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Magazin MitbestimmungLogistik: Jenseits des Gesetzes
Für Lkw-Fahrer gilt der Tarif des Landes, in dem sie unterwegs sind. Doch oft wird ihnen dieses Recht verweigert. Was bleibt von dem wilden, erfolgreichen Streik in Gräfenhausen? Von Kay Meiners
Ob ein polnischer Rambo gesucht wird oder ein polnischer Robert Geiss, Krzysztof Rutkowski könnte beide Rollen übernehmen. Der Detektiv, der schon mehrfach mit dem Gesetz in Konflikt kam, ist in Polen ein Reality-Star. Seine 200 000 Fans auf Facebook und Instagram lieben die Selfies mit Basecap und Goldkette, die Fotos mit schönen Frauen und fetten Autos aus deutscher Produktion. Am Karfreitag sorgte Rutkowski für Nachschub – mit Szenen wie aus einem Action-Film. Schauplatz war der deutsche Autobahnrastplatz Gräfenhausen-West an der A5 zwischen Frankfurt und Darmstadt. Rutkowski ließ einen martialischen Panzerwagen des Herstellers AMZ-Kutno vorfahren, aus dem Männer mit schusssicheren Westen stiegen.
Ihr Auftrag war, einen Streik zu brechen. Seit mehr als fünf Wochen lebten auf dem Rastplatz rund 60 Lkw-Fahrer aus Georgien und Usbekistan wie Gestrandete. Ihr Auftraggeber, das polnische Unternehmerehepaar Lukasz und Agnieszka Mazur, für das rund 700 geleaste Fahrzeuge fahren, schuldete ihnen zu diesem Zeitpunkt die Riesensumme von rund 300.000 Euro. Nach einer langen Leidensgeschichte war die Wut der geprellten Fahrer so groß, dass sie alles zusammenrechneten und sich zusammenschlossen. Sie wandten sich an den georgischen Gewerkschaftsbund, der sich zeitgleich bei der niederländischen Gewerkschaft FNV und beim DGB meldete. Dieser informierte das DGB-Netzwerk „Faire Mobilität“. Edwin Atema, ein FNV-Gewerkschafter, wurde als Mediator eingeschaltet.
Anna Weirich, zusammen mit ihrem Kollegen Michael Wahl Branchenkoordinatorin für internationalen Straßentransport beim Netzwerk Faire Mobilität, das in solchen Fällen arbeitsrechtliche Hilfe anbietet, war in den Streikwochen, in denen der Regen oft nicht aufhören wollte, häufig bei den Fahrern. Sie spricht fließend Russisch, was zur Verkehrssprache in Gräfenhausen wurde.
Wir haben nur beraten – es ist der Erfolg der Fahrer.“
Den Karfreitag, an dem der Panzerwagen auffuhr, erlebte sie live mit. Mit ihrem Fahrrad kam sie durch den nahe gelegenen Wald. „Hoffentlich ist das nicht das Ende“, war ihr erster Gedanke, als sie den martialischen Aufzug der Streikbrecher-Kolonne sah. Aber die Fahrer blieben gelassen. „Ich habe den Krieg in Abchasien miterlebt“, sagte einer, „so ein Panzerwagen kann mich nicht erschrecken.“ Die Polizei machte dem Treiben ein schnelles Ende. Es gab 19 vorläufige Festnahmen, dazu Anzeigen wegen schweren Landfriedensbruchs, Bedrohung, Nötigung, versuchter gefährlicher Körperverletzung und Störung einer Versammlung. Lukasz Mazur, der angereist war, um die Rückführung seiner Lkw zu begleiten, wurde unter dem Jubel der Fahrer in Handschellen abgeführt.
DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell, der die Fahrer vor Ort besuchte, nannte die Rutkowski-Leute einen „paramilitärischen Schlägertrupp“, ihr Erscheinen einen „ungeheuerlichen Vorgang.“ Das Presseecho war verheerend, aber Rückenwind für die Fahrer. Am 26. April twitterte Edwin Atema zufrieden: „Totaler Sieg in Gräfenhausen: Die geforderten 303.363,36 Euro bis zum letzten Cent bezahlt. Keine rechtlichen Schritte gegen die Fahrer. Die Fahrer haben die Parkplätze verlassen.“ Beim Einlenken sei weniger Einsicht im Spiel gewesen als Druck aus der Lieferkette, sagt Anna Weirich. Dem Hörensagen nach wollte etwa General Electric ganz dringend an seine Ladung. Den Sieg will die Gewerkschafterin nicht für sich und die Helfer reklamieren: „Wir haben diesen Protest weder geplant noch organisiert. Wir haben nur beraten. Es ist der Erfolg der Fahrer.“
Einen Schlägertrupp zu schicken, ist ein ungeheuerlicher Vorgang."
Löhne nach Lust und Laune
Die Löhne bei internationalen Speditionen haben mit den Gesetzen oft nicht viel zu tun. Edwin Atema spricht von einer Form des „Menschenhandels“, der hier stattfindet. Geliehene Lkw und Subunternehmen machen das Geflecht noch undurchsichtiger. Bei Mazur etwa sind die Fah-rer nach polnischem Recht selbstständig über Dienstleistungsverträge angestellt. Für ihren harten Job bekommen sie Tagessätze, die mündlich vereinbart werden. Im Schnitt etwa 80 Euro – bei Arbeitstagen, die 13 oder 15 Stunden lang sein können. Daran ändern auch die Proteste nichts. Eine Überprüfung durch die polnische Arbeitsinspektion würde dem Konstrukt vermutlich die Scheinselbstständigkeit attestieren. „Die Fahrer haben nur gelacht, als wir gesagt haben, dass sie ja nach polnischem Recht selbstständige Unternehmer sind“, erzählt Weirich. Wenn man versuche, die Auftraggeber in die Pflicht zu nehmen, bekomme man meist ausweichende Antworten: „Das ist eine Mischung von ‚Oh, wir wissen gar nicht, welcher Subunternehmer für uns fährt‘ bis ‚Danke für den Hinweis, wir haben die Zusammenarbeit eingestellt‘.“
Zwar existiert bereits ein Gesetzentwurf zur Umsetzung der EU-Straßenverkehrsrichtlinie und des Entsenderechts auf den Straßenverkehr. Doch für Michael Wahl „verkompliziert er eine ohnehin schon komplexe Richtlinienvorgabe zusätzlich“. Jede Umsetzung müsse sich daran messen lassen, dass Lkw-Fahrer in der Lage sein sollten, ihre Rechtssituation selbst verstehen zu können. Von den Regelungen nicht betroffen wären Fahrer, die EU-Länder nur durchfahren oder bilaterale Transporte fahren. Eine rasche Problemlösung ist aber nicht in Sicht.
So bleibt den Betroffenen einstweilen nur, die Saat des Protests weiterzutragen. Doch wilde Streiks wie in Gräfenhausen sind selten in Deutschland. Noch dazu waren sie anderswo nicht so erfolgreich. In Gräfenhausen war die Konstellation günstig: Die Unterstützung war riesig, der DGB sorgte für mobiles Internet, Menschen brachten Essen oder spendeten Bares. Aus Südkorea kam eine Grußbotschaft.„So etwas ist wichtig für die Moral“, sagt Weirich. Und sie sagt: „Manche der Leute aus Gräfenhausen melden sich noch bei uns. Sie berichten, wo sie gerade sind, und manchmal fragen sie um Rat: ‚Mein Kollege hat ein Problem. Könnt ihr etwas für ihn tun?‘.“ Das Netzwerk kann. Aber das eigentliche Erfolgsrezept, sagt die DGB-Beraterin, heiße „Solidarität und Entschlossenheit“.
Mindestlohn? Nein danke!
Wenn es darum geht, die Löhne abzusenken, sind viele Arbeitgeber im internationalen Transportgewerbe erfinderisch. Sie beschäftigen Fahrer, gerne aus armen Ländern, als Scheinselbstständige oder mit Dienstleistungsverträgen als Subunternehmer. Dazu kommt eine weit verbreitete Lohndrückerei. Jeder Vorwand, wie angebliche Schäden am Fahrzeug, Benzindiebstahl durch Dritte oder zu hoher Benzinverbrauch, wird für Abzüge genutzt.