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Magazin Mitbestimmung

Fiat: Langsames Sterben

Ausgabe 01+02/2013

Statt gemeinsam die Krise zu überwinden, setzt das Fiat-Management auf den Konflikt mit den Gewerkschaften – und zieht sich vom Standort Europa zurück. Von Michaela Namuth

In der Fiat-Fabrik bei Neapel im süditalienischen Pomigliano d’Arco bekommen die Mitarbeiterkinder im Winter eine Eintrittskarte für den Zirkus, und im Sommer organisiert die Firma Ausflüge ans Meer. „Aber wenn du dich am Arbeitsplatz verletzt, erwartet die Firma, dass du im Krankenhaus erzählst, du seist zu Hause hingefallen. Und wenn dir ein Teil vom Montageband fällt, weil du ohne Pause und Klimaanlage arbeitest, wirst du am Ende der Schicht öffentlich von deinem Vorgesetzten gedemütigt.“ So beschreibt ein Fiat-Arbeiter in einem Interview mit der Tageszeitung „Il Manifesto“ die raue und paternalistische Arbeitswelt in dem Werk, wo sich derzeit die dramatischsten Szenen der Krise des Autokonzerns abspielen.

Vor zwei Jahren hatte Fiat-Chef Sergio Marchionne dort mit der Drohung, ansonsten das Werk zu schließen, einen Haustarifvertrag durchgesetzt. Der gilt seit Dezember 2011 für alle italienischen Fiat-Werke und sieht die Aufhebung des Streikrechts, weniger Pausen und mehr Sonderschichten vor. Und er bedeutet vor allem, dass der größte private Arbeitgeber des Landes aus dem nationalen Tarifsystem ausgestiegen ist. Das Problem sind dabei nicht nur die niedrigen Löhne, die in Pomigliano rund 900 bis 1200 Euro betragen, sondern vor allem die Arbeitsbedingungen und das Betriebsklima. Mitglieder der linksgerichteten Metallgewerkschaft Cgil-Fiom hatten sich der Unterzeichnung des Knebel-Haustarifvertrags verweigert; ihnen und damit 147 der 2150 Beschäftigten wurde gekündigt. Nach einem Gerichtsurteil, das den Konzern im vergangenen November wegen antigewerkschaftlicher Aktivitäten verurteilte, müssen die Gekündigten nun nach und nach wieder eingestellt werden. Daraufhin drohte Chefmanager Marchionne, dass er für die ersten 19 Einstellungen im Gegenzug 19 Kollegen entlassen werde, was landesweit mit Empörung aufgenommen wurde (Mitbestimmung 12/2012). Gleichzeitig ist das Werk, in dem der Fiat Panda produziert wird, die Vorzeigefabrik der Italiener, die nach den Prinzipien des „World Class Manufacturing“ umstrukturiert worden war. Das neue, „schlanke“ Organisationssystem, das die Einbeziehung der Belegschaft in den Entscheidungsprozess voraussetzt, sollte Produktivität und Produktqualität erhöhen. Die Gewerkschaften signalisierten Kooperationsbereitschaft, doch am Ende war von Beteiligung nicht mehr die Rede. Das Management des Italo-Kanadiers Marchionne setzte weiter auf den autoritären Führungsstil, den schon die Industriellenfamilie Agnelli gepflegt hatte.

 Hier liegt ein Hauptgrund für das Scheitern des Konzerns, der in der Krise schlechter abschneidet als die Konkurrenz. Denn mit einem Dauerkonflikt in den industriellen Beziehungen kann es nicht gelingen, die Produktion zu modernisieren. „Die Einführung von World Class Manufacturing steht im völligem Widerspruch zum Verhalten des Konzerns. Verweigerung von Arbeitnehmerrechten und Ausschluss der Gewerkschaften ist ein altes Modell, das Innovationen blockiert“, erklärt Enzo Masi, Koordinator der Autosparte bei der Fiom. Als Alternativkonzept gelten selbst der traditionell eher konfliktorientierten Fiom heute „das deutsche Modell“ bei VW und die gesetzlich garantierten Beteiligungsrechte der Belegschaft.

INTERESSE AN EUROPA VERLOREN

Das Problem: Die italienischen Gewerkschaften können über die Zukunftsstrategien des Autokonzerns nur Mutmaßungen anstellen. „Die italienischen Gewerkschaften sind bestimmt die Letzten, mit denen ich über globale Strategien und neue Modelle diskutiere“, ließ Fiat-Chef Marchionne über die italienische Presse wissen. Klar ist inzwischen, dass er und der Agnelli-Clan, der mit einem Drittel Kapitalanteil immer noch Hauptaktionär von Fiat ist, das Interesse am Produktionsstandort Europa verloren haben.

Marchionne, der auch Chef der US-Marke Chrysler ist, will die Fusion beider Konzerne zu Ende bringen. Die angepeilten Märkte sind Nord- und Südamerika, China und Japan. 2013 werden am Chrysler-Standort Detroit 1250 neue Arbeitsplätze entstehen, um die Produktion auf 2,6 Millionen Wagen hochzufahren. In Italien jedoch, wo der Konzern jahrzehntelang mit Staatssubventionen gefüttert wurde, stagniert die Fertigung in den Werken des Fiat-Konzerns – zu denen auch die Marken Alfa Romeo, Lancia und Ferrari gehören – bei rund 450 000 Autos. Oft wird die Produktion aufgrund von Auftragsmangel wochenlang unterbrochen. Die Beschäftigungszahl in der Fiat-Autosparte ist in den vergangenen zehn Jahren weltweit von 74 000 auf 54 000 geschrumpft. Davon sind 22 000 Arbeitsplätze in Italien. Die Anteile der Italiener am europäischen Automarkt sinken kontinuierlich, Fiat liegt mit fünf Prozent abgeschlagen hinter den Konkurrenten Renault, General Motors, Ford, Peugeot Citroën und dem Marktführer Volkswagen. Die Investitionen in Forschung und Technologie rangieren mit weniger als vier Prozent unter dem Branchendurchschnitt.

„Fiat hat sich dafür entschieden, nicht in Europa zu investieren“, sagt Susanna Camusso, Vorsitzende der größten italienischen Gewerkschaft Cgil. Als Mario Monti – zusammen mit Marchionne im Fiat-Werk Melfi – im Dezember 2012 als Kandidat für die Parlamentswahlen auftrat, war ihre Gewerkschaft wieder die einzige, die nicht geladen worden war. Was Marchionne und Monti eint, ist vor allem die Abneigung gegen Gewerkschaften.

MODELL WOLFSBURG

Für Italien ist das langsame Sterben des einzigen Automobilkonzerns gerade in Zeiten von Wirtschaftskrise und radikalen Sparmaßnahmen eine Katastrophe. An Fiat hängt ein dichtes Zulieferernetz, in dem künftig nur die Betriebe überleben werden, die Kunden außerhalb Italiens finden. Allein in der Region Piemont, der Gegend um das Turiner Stammwerk Mirafiori, existieren 900 hoch spezialisierte und innovative Systemzulieferer. Sie orientieren sich jetzt in Richtung Norden, konkret in Richtung Wolfsburg. Zu den Ersten, die zu VW übergelaufen sind, gehört die Designfirma Italdesign von Giorgio Giugiaro. In dieser Firma wie auch bei dem Sportwagenhersteller Lamborghini und der Motorradfabrik Ducati, die inzwischen beide zu VW gehören, hat das neue Mangement keine Probleme mit den linken Metallgewerkschaftern von der Fiom, mit denen sich das Fiat-Management so schwertut.

Bei Lamborghini wurde diesen Sommer für die 900 Beschäftigten ein Vertrag über Leiharbeitbegrenzung nach deutschem Modell abgeschlossen. „Hier existiert ein modernes Beteiligungssystem, der Beweis, dass die Firma profitiert, wenn die Gewerkschaftsbeziehungen funktionieren“, sagt Bruno Papignani, regionaler Fiom-Sekretär.

Auch einigen italienischen Unternehmern kommen inzwischen Zweifel, ob die heimische Industrie noch Zukunftschancen hat, wenn sie den Standort Italien mit seinem Know-how in Design und Technik so abwertet, wie es derzeit bei Fiat geschieht. Ex-Olivetti-Chef Carlo De Benedetti kommentierte in einem Interview die Übernahme von Giugiaros Designwerkstatt durch die Deutschen so: „Statt auf Billigproduktionen sollten wir auf unsere Fähigkeit setzen, schöne Dinge zu fertigen, die der ganzen Welt gefallen. Nur so können wir den Kampf um die Arbeitsplätze gewinnen.“ Diese Meinung teilt er mit einer Gruppe von Unternehmern, die die inzwischen abgetretene Regierung Monti aufgefordert hatten, weniger zu sparen und mehr in Industriepolitik zu investieren – ohne Erfolg. 

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