadt erworben hatte, übernommen wurden. Und längst nicht überall läuft es rund. Der Chef des neuen Gesamtunternehmens Galeria Karstadt Kaufhof, Stephan Fanderl, verkündete Ende Januar, dass 2600 Vollzeitstellen bei Kaufhof gestrichen werden. Wegen des hohen Anteils an Teilzeitkräften entspricht das den Jobs von 4000 bis 5000 Mitarbeitern. Nach ver.di-Angaben wies Kaufhof im September 2018 noch etwa 14 220 Vollzeitstellen aus. Die Belegschaft soll also um etwa ein Fünftel schrumpfen.
Peter Zysik, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats (GBR) von Galeria Kaufhof, neigt nicht zur Dramatik. „Im Moment gibt es hier keinen Grund, Spaß zu haben“, sagt er lakonisch. Allein in den Filialen, für die er zuständig ist, sollen 1840 Vollzeitstellen wegfallen. Mit Abfindungs- und Verrentungsvereinbarungen konnte der GBR betriebsbedingte Kündigungen verhindern. Ein Erfolg. Dennoch schlägt Zysik und seinem Team in Internetforen die Kritik enttäuschter Beschäftigter entgegen. „Das kann ich verstehen, schließlich arbeiten bald in den Filialen rund 2500 Kolleginnen und Kollegen weniger“, sagt Zysik. „Aber am Ende des Tages war dieses Ergebnis das Beste, was wir rausholen konnten angesichts der schlechten wirtschaftlichen Lage unseres Unternehmens.“
Aber warum geht es Kaufhof so schlecht? Schließlich prognostiziert der Handelsverband Deutschland (HDE) in diesem Jahr für die gesamte Branche einen um zwei Prozent auf 535,5 Milliarden Euro steigenden Umsatz – angesichts einer ermüdeten Konjunktur ein ordentliches Ergebnis. Doch es boomt fast ausschließlich der Onlinehandel mit einem Plus von rund neun Prozent. Für den stationären Handel in den Innenstädten dagegen, so der HDE, „verschärft sich die Situation durch rückläufige Kundenfrequenzen immer weiter“. Da ist es wieder, das Requiem auf den klassischen Einzelhandel. Und auf das Warenhaus.
Wer sich unter Betriebsräten und Gewerkschaftern umhört, erhält indes eine andere Erklärung für die prekäre Situation von Kaufhof als das bereits bekannte Klagelied auf Amazon und Co. Die Probleme seien zum großen Teil hausgemacht, so die Analyse. Die frühere Kaufhof-Eigentümerin, die kanadische Hudson‘s Bay Company (HBC), habe gründlich Misswirtschaft betrieben und die traditionsreiche Warenhauskette in Richtung Abgrund getrieben. Allein 2017 fuhr Kaufhof einen Verlust von mehr als 100 Millionen Euro ein. „Dass wir innerhalb weniger Jahre in wirtschaftliche Schieflage geraten sind, haben wir vor allem den völlig verfehlten Konzepten von HBC zu verdanken“, sagt Peter Zysik, „und den überhöhten Mieten, die wir an das Mutterunternehmen zahlen mussten.“
"Desaströse Managementleistung"
In großem Stil wurden Konzepte aus Nordamerika kopiert, etwa die Vermietung großer Verkaufsflächen an Modelabels wie Top Shop und Top Man oder das Edel-Design-Outlet Saks Off 5th. Nur funktionierte das auf dem deutschen Markt nicht. Auf den jeweiligen Standort zugeschnittene Konzepte wurden dagegen nicht umgesetzt: „Auf der Düsseldorfer Kö brauche ich ein anderes Sortiment als in Gelsenkirchen“, sagt Zysik, „Luxus an dem einen, Einstiegspreise an dem anderen Standort.“ Für die Details des Kaufmannsdaseins aber interessierte sich bei der HBC niemand. Es sei schon „eine desaströse Managementleistung, aus einem grundsoliden, 140 Jahre alten Traditionsunternehmen binnen weniger Jahre einen Pleitekandidaten zu machen“.
Zysik, der in seinem Kölner Büro die Zerschlagung der traditionsreichen einstigen Hauptverwaltung von Galeria Kaufhof vor Augen hat, konnte gemeinsam mit seinen GBR-Kollegen dem Arbeitgeber zumindest die Zusage abringen, dass die in der neuen Hauptverwaltung des Gesamtunternehmens in Essen rund 400 neu zu besetzenden Stellen mit Mitarbeitern besetzt werden, die in Köln ihren Job verlieren. Doch die Mehrheit der rund 1000 Kölner Beschäftigten hat inzwischen die betriebsbedingte Kündigung erhalten. „Das ist eine Rationalisierung in einer Dimension, die ihresgleichen sucht“, sagt Zysik. „Wir waren über 100 Jahre in Köln, das ist brutal, ein Stich ins Herz.“
Der gelernte Kaufmann Zysik ist lange genug bei Kaufhof, um zu wissen, dass eine Marke gepflegt werden muss. „Mit diesem radikalen Personalabbau nimmt der Arbeitgeber ein hohes Risiko in Kauf. Wir sind doch kein Discounter! Wenn du einen hochwertigen Anzug verkaufen willst, dann brauchst du dazu gutes Personal.“ Und das bekomme man nur bei guter Bezahlung.
Die Signa Holding verfolgt jedoch ein gänzlich anderes Personalkonzept: Sparen, bis es knirscht. Im derzeitigen Zustand, so Stephan Fanderl, der Chef des neuen Gemeinschaftsunternehmens, „ist Galeria Kaufhof nicht überlebensfähig“. Signa hat inzwischen die Tarifbindung gekündigt. Dadurch spart das Unternehmen Geld – durch nicht gezahlte Tariferhöhungen und deutlich niedrigere Löhne sowie schlechtere Arbeitsbedingungen bei Neueinstellungen. Der Schritt sei „alternativlos“, sagt Fanderl. Angesichts der Notsituation von Kaufhof schwebt ihm ein Sanierungstarifvertrag mit erheblichen Zugeständnissen der Beschäftigten etwa beim Urlaubs- und Weihnachtsgeld sowie dem Verzicht auf Tariferhöhungen vor, wie er vor vier Jahren schon bei Karstadt eingeführt wurde, als sich das Unternehmen in Schieflage befand.
Der Gedanke dahinter ist vertraut: Ein Job, wenn auch zu schlechteren Bedingungen, ist den meisten Beschäftigten sicher lieber als der Verlust des Arbeitsplatzes. Außerdem, so die Argumentation des Arbeitgebers, seien die harten Sparmaßnahmen im Fall Karstadt letztlich von Erfolg gekrönt gewesen. Nach zwölf Verlustjahren in Folge konnte das Unternehmen Anfang 2018 erstmals wieder einen kleinen Gewinn von 1,4 Millionen Euro vermelden.
Bei ver.di stößt das Ansinnen des Arbeitgebers auf Unverständnis. Einen Sanierungstarifvertrag hat die Gewerkschaft bereits im Februar vorgeschlagen, doch Signa setzte auf Kündigungen. Außerdem sei „das Überstülpen des Karstadt-Konzepts überhaupt kein Erfolgsgarant für Galeria Kaufhof“, urteilt ver.di-Vorstandsmitglied Stefanie Nutzenberger. Auch für GBR-Chef Peter Zysik ist die Karstadt-Sanierung „keine Blaupause für Galeria Kaufhof“. Der Gewinn bei Karstadt, so die ver.di-Sicht, sei primär durch den Griff in die Taschen der Beschäftigten zustande gekommen. Weder für Karstadt noch für Galeria Kaufhof noch für das künftige gemeinschaftliche Unternehmen habe der neue Eigentümer bislang ein zukunftsfähiges Konzept vorgelegt. Zwar lehnt auch ver.di einen Sanierungstarifvertrag für Kaufhof nach wie vor nicht grundsätzlich ab, allerdings mit einer klaren zeitlichen Begrenzung sowie einer mittelfristigen Rückzahlung der Gehaltseinbußen. Wenn überhaupt „Geld der Beschäftigten für Sanierungsphasen gefordert wird“, stellt Stefanie Nutzenberger klar, „dann höchstens als Investition und nicht als dauerhafte Spende. Das heißt, die Rückzahlung des Geldes zu einem bestimmten Zeitpunkt muss mitgedacht werden.“ Ein Gedanke, den das Signa-Management nicht so einfach ignorieren sollte.
Die Warenhäuser, bis vor einigen Jahren noch ein Hort tariflicher Löhne und Gehälter sowie ordentlichen Services, beteiligen sich nun an der Rabattschlacht um die Entgelte der Beschäftigten im Einzelhandel. Nur noch 30 Prozent der insgesamt 3,1 Millionen Beschäftigten unterliegen dem Flächentarif. Kein Wunder, dass das Vorgehen von Signa nicht einfach hingenommen wird. „Auch künftig kann es zu Aktionen gegen die Tarifflucht kommen“, kündigt Stefanie Nutzenberger an. Ziel der Gewerkschaft ist es, dass der Arbeitgeber den Flächentarifvertrag für Galeria Kaufhof akzeptiert – und dass die Bezahlung der Karstadt-Mitarbeiter wie vereinbart bis 2021 schrittweise wieder auf das Niveau des Flächentarifvertrags angehoben wird.
Ende April trafen sich die Tarifparteien von Kaufhof zu Gesprächen über den Flächentarifvertrag – ohne Ergebnis. „Die Beschäftigten erwarten zu Recht Tarifverträge, die sie schützen“, sagt ver.di-Vorstand Nutzenberger. „Das rücksichtslose Kostensenkungsprogramm auf dem Rücken der Beschäftigten muss gestoppt werden.“
Der Aachener Kaufhof-Betriebsrat Dirk Borrmann hat auf privaten Reisen in die USA etwas gelernt: „Wenn ich die Innenstädte sehe, graust es mir. Nach 18 Uhr ist nichts mehr los, weil es keine Warenhäuser und Geschäfte mehr gibt, sondern nur noch Büros, Verwaltung, Beton. Wollen wir das für unsere Städte?“ Der Deutsche Städtetag hat sich bereits besorgt zu der Fusion von Karstadt und Kaufhof geäußert. Er befürchtet, falls im Zuge der Sanierung Filialen geschlossen werden sollten, eine weitere Verödung der Innenstädte.
So weit muss es nicht kommen, ist Dirk Borrmann überzeugt. Die Kaufhof-Filiale in Aachen zeige, dass richtig geführte Kaufhäuser eine Zukunft haben können. „Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht und sind überzeugt, dass unser Konzept auch für andere Filialen durchsetzbar ist.“ Die Konzernleitung jedoch hat auch in Aachen begonnen, auslaufende Verträge von Beschäftigten nicht zu verlängern. Für die Details des Kaufmannsdaseins scheint sich auch in der Chefetage der Signa Holding niemand zu interessieren.