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Magazin Mitbestimmung

Von DIRK MANTEN: Kapitalismuskritik mit Mehrwert

Ausgabe 06/2017

Rezension Theoriediskussionen sind schön und gut. Was hat die Praxis davon? Das Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen versucht den Brückenschlag.

Von DIRK MANTEN

Jede Strategie zur Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse bedarf einer fundierten Analyse. Die Frage, in welche Richtung sich „der“ Kapitalismus entwickelt, ist deshalb nicht nur von akademischem Interesse. Sie hat eine ganz praktische  Bedeutung. Die Sozialwissenschaftler Thomas Haipeter,  Erich Latniak und Steffen Lehndorff vom Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen unternehmen als Herausgeber des Sammelbandes „Arbeit und Arbeitsregulierung im Finanzmarktkapitalismus“ den Versuch, die Wirtschaftssysteme des Westens zu beschreiben und ihre Entwicklung zu erklären.

War bis in die 1980er Jahre hinein, so Haipeter in seinem einleitenden Beitrag,  die standardisierte Massenproduktion mit einem hohem Maß an kollektiver Regulierung der Arbeitsverhältnisse vorherrschend, so ist die moderne Arbeitswelt durch andere Phänomene gekennzeichnet:  Arbeitsverdichtung, Anstieg psychischer Belastungen, Zunahme prekärer Beschäftigungsformen, schwindende Bindungswirkung tarifvertraglicher Normen. Die Herausgeber schlagen vor, diese Entwicklungsphase mit dem Begriff „Finanzmarktkapitalismus“ zu belegen, da seit dem Beginn der 1990er Jahre, so Erich Latniak, eine  zunehmende „Übertragung (…) abstrakter Kategorien und Erfolgsmaßstäbe aus dem Finanzmarkt auf die Realwirtschaft“ zu verzeichnen sei.

Auf der Ebene der Unternehmensführung äußert sich dieser Paradigmenwechsel an der überragenden Bedeutung, die dem Marktwert des Unternehmens und der Erfüllung kurzfristiger Renditeerwartungen beigemessen wird. Typisch für eine Arbeitsorganisation in diesem Sinne sind neuartige Steuerungs-  und Kontrollformen im Unternehmen: In immer mehr Betrieben „werden systematisch finanzwirtschaftliche Kennziffern eingesetzt, bei der die vorgegebenen Leistungsziele von den Beschäftigten in eigener Verantwortung zu erbringen sind“.

Macht was ihr wollt, aber seid profitabel, – so lautet zugespitzt der Glaubenssatz dieser als „indirekte Steuerung“ bezeichneten Vorgehensweise. Dieses Prinzip ist schon oft beschrieben worden. Die Beiträge des Bandes, die aus verschiedenen IAQ-Projekten hervorgegangen sind, verschränken jedoch Fragen der soziologischen Theoriedebatte mit anwendungsorientierter Forschung. Darin liegt ihre Stärke. Ihre Autoren spüren den Auswirkungen des neuen Kapitalismus im Arbeitsalltag nach – bei der Arbeitszeit, bei tariflichen Entgeltsystemen und bei der betrieblichen Mitbestimmung.  Das ist Kapitalismuskritik mit einem hohen Erkenntnis- und Mehrwert.

Foto: Karsten Schöne

Thomas Haipeter, Erich Latniak, Steffen Lehndorff (Hg.): Arbeit und Arbeitsregulierung im Finanzmarktkapitalismus. Chancen und Grenzen eines soziologischen Analysekonzepts. Wiesbaden, Springer VS 2016. 297 Seiten, 49,99 Euro

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