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Cya Bazzaz Stipendiat Magazin Mitbestimmung

Studienföderung: Kunst trifft Gewerkschaft

Ausgabe 06/2022

Die Hans-Böckler-Stiftung unterstützt auch Kunstschaffende. Ein Pianist, eine Regisseurin und ein digitaler Künstler erhielten ein Stipendium und damit Einblicke in die Gewerkschaftswelt, die ihnen vorher fremd war. Von Jeannette Goddar

Cya Bazzaz, Komponist und Pianist

Mit einem musikalischen Wunderkind, das mit drei Klavier spielt und mit sechs auf der Bühne steht, hatte Cya Bazzaz nichts gemein. Er war schon zwölf, als er sich Gitarre und Keyboard selbst beibrachte, in einem Elternhaus, das vollauf damit beschäftigt war, vier Kinder in einem fremden Land auf einen guten Weg zu bringen. Seine Eltern hatten im Norden des Irak studiert, in Deutschland fuhr der Vater Taxi, die Mutter kümmerte sich um die Familie. Als ein Lehrer das Talent des kurdischen Berliners erkannte, war er schon 17. Erst dann meldete er sich an einer Musikschule an.

Was folgte, nennt Cya Bazzaz selbst einen verrückten Werdegang. Nach zwei Jahren gab es den ersten Förderpreis für ein Orchesterwerk, kurz darauf die erste Uraufführung eines Violinkonzerts. Wenig später plagten ihn Schmerzen im Handgelenk, Klavierspielen war über Jahre kaum möglich. „Ein Funke muss mich geleitet haben“, erzählt er, „nicht aufzugeben war im Grunde irrational.“ Immerhin, als Komponist konnte er dranbleiben, und als solcher stieg mit jedem Erfolg sein Selbstbewusstsein – auch seinen Eltern gegenüber. „Die hätten mich gern als Arzt, Ingenieur, oder Anwalt gesehen“, erzählt er, „was aus ihrer Perspektive auch völlig verständlich ist.“ Aus heutiger Sicht allerdings würde er gern mehr junge Menschen inspirieren, „ihren Interessen zu folgen, nicht einem vermeintlich vorgezeichneten Weg“.

Denn inzwischen studiert der Böckler-Stipendiat an der Berliner Universität der Künste im fünften Semester Klavier, im neunten Komposition. Bei der Hans-Böckler-Stiftung bewarb er sich auf Anregung einer Dozentin. Kontakt zu Gewerkschaften hatte er zuvor nie. Das passende Vokabular ist ihm hingegen wenig fremd: „Als Solo-Selbstständiger muss ich durch meine Kunst einen Mehrwert schaffen. Von Tarifkämpfen ist das weit entfernt.“ Und: Mitbestimmung und Teilhabe seien ihm auch bei seiner Musik wichtig: Wie bezieht man das Publikum in die Gestaltung von Konzerten ein? Wie können musikalische Kompetenzen besser gefördert werden, als das heute in Schulen geschieht? „All das sind Fragen, die mich bewegen“, berichtet Cya Bazzaz, der auch in seine Kompositionen gesellschaftspolitisch-philosophische Themen einbaut: „Ich bin immer auf der Suche nach neuen Perspektiven.“

  • Linda Glanz, angehende Regisseurin

Linda Glanz, angehende Regisseurin

Ans Theater sollte es gehen, das wusste Linda Glanz früh. Schon als Schülerin nahm sie an Performancewettbewerben teil, machte im Jugendclub des Deutschen Theaters in Berlin mit. „Was genau mir so gefiel, kann ich gar nicht sagen“, erzählt sie, „doch ich habe mich unter Theatermenschen immer wohlgefühlt.“

Also bewarb sie sich bei der Ernst-Busch-Hochschule für Schauspielkunst in Berlin, dort, wo von Henry Hübchen über Nina Hoss bis Lars Eidinger Generationen von Schauspielern durch eine straffe Schule gingen. Linda Glanz indes zog es nicht auf die Bühne, sondern hin zu Gestaltung und Konzeption, in den Studiengang Schauspielregie, der an „der Ernst Busch“ ebenfalls angeboten wird. Das Auswahlverfahren hatte es in sich. Als Höhepunkt der dreistufigen Auslese mussten die, die so weit gekommen waren, unter anderem unter den Augen von Schaubühnen-Intendant Thomas Ostermeier Regie führen. „Eine krasse Prüfungssituation“, konstatiert Linda Glanz und fragt: „Muss man potenzielle Studierende wirklich so etwas aussetzen?“ Dennoch ist sie froh, dass sie durchhielt – und angenommen wurde: „Heute erlebe ich die Atmosphäre meist als wertschätzend und inspirierend. Was immer wir vorhaben, wir werden unterstützt.“

In ihrer Arbeit ist die Berlinerin, die im vierten Semester studiert, immer auf der Suche nach aktuellen Themen. Schon für ihre Bewerbung arbeitete Linda Glanz zum Thema Supermarkt; für das kommende Semester plant sie eine Regiearbeit mit einigen Kassiererinnen. Wohin sie das führen wird, ob in die freie Szene oder an ein Stadttheater, ist noch offen, auch weil sie es sich in ihrer Branche kaum aussuchen kann. „Im Grunde sind wir alle darauf eingestellt, von Spielzeit zu Spielzeit zu schauen, was geht.“ Weil auch ihre Eltern selbstständige Künstler sind, schreckt sie das wenig. An dem BöcklerK-Stipendium schätzt sie außer den Kontakten zu Menschen, die etwas ganz anderes machen, auch gewerkschaftliche Sichtweisen: „Geprobt wird oft bis 22 Uhr und auch am Wochenende. Selbstausbeutung, Work-Life-Balance, Vereinbarkeit von Beruf und Familie – all diese Debatten stehen am Theater noch an.“

Die Stiftung fördert Kunst

Mit dem BöcklerK-Stipendium unterstützt die Hans-Böckler-Stiftung Studierende aller Kunstrichtungen. Jährlich werden 15 Studierende aus dem Bereich der bildenden, angewandten und darstellenden Künste, der Musik, des kreativen Schreibens sowie der digitalen Kunst neu in die Förderung aufgenommen.

  • Jaro Habiger, Spezialgebiet digitale Kunst

Jaro Habiger, Spezialgebiet digitale Kunst

Es hätte auch Physik werden können oder Informatik. Als Jugendlicher verbrachte Jaro Habiger seine Freizeit im Schülerforschungszentrum, räumte so manchen Jugend-forscht-Wettbewerb ab, brachte sich selbst Programmieren bei. Doch als sich der Absolvent einer Reformschule die dazu passenden Studiengänge anschaute, stellte er fest: „Das wirkte alles enorm verschult.“

Also schickte der Kasseler eine Bewerbungsmappe an die Kunsthochschule, von der er wusste, dass dort freieres Lernen möglich ist. Zu sehen bekam die Auswahlkommission einiges, was Jaro Habiger für die Klimabewegung Fridays for Future gestaltet hatte. „Ich war ab dem dritten Treffen der Kasseler FFF-Gruppe dabei“, erzählt er, „und, weil ich gut am Computer war, eben schnell für Flyer und Demoaufrufe zuständig.“

Und das offenbar überzeugend. In diesen Tagen beginnt für ihn das zweite Semester im Studiengang Visuelle Kommunikation. Das nutzt er ebenfalls dafür, mit künstlerisch-digitalen Mitteln an politisch-gesellschaftlichen Botschaften zu arbeiten. Seine erste Uni-Arbeit, mit der er sich auch um das Böckler­K-Stipendium bewarb, ist dafür ein Beispiel: In einem künstlerischen Essay stellte er an einem interaktiven Ladebalken dar, wie lange Menschen in verschiedenen Berufen für einen Euro arbeiten müssen. „Ich wollte die Absurdität der Lohnungleichheit so plastisch darstellen wie möglich“, erzählt er. „Ich vermute, das hat auch der Hans-Böckler-Stiftung gefallen.“ Bei dieser beworben hat er sich vor allem wegen der angebotenen Seminare: „Ich bin kein Arbeiterkind, komme nicht aus der Gewerkschaftsbewegung. Gerade deswegen finde ich wichtig, mich linken Perspektiven zu nähern, die ich bisher nicht gut kenne“, sagt Jaro Habiger.

Wohin ihn das Studium führt, weiß er noch nicht – und so bald muss er das auch nicht. Seine Hochschule nimmt sich die Freiheit, weder Bachelor noch Master oder Diplom zu verleihen. Nach fünf Jahren bekommen die Absolventen den „Künstlerischen Abschluss der Kunsthochschule Kassel“. „Wenn alle Stricke reißen“, sagt er lakonisch, „kann ich dann ja immer noch Softwareentwickler werden. Der Plan ist es nicht.“

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