zurück
Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und Bettina Kohlrausch, Wissenschaftliche Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung Magazin Mitbestimmung

Pro & Contra: Ist das Bürgergeld zu hoch?

Ausgabe 05/2024

Ja, findet Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Nein, meint Bettina Kohlrausch, Wissenschaftliche Direktorin des Wirtschafts-und Sozialwissenschaftlichen Instituts.

JA. 

Hilfe für die, die Hilfe benötigen. Aktivierung für diejenigen, die grundsätzlich arbeiten können. Einfache und handhabbare Regelungen, Lohnabstandsgebot, Rückendeckung für die Jobcenter und die Arbeitsverwaltung. Diesen Kriterien muss ein System von Sozialleistungen mindestens genügen, um eine breite Akzeptanz in der Gesellschaft zu erlangen.

Das aktuelle Bürgergeldsystem genügt diesen Prinzipien nicht und wird folgerichtig von einer Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt. Dabei geht es nicht nur um die Lohnersatzleistungen, sondern auch um die nahezu bedingungslose Übernahme von Unterbringungskosten.

Die Debatte um Hartz IV hat verschüttet, wie erfolgreich die Arbeitsmarktreformen der Agenda 2010 waren. Die Rückabwicklung von Hartz IV und dem Prinzip „Fördern und Fordern“ hat nicht zu mehr sozialer Gerechtigkeit geführt, sondern in das Missverständnis eines bedingungslosen Grundeinkommens.

Daher muss das System grundlegend renoviert werden. Die Anreize müssen neu gesetzt und die aktivierenden Momente gestärkt werden. Die Schnittstelle zu den Leistungen für Asylbewerber muss konsensbildend neu adjustiert werden. Es geht, verkürzt gesagt, nicht um die Höhe – überraschenderweise stellen die Arbeitgeber hier die Systemfrage.

STEFFEN KAMPETER, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA)


NEIN.

Ob die Höhe des Bürgergeldes angemessen ist, verbindet sich mit der Frage, ob es gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht und ob es im Vergleich zu Erwerbseinkommen angemessen ist. Eine erste Antwort gibt ein Blick auf die Vorgehensweise bei der Festsetzung des Existenzminimums. Sie orientiert sich an den unteren 15 Prozent der Haushalte nach der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS), wenn Kinder im Haushalt leben an den unteren 20 Prozent. Damit wird Armut reproduziert. Die EVS wird nur alle fünf Jahre erhoben und daher unter Einbeziehung der Inflations- und Lohnentwicklung fortgeschrieben. Dass die Erhöhungen des Bürgergelds in den letzten Jahren relativ hoch ausgefallen sind, liegt vor allem an der Inflation. Sie belastete untere Einkommensgruppen besonders stark. Die Erhöhungen sind nur ein notwendiger Ausgleich.

Darüber hinaus wissen wir aus der empirischen Forschung, dass das Bürgergeld in der gegenwärtigen Form nicht armutsfest ist und der Aufgabe, ein soziokulturelles Existenzminimum zu sichern, nicht gerecht wird. Wenn es tatsächlich so wäre, wie gerade von Arbeitgeberseite häufig behauptet, dass diese geringe Sozialleistung attraktiver ist als Lohnarbeit, dann braucht es dringend eine gesellschaftliche Debatte über die Ausgestaltung von Löhnen, aber nicht über die Höhe des Bürgergelds.

BETTINA KOHLRAUSCH, Wissenschaftliche Direktorin des Wirtschafts-und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung


Und Ihre Meinung?

Was halten Sie davon? Schreiben Sie uns an: redaktion[at]boeckler.de

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrem Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen