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Magazin Mitbestimmung

: Ist Systemkritik verboten?

Ausgabe 05/2008

PRESSE Die aktuellen Unternehmensskandale haben dem Wirtschaftsjournalismus nachdenkliche Töne beschert. Aber enge Beziehungen sorgen weiter für einen hohen Konformitätsdruck.


Von BRIGITTA LENTZ, Journalistin in Köln

Die Fanfaren brauchten lange, um zu verhallen. Was war das für ein Jubilieren nach der Wiedervereinigung und dem Zusammenbruch des Ostens! Der Kapitalismus hatte den Kommunismus besiegt und sich als das bessere System herausgestellt. Und heute, knapp 20 Jahre danach? Strahlende Sieger stellt man sich anders vor. Es ist ziemlich viel faul in der Wirtschaft.

Die einstmals gerühmte ökonomische Führungselite ist zur meistgehassten Bevölkerungsgruppe geworden. Die globale schöne neue Kapitalisten-Welt ohne Blöcke gerät aus den Fugen: Banker verzocken Millionen. Vertriebs-Spitzenkräfte schmieren ihre Großkunden, um die Profite in die Höhe zu schrauben. Bei guter Ertragslage machen Konzerne wie der Handyproduzent Nokia oder der Elektronikriese BenQ ihre Schotten in Deutschland dicht und schicken Tausende auf die Straße, um im marktwirtschaftlich bekehrten Osten die Billigstlöhne auszunutzen.

Der jüngste Höhepunkt: Topkräfte von Rang und Namen bringen private Gelder in Millionenhöhe nach Liechtenstein, um sie dem deutschen Fiskus zu entziehen. Vorbilder sehen anders aus. Überall greift die Gier um sich. Die Schere zwischen Arm und Reich tut sich weiter auf. Die Armutsgrenze rückt bis in die Mittelschicht weiter vor. Der Turbokapitalismus entlässt seine Kinder. Soweit das Szenario.

Wir, das Volk oder "die Menschen draußen", wie man in Talkshows heute zu sagen pflegt, betrachten die Erosionsprozesse, die vor unseren Augen ablaufen, mit einer seltenen Melange aus Hilflosigkeit, Angst und ungläubigem Staunen. Fühlen wir uns entsprechend informiert? Begleitet die Wirtschaftspresse das, was da abläuft, kompetent genug und adäquat?

Ist sie kritisch genug, um die Rolle der vierten Gewalt im demokratischen Staate zu spielen, die gemeinsam mit Legislative, Exekutive und Judikative die Herrschaft der einen über die anderen verhindern soll? Wobei man der Fairness halber darauf hinweisen muss, dass die drei Letzteren ihren verfassungsmäßig verankerten Rang haben, während die vierte Gewalt - die Medien - ihre Rolle immer wieder neu suchen muss.

"Die Wirtschaftspresse berichtet seit einigen Jahren eindeutig kritischer", stellt Dieter Vollbracht fest, der beim Medienforschungsinstitut Media-Tenor die Szene beobachtet. Der Grund liegt auf der Hand - es häufen sich einfach die Skandale: Managergehälter, die sich von jeder Leistungsbezogenheit abgekoppelt haben, die Korruptionsaffären bei VW und bei Siemens und jetzt die Immobilienkrise.
 
PR-PROFIS HABEN ES SCHWERER_ Längst erscheinen in der Wirtschaftspresse die Topmanager nicht mehr als die smarten Alleskönner, sondern ihr Agieren, das sich eindeutig an monetären Größen orientiert, wird zum Teil scharf unter die moralische Lupe genommen. Gierig, hart, unsensibel, unmoralisch - so die Etiketten.

"Die Berichterstattung über die Skandale ist eindeutig wertend", sagt Vollbracht. Ethik, Werte und soziale Verantwortung können von den PR-Profis nicht mehr so leicht als menschelnde Feigenblätter der Unternehmen genutzt werden - sie liefern zunehmend auch den Maßstab für das Verhalten der Spitzenkräfte.

Der stillose Umgang mit Mitarbeitern - im Klartext: Entlassungen trotz guter Ertragssituation - wird kritischer thematisiert als früher, so die Experten von Media-Tenor. "Ein Drittel der Wirtschaftsberichte entfällt heute auf die personenbezogene kritische Darstellung", sagt Vollbracht.

Die Zeiten, in denen sich Wirtschaftsredakteure ausschließlich als diplomierte Ober-Betriebswirte verstanden und ihre Aufgabe darauf beschränkten, die komplizierter gewordenen wirtschaftlichen Zusammenhänge zu erklären und strategische Fehlentscheidungen zu kommentieren, scheinen erst einmal vorbei zu sein.

"Wir bemühen uns, unseren Blick zu weiten und auch die Wechselwirkungen zwischen Wirtschaft und Gesellschaft kritisch im Auge zu behalten", verspricht Arno Balzer, Chefredakteur des Hamburger Manager-Magazins (mm). "Dass Unternehmenspresse und Unternehmen Seit an Seit im selben Boot sitzen, das lässt sich heute nicht mehr eindeutig unterschreiben", meint Vollbracht.

Allerdings bezieht sich die Kritik meist stark auf einzelne Personen - vor Sippenhaftung und Systemkritik schrecken Wirtschaftsjournalisten meist zurück. Es sind Einzelne, die die Moralschelte abkriegen. Ist es nur die professionelle Vorsicht, oder gibt es eine Beißhemmung?

EIN SYSTEM VON GEBEN UND NEHMEN_ "Für Wirtschaftsjournalisten ist die Wertung immer eine Gratwanderung", sagt Walter Hillebrand, Mitglied der Chefredaktion von Capital. "Wir leben von den Anzeigen der Wirtschaft und brauchen die Manager als Gesprächspartner." Im Fall Zumwinkel geriet denn auch die Berichterstattung von Capital in eine deutliche Schieflage.

Während das Blatt in der Titelgeschichte seine Spitzen-Zielgruppe vor den neuen Waffen des Steuerstaats warnte, stellte Chefredakteur Klaus Schweinsberg im Editorial derselben Ausgabe die Frage: "Sind Topmanager asozial?" Er beantwortete sie auch sogleich mit einem klaren "Ja". Schweinsberg erklärte, die Topmanager müssten wieder Demut lernen: "Es mag verstörend klingen: Aber warum sollte der Chef eines DAX-Konzerns nicht verpflichtet werden, mehrere Tage im Jahr im Krankenhaus die Bettpfannen auszuleeren, in der Suppenküche für Obdachlose zu helfen oder einsame Menschen zu besuchen?"

Über die Sinnhaftigkeit solcher Vorschläge lässt sich trefflich streiten. Doch er zeigt die Tendenz: Der kritische Blick der Wirtschaftspresse bleibt immer häufiger an Verhalten und Person der Top-Elite haften und trifft damit auf die in der Gesamtbevölkerung vorhandene, breite Meinungsströmung. Doch wem nutzt das Moralisieren, und was ist von einer Wirtschaftspresse zu halten, die dort stehen bleibt, ihre Perspektive aber nicht erweitert?

JOURNALISMUS OHNE MESSAGE_ Klaus Martens, Historiker, WDR-Redakteur und Autor kritischer preisgekrönter Wirtschaftsfilme, zum Bespiel über die Rolle des ehemaligen Mannesmann-Chefs Klaus Esser in der Übernahmeschlacht mit Vodafone ("Der unsichtbare Dritte"), nimmt kein Blatt vor den Mund. Seine These: Es gibt auch einen Konformismus in der Kritik. "Natürlich kann man auf die Managerkaste einschlagen", sagt Martens, "das machen im Moment alle, weil die Stimmung danach ist: Die Raffkes!

Die Geldgierigen! Das kommt immer gut an, aber es beweist letztlich nur, dass Journalisten ihre kritische Sicht seit Bernd Engelmanns 70er-Jahre-Bestseller ,Ihr da oben - wir da unten‘ nicht weiter differenziert haben." Martens argumentiert, man könne sich immer nur auf der Schiene der Moral bewegen und mit dem Zeigefinger drohen. "Als Ergebnis bleibt nur ein Gefühl der Ohnmacht zurück - beim Schreibenden wie beim Leser."

Fehlt dem Wirtschaftsjournalismus also die Message? Was blockiert Wirtschaftsredakteure, der schlichten Frage nachzugehen, ob die Dinge, so wie sind, zwangsläufig so bleiben müssen? Ob das gegenwärtige System wirklich der Weisheit letzter Schluss für die zukünftige gesellschaftliche Entwicklung sein muss?

Es scheint, als verhindere der immer noch in weiten Teilen betriebene Klientel-Journalismus eine unbefangene Perspektive. Die Zwänge sind vielfältig. Was für den einen der Duzfreund in der Unternehmens-Pressestelle ist, ist für den anderen der Zeitdruck oder die Rücksicht auf den Anzeigenkunden. Oft fehlt es bei aller Fachkompetenz aber auch an politischem, staatsbürgerlichem Bewusstsein, an klarer innerer Positionierung - und an Recherche-Energie.

Sogar manche Skandale werden den Medien auf dem silbernen Tablett serviert. Die Fernsehbilder auf Bestellung der Finanzbehörden, die den Ex-Postchef Klaus Zumwinkel zeigten, als er wie ein Schwerverbrecher aus seiner Kölner Villa geführt wurde, sind ein Beispiel dafür.

Balzers Manager-Magazin hat die wirtschaftsjournalistische Gratwanderung riskiert. "Zerstört der Super-Kapitalismus die Demokratie - und am Ende sich selbst?" fragten die Hamburger im Märzheft - und holten zum Rundumschlag aus. Die globalisierte Marktwirtschaft, wenn sie ungehindert weiter so vor sich hin agiert, hebelt die Glaubwürdigkeit der Demokratie aus, so die These.

Der Text endet mit dem Appell an Politik, Wirtschaft und Bürger, nicht fahrlässig zu gefährden, was uns Mitte des vergangenen Jahrhunderts vom Lauf der Geschichte geschenkt wurde. Wohl dosierte Kritik ist vielleicht der beste Weg, das System zu erhalten.

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