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Studierender Vater mit Kleinkind auf dem Arm Magazin Mitbestimmung

Vereinbarkeit: Leben ist mehr als Arbeit

Ausgabe 03/2023

Gesetze und tarifliche Regelungen sollen zunehmend ein Aus- und Einfädeln in den Job erleichtern. Doch nicht alle Angebote, die es gibt, werden in der Praxis auch gut angenommen. Von Sophie Deistler

Schon lange träumte Katrin Berkenkopf davon, eine Auszeit zu nehmen und dann eine Weltreise zu machen. Die Auszeit kam, nur aus der Weltreise wurde nichts. Am dritten Geburtstag von Berkenkopfs Tochter verkündete die Regierung den ersten Lockdown. Berkenkopf, die als Journalistin arbeitet, versuchte, einfach weiterzumachen wie bisher, während sie sich zu Zeiten der Kita- und Schulschließungen um ein Kleinkind und einen Teenager kümmern musste. Zwei Jahre hielt sie im Krisenmodus durch, dann wurde es zu viel. Endlich zog sie die Reißleine, suchte das Gespräch mit ihrem Vorgesetzten.

Ihr Plan war, unbezahlten Sonderurlaub zu nehmen, um sich zu erholen. Doch ihr Vorgesetzter hatte eine bessere Idee. Er bot ihr an, ein viermonatiges Sabbatical zu nehmen und weiterhin die Hälfte ihres Gehalts zu bekommen. Die vier Monate nach der Rückkehr in den Job würde sie wieder so viel arbeiten wie vorher, aber weiterhin für die Hälfte des Gehalts. Berkenkopf stimmte zu. Sie war die Erste in ihrem Betrieb, die ein Sabbatical nahm – eine allgemeine Regelung gab es vorher noch nicht.

Sabbaticals können hilfreich sein, um Dinge zu erledigen, die im normalen Arbeitsalltag zu kurz kommen: der extralange Urlaub, mehr Zeit am Stück für Sorgearbeit, Zeit für Weiterbildung oder zur Prävention von Krankheiten, für das Ehrenamt, die Promotion oder die Pflege der betagten Eltern. Dabei kann das Sabbatical auch nur ein paar Wochen oder Monate lang sein.

Tarifpolitische Ansätze

Die Idee, dass es Phasen im Leben geben muss, in denen Arbeit eine größere oder eine kleinere Rolle spielt, ist nicht neu. Seit über einem Jahrzehnt gibt es für viele dieser Fälle auch gesetzliche Regelungen, vor allem für die Sorgearbeit. Frischgebackene Eltern haben Anspruch auf Elternzeit in den ersten Lebensmonaten des Kindes. Beschäftigte können sich von der Arbeit freistellen lassen, um Angehörige zu pflegen. Dennoch sind die Regelungen oft nicht ausreichend, zu bürokratisch oder mit Nachteilen verbunden wie die Familienpflegezeit: Der Staat bezuschusst die langfristige Pflege von Angehörigen nicht, sondern gewährt den Beschäftigten nur ein Darlehen, das sie zurückzahlen müssen. Viele schreckt so etwas ab.

Da liegt es nahe, an die Tarifpolitik zu denken. Die Arbeitszeitforscherin Svenja Pfahl hat zusammen mit ihren Kollegen Stefan Reuyß und Esther Mader tarifliche Regelungen für Sabbaticals untersucht, die es bereits gibt. Bisher gibt es sie nur bei der IG Metall, der IG BCE, der EVG und der Deutschen Post. Bei der IG Metall bezieht sich der Tarifvertrag nur auf Freistellungen für Weiterbildung. Auf Unternehmensebene sind die
Bedingungen für ein Sabbatical oft in Betriebs­vereinbarungen geregelt. Bei den meisten Firmen  zahlen die Arbeitnehmer über einen längeren Zeitraum einen Teil ihres Gehalts oder Sonderleistungen auf ein Langzeitkonto ein. Während des Sabbaticals bekommen sie das angesparte Geld ausgezahlt. Sabbaticals sind laut Pfahl ein „einfacher und erfolgreicher Weg“, um Arbeitnehmer langfristig an den Betrieb zu binden. „Viele Betriebe haben das Bild von immer verfügbaren Beschäftigten, aber so ist die Realität nicht“, sagt die Forscherin. Das männlich geprägte Leitbild von 40 Jahren Arbeit und anschließender Rente treffe auf immer weniger Menschen zu. Stattdessen würden die Arbeitszeiten mit den Lebensabschnitten fluktuieren, sodass es Phasen mit mehr und weniger Arbeit gebe: „Arbeitgeber können attraktiver werden, wenn sie auch die Phasen des Weniger-Arbeitens besser begleiten.“

Das klingt gut, doch tatsächlich scheint das Interesse eher geringer zu sein als vor zehn Jahren. „Aus den Betrieben kommt aktuell wenig Nachfrage nach Sabbaticals“, sagt Sophie Jänicke, die das Ressort Tarifpolitische Themen und Handlungsfelder im Vorstand der IG Metall leitet. „Viel häufiger kommt der Wunsch nach der Viertagewoche oder einem etwas früheren Ausscheiden aus dem Job zu guten Konditionen.“ Es hat den Anschein, dass die Lebenswirklichkeit und die Lebensmodelle in vielen Betrieben noch traditioneller sind, als das in manchen wissenschaftlichen Arbeiten herbeigewünscht wird. Die Sabbaticals seien eher etwas für Höherqualifizierte mit entsprechendem Einkommen. Dazu kämen neue Formen der Arbeit: „Eher wird die mobile Arbeit über das eigene Zuhause hinausgedacht. Die Leute wollen nicht mehr eine Auszeit in Thailand, sondern lieber von da aus arbeiten.“ Auch die tarifliche Bildungsteilzeit, die ihre Gewerkschaft ausgehandelt hat, sei trotz ihrer Wichtigkeit aktuell noch nicht sehr gefragt: „Gerade bei Leuten, die im Schulsystem schlechte Erfahrungen gemacht haben, ist Weiterbildung manchmal ein schwieriges Thema.“

Es kommt aktuell wenig Nachfrage nach Sabbaticals, auch die Bildungsteilzeit ist noch nicht sehr gefragt.“

SOPHIE JÄNICKE, Vorstand der IG Metall

Bettina Kohlrausch, die Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institutes (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung, sieht beim Thema Weiterbildung nicht allein die Betriebe in der Pflicht, sondern verweist auf den Staat: „In körperlich belastenden Berufen halten die Menschen nicht bis zur Rente durch“, sagt sie. „Ihnen eine Unterbrechung der Arbeit für eine Neuorientierung zu ermöglichen ist daher sinnvoll und sollte eine politische Aufgabe sein.“

Vorbild Österreich

Wichtig sei dabei aber vor allem eine vernünftige finanzielle Absicherung. Ein Vorbild könnte Österreich sein. Dort gibt es das Gesetz zur Bildungskarenz. Beschäftigte können mit Erlaubnis ihres Arbeitgebers ihre Arbeit unterbrechen, um sich zwei bis zwölf Monate weiterzubilden oder zu studieren. Sie können die Bildungskarenz auch in Teilen nehmen und auf bis zu zwei Jahre strecken. Während der Bildungskarenz erhalten die Arbeitnehmer vom Staat ein Weiterbildungsgeld in Höhe des Arbeitslosengeldes. 

Außerdem gibt es die gesetzlich garantierte Möglichkeit, eine Bildungsteilzeit mit dem Arbeitgeber zu vereinbaren. Dabei können Beschäftigte ihre Arbeitszeit halbieren, um mindestens zehn Stunden in der Woche Weiterbildungskurse zu besuchen. Der Staat bezuschusst die Bildungsteilzeit mit 91 Cent pro Stunde, um die Beschäftigte ihre Arbeitszeit verkürzt haben. In Deutschland gibt es bisher auf Länderebene nur einen Anspruch auf fünf Tage Weiterbildung im Jahr, den sogenannten Bildungsurlaub, und auch den nicht in jedem Bundesland.

Zusätzlichen Bedarf über die recht mager ausgestattete Pflegezeit sieht Kohlrausch auch für Arbeitszeitunterbrechungen bei Vollzeit arbeitenden  Eltern und Beschäftigten, die ihre Angehörigen pflegen. „Es wird zu oft nur das als Arbeit angesehen, was auch bezahlt wird“, sagt Kohlrausch. „Zwei volle Stellen und dann noch Sorgearbeit sind einfach zu viel.“ Gerade während der Pandemie habe sich gezeigt, wie verbreitet in solchen Konstellationen Erschöpfung und pure Überlastung waren. Hier sind Erholungsphasen sinnvoll. Wer wissen will, wie sehr das hilft, muss Katrin Berkenkopf fragen. Sie sagt: „Ich habe mir Zeit für mich genommen, Sport gemacht, mich mal mit einem Buch in die Sonne gesetzt. Jetzt kann ich besser Grenzen ziehen und weiß, wann es zu viel wird.“ Von der Weltreise träumt sie immer noch.

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