Quelle: HBS
Magazin Mitbestimmung: Kleine Truppen mit großen Aufgaben
GLOBAL UNIONS Die Globalisierung hat den weltweit aktiven Gewerkschaftsverbänden mehr Projekte und Mitglieder beschert - doch ihre Ressourcen bleiben begrenzt. Von Torsten Müller, Hans-Wolfgang Platzer und Stefan Rüb
Die Autoren bilden die Forschungsgruppe für Europäische und globale Arbeitsbeziehungen an der Hochschule Fulda/Foto: Nicole Dietzel
Unternehmen agieren weltweit. Arbeits-, Produkt- und Finanzmärkte sind weltumspannend. Entscheidungen globaler Institutionen wie etwa des Weltwährungsfonds setzen wesentliche Vorgaben für nationales politisches Handeln. Kurz: Die Globalisierung hat das gewerkschaftliche Handlungsumfeld tief greifend verändert. Manche Beobachter gehen deshalb so weit, den Gewerkschaften einen radikalen Bruch mit ihrer bisherigen Struktur und Politik zu verordnen. Sie müssten sich, so der Soziologe Ulrich Beck, "transnational neu erfinden".
Auf der anderen Seite können die Gewerkschaften auf eine mehr als 100-jährige Tradition organisierter internationaler Gewerkschaftszusammenarbeit zurückgreifen. Sie müssen sich deshalb in vielen Bereichen weniger neu erfinden als neu entdecken. Dies gilt auch für die Arbeit der globalen Gewerkschaften, die in der öffentlichen Wahrnehmung, aber auch im gewerkschaftlichen und betrieblichen Alltagsgeschäft noch immer ein Schattendasein führen. Welche Antworten haben die Gewerkschaften auf die globalen Herausforderungen?
Die globale gewerkschaftliche Verbandsstruktur besteht derzeit aus elf weltweiten, nach Branchen gegliederten Gewerkschaftsverbänden, den Global Union Federations. Die Umbenennung der früheren "Internationalen Berufssekretariate" in "Globale Gewerkschaftsverbände" (GUFs, wie sie auch im Deutschen genannt werden) erfolgte 2002. Unabhängig davon existiert der Internationale Gewerkschaftsbund, der IGB. In ihm haben sich im November 2006 insgesamt rund 230 Mitgliedsorganisationen des Internationalen Bunds Freier Gewerkschaften, IBFG, und 140 Mitgliedsorganisationen des Christlichen Weltverbands der Arbeit, WVA, aus über 150 Ländern zusammengeschlossen und dadurch nach über 100 Jahren ihre richtungsgewerkschaftliche Spaltung überwunden. Damit die Verbände nicht lose nebeneinander existieren, hat der Gründungskongress des IGB 2006 beschlossen, einen Globalen Gewerkschaftsrat einzurichten. Dort sollen Vertreter der GUFs und des IGB zusammen mit TUAC, dem gewerkschaftlichen Beratungsausschuss der OECD, verbindliche Aktionen festlegen (siehe Seite 34). Der Globale Gewerkschaftsrat wird aus einem gemeinsamen Haushalt finanziert und von Sekretariaten in Washington und Hongkong gesteuert.
HOCHGRADIG HETEROGEN_ Der Internationalismus der Arbeiterbewegung reicht weit zurück. Die Globalen Gewerkschaftsverbände sind aus den Internationalen Berufssekretariaten hervorgegangen, die sich im Zuge der Industrialisierung seit Ende des 19. Jahrhunderts nach berufsfachlichen Kriterien gegründet hatten - etwa für die Minenarbeiter, die Schneider und die Metallarbeiter. Sie waren anfangs transnationale Organisationsformen von europäischen Gewerkschaften unter Beteiligung einzelner nordamerikanischer und japanischer Gewerkschaften. Seit den 1950er Jahren dehnten sie sich sukzessive in andere Weltregionen aus, wobei die europäischen Gewerkschaften parallel zur europäischen Integration hin zur Wirtschafts- und Währungsunion eine Struktur aufbauten, die sich von anderen Weltregionen signifikant unterscheidet. Wirklich globale Verbände bildeten sich erst mit der Systemtransformation des ehemaligen Ostblocks seit Anfang der 1990er Jahre heraus, als
die Gewerkschaften aus Mittel- und Osteuropa und den postsowjetischen Ländern Zentralasiens dazukamen. Weiterhin von der Mitgliedschaft im IGB und den GUFs ausgenommen bleiben die chinesischen Staatsgewerkschaften.
Globale Gewerkschaftsverbände sind hochgradig heterogene Organisationen. Manche sind noch unerfahren, andere etabliert. Sie sind in unterschiedliche industrielle Kulturen eingebettet, sie unterscheiden sich in ihrer Struktur, Größe, Finanzkraft und Organisationsmacht. Hinzu kommen die Vielfalt an Sprachen, Mentalitäten und Interessenlagen sowie die räumlichen Entfernungen. Die Globalen Gewerkschaftsverbände sprechen im Namen von vielen Millionen Mitgliedern. Zugleich verfügen sie über einen überschaubaren Hauptamtlichenapparat von 20, 70, vielleicht 100 Beschäftigten, der angesichts der Komplexität der internen Organisation, des geringen Budgets und der Vielfalt der Aufgaben an seine Grenzen stößt.
Die Aufnahme der neuen postkommunistischen Gewerkschaften hat zwar die Repräsentativität der Globalen Gewerkschaftsverbände erhöht, sie hat aber zugleich das Ressourcenproblem weiter verschärft, weil die Neuen wenig Mitgliederressourcen mitbringen, aber hochgradig unterstützungsbedürftig sind. Gleichzeitig büßten in den 90er Jahren viele Gewerkschaften aus den industriellen Kernländern Europas und in Nordamerika Finanzkraft ein, weil sie hohe Mitgliederverluste hinnehmen mussten. So hat trotz moderater Beitragserhöhungen und Ausbau der Regionalbüros die Abhängigkeit der globalen Gewerkschaftsorganisationen von externen Ressourcen zugenommen. Die Finanzmittel, die ihnen etwa von dem niederländischen FNV Mondiaal, der deutschen Friedrich-Ebert-Stiftung und der international aktiven LO Norwegen für die Gewerkschaftsentwicklungsarbeit zur Verfügung gestellt werden, liegen bei einzelnen GUFs in der Größenordnung ihres eigenen mitgliederfinanzierten Etats.
Die Globalen Gewerkschaftsverbände unterstützen die Gewerkschaftsarbeit ihrer Mitgliedsorganisationen durch Bildungsarbeit, internationale Solidaritätsaktionen und Kampagnen. Gerade dort, wo Gewerkschaften schwach sind, wird die Stärkung der nationalen Gewerkschaften immer mehr zur Voraussetzung, um auf jene Unternehmensstrategien reagieren zu können, die die Belegschaften verschiedener Standorte und Zulieferbetriebe in Konkurrenz setzen. Angesichts der knappen Ressourcen setzen die GUFs auf interne Kommunikation und Kampagnen im weltweiten Netz. So nutzt UNI YouTube, um mit Videos gegen Lohndumping bei der Posttochter DHL zu protestieren. So fordert die Internationale Union der Lebensmittelgewerkschaften (IUL) im Internet und via Newsletter Gewerkschafter in aller Welt zu Protestschreiben gegen gewerkschaftsfeindliche Unternehmenspraktiken von Multis wie Nestlé, Unilever oder Coca Cola auf.
Die Beteiligung an den Beratungs- und Normsetzungsprozessen internationaler Regierungsorganisationen und das informelle Lobbying gehören zu den Routinen der globalen Gewerkschaftsverbände. Ansetzen können die GUFs in Sektoren, in denen zum Beispiel die Weltbank mit über die Vergabe öffentlicher Gelder entscheidet, wie dies im Organisationsbereich der Internationale der Bau- und Holzarbeiter, BHI, der Fall ist - etwa bei der Finanzierung von Bau- und Infrastrukturprojekten. Oder dort, wo internationale Regierungsinstanzen globale Standards setzen, die die Interessenssphäre eines Verbandes tangieren wie bei der Internationalen Transportarbeiterföderation ITF im Bereich der internationalen Verkehrssicherheit.
Der Aufbau von Dialog- oder gar Tarifbeziehungen auf globaler Branchenebene scheitert vielfach bereits daran, dass auf der Arbeitgeberseite keine globalen Verbandsstrukturen bestehen. Eine positive Ausnahme bildet die Seeschifffahrt, wo es dem ITF gelungen ist, mit dem International Maritime Employers' Committee (IMEC) einen internationalen Lohntarifvertrag abzuschließen. Die Einhaltung des Tarifvertrags wird über ein weltweites Netzwerk von ITF-Hafeninspektoren sichergestellt, die diese Tarifnormen auf Schiffen kontrollieren und sie im Verbund mit örtlichen Gewerkschaften im Fall des Falles durch Protestaktionen oder Warnstreiks durchsetzen.
DYNAMISCHSTEs HANDLUNGSFELD_ Der dynamischste Bereich globaler Gewerkschaftsarbeit ist zurzeit eindeutig die Konzernpolitik. Während sich die großen multinationalen Unternehmen mehr und mehr an einer globalen Produktionsorganisation ausrichten, wächst das Interesse der Gewerkschaften, in solchen Unternehmen transnationale Gewerkschaftsstrukturen aufzubauen und einheitliche Mindeststandards zu sichern. Der Vernetzungsbedarf, der von Belegschafts- und Gewerkschaftsvertretern an die Globalen Gewerkschaftsverbände herangetragen wird, bricht sich aber an deren limitierten finanziellen und personellen Ressourcen. Die Organisation weltweiter Treffen ist aufwendig und angesichts der Reise- und Dolmetschkosten teuer. Doch ohne regelmäßige Treffen, allein über elektronische Vernetzung kann schwerlich eine kontinuierliche Kommunikation und Vertrauensbildung sichergestellt werden. Noch ist nicht entschieden, ob es den globalen Gewerkschaftsverbänden gelingt, globale konzernbezogene Strukturen über einzelne und zeitweilige Projekte hinaus zu etablieren.
Weltbetriebsräte, die einzelne Unternehmen wie Volkswagen, Daimler oder der Wälzlagerproduzent SKF auf freiwilliger Basis eingerichtet haben, sind aus Sicht der Globalen Gewerkschaftsverbände ambivalent. Sie fördern einerseits die grenzübergreifende gewerkschaftliche Vernetzung von Belegschaftsvertretern und sichern einen Dialoganspruch mit der Konzernspitze institutionell ab. Andererseits sind sie der Sphäre der Globalen Gewerkschaftsverbände tendenziell entzogen, weil Weltbetriebsräte betriebliche und nicht gewerkschaftliche Strukturen darstellen.
Das dynamischste Handlungsinstrument der Globalen Gewerkschaftsverbände sind die Internationalen Rahmenvereinbarungen, die soziale Mindeststandards und Gewerkschaftsrechte festschreiben. Gleichwohl wird deren Bedeutung von vielen Gewerkschafts- und Arbeitnehmervertretern noch immer unterschätzt. Dabei markieren sie einen Durchbruch der Vereinbarungspolitik auf globaler Unternehmensebene. Durch sie werden nicht nur erstmals alle Standorte eines Konzerns weltweit, sondern vielfach auch deren Zulieferer einheitlichen sozialen Mindeststandards unterworfen. Relativiert wird dieser Politikansatz dadurch, dass das Niveau dieser Sozialstandards sehr niedrig und die praktische Um- und Durchsetzung der Vereinbarungsbestimmungen gerade in den Zulieferketten sehr schwierig ist.
Die Globalen Gewerkschaftsverbände erfahren durch die Internationalen Rahmenvereinbarungen eine enorme Aufwertung, da sie dadurch erstmalig von den Konzernzentralen als Verhandlungs- und Vertragspartner anerkannt werden. Gleichwohl steht die Entwicklung dieses Handlungsinstruments mit bisher rund 70 Internationalen Rahmenvereinbarungen, die überwiegende Mehrzahl davon in europäischen Konzernen im letzten Jahrzehnt abgeschlossen, noch am Anfang. Momentan ist weder absehbar, wie viele Konzerne bereit sein werden, zukünftig eine solche Vereinbarung abzuschließen, noch welche praktische Wirksamkeit sie letztlich entfalten werden. Schon heute ist aber absehbar, dass Internationale Rahmenvereinbarungen nur erfolgreich sein werden, wenn die Ressourcen mitverhandelt werden, die die Unternehmen für die Umsetzung und Kontrolle der Vereinbarungsbestimmungen bereitstellen. Denn die GUFs würden mit dieser Aufgabe auf Dauer finanziell und personell überfordert sein.
HANDLUNGSDILEMMA_ Die Globalen Gewerkschaftsverbände befinden sich in einem Dilemma: Steigende Anforderungen ihrer Mitgliedsverbände stehen weitgehend gleichbleibende finanzielle und personelle Ressourcen gegenüber. Bestand für die starken Gewerkschaften der industriellen Kernländer - Europa, Nordamerika und Japan - die Funktion internationaler Gewerkschaftsarbeit lange Zeit in der Solidarität gegenüber sich entwickelnden Gewerkschaften des globalen Südens, so hat sich dies mittlerweile grundlegend geändert.
Die Gewerkschaften der OECD-Industrieländer, die im nationalen Rahmen traditionell handlungs- und durchsetzungsstark waren, sind selbst verstärkt auf transnationale Organisation und Solidarität angewiesen, um globalen Produktionsstrategien begegnen zu können. Die deutschen Gewerkschaften sollten deshalb mehr denn je darauf bedacht sein, die Handlungsfähigkeit ihrer globalen Verbandsstrukturen zu erhalten und zu verbessern.