Quelle: HBS
Magazin Mitbestimmung: INTERVIEW „Zentrale Vorgaben nicht einfach hinnehmen“
OPEL/GM Legendär ist der offensive Stil der Auseinandersetzung, den die Opel-Betriebsräte mit ihrer US-Mutter General Motors pflegen. Ein Interview mit Klaus Franz – zum Abschied
Mit Klaus Franz sprach in Rüsselsheim der Journalist Mario Müller/Fotos: Thomas Lohnes/ddp
„Man kann sich leider seine Eltern nicht aussuchen“, haben Sie, Klaus Franz, einmal gesagt und sich Anfang 2009 sogar für die Trennung von Opel von der finanziell angeschlagenen GM-Mutter ausgesprochen. Traurig, dass das nicht geklappt hat?
Nein. Letztlich ging es darum, Opel vor der Insolvenz zu retten. Also zu verhindern, dass das Unternehmen durch den drohenden Konkurs von GM in den Abgrund gerissen wird. Das ist am 29. Mai 2009 gelungen und war im Wesentlichen das Verdienst von Belegschaft und Betriebsrat in Verbindung mit der deutschen Politik in Bund und Ländern. Ich betrachte das als den größten Erfolg meines Arbeitslebens.
Hat die deutsche Mitbestimmung geholfen, Opel zu retten?
In einer solchen Situation sind gesetzliche Regeln Begleitmusik. Da geht es eher darum, wie die Akteure miteinander umgehen.
Was nicht einfach sein dürfte. Schließlich sind amerikanische Manager nicht gewohnt, dass sich Belegschaftsvertreter derart stark in Unternehmensentwicklungen einmischen.
Die amerikanische Kultur hat schon Probleme mit der deutschen Mitbestimmung. Da gibt es ganz signifikante Unterschiede. Die US-Wirtschaft ist am Shareholder-Value, also am Aktienkurs, orientiert. US-Unternehmen operieren üblicherweise mit Budget-Plänen für ein Quartal oder ein Jahr. Bei einem deutschen Autohersteller oder -zulieferer wird demgegenüber alles auf langfristige Unternehmenspläne abgestellt. Vor allem ist für die Amerikaner fremd, dass sich Arbeitnehmer aktiv in Unternehmensbelange einmischen.
Gefährden Mitspracherechte den Shareholder-Value?
Die Amerikaner gehen davon aus: Die Company gehört uns. Und die Gewerkschaften haben eine Schutzfunktion, sind dafür da, Entlohnung und Arbeitsbedingungen auszuhandeln. Demgegenüber geht es uns sehr stark um Produkte, ihre Qualität, um Wachstumspotenziale für das Unternehmen und damit um Beschäftigung. Wir sind in den Aufsichtsräten bei mitbestimmten Unternehmen hoch professionell und mischen uns ein.
GM ist seit 1929 Opel-Eigentümer. Wächst mit der Zeit die Akzeptanz der Mitbestimmung?
Solange die Töchter gute Renditen abwerfen, ist der US-Mutter alles andere egal. Aber wenn es um Restrukturierung geht, dann werden die unterschiedlichen kulturellen Ansätze sehr deutlich. Aber es gibt keine interne GM-Politik für oder gegen Mitbestimmung, auch keine pauschale Ablehnung – das ist auch bei anderen US-Konzernen der Fall. Selbst wenn sie manchmal meinen, dass Gesetze geändert werden sollten.
Was wäre ein Rat an Kollegen aus anderen multinationalen Unternehmen?
Man muss in die Schuhe der anderen schlüpfen können. Also lernen, die Situation vom anderen Kontinent aus zu betrachten und zu verstehen. Und man sollte nie die Vorgaben der Zentrale einfach hinnehmen, sondern schauen, wie man das gestalten kann. Ich hänge nicht an der Ideologie, die sagt, das sind die Gewalttaten des Kapitalismus, und jetzt müssen wir die an die Wand nageln. Meine Philosophie war immer: Kommst du nicht durch den Haupteingang, versuch es durch den Lieferanteneingang.
Die Beteiligungsmöglichkeiten sind in Europa höchst unterschiedlich. Versucht die Konzernzentrale in Detroit, den untersten Maßstab durchzudrücken?
Nein. Die Phase, in der in Europa versucht wurde, die einzelnen Standorte gegeneinander auszuspielen, ist vorbei. Wir haben im Konzern die sehr weitgehende deutsche betriebliche und Unternehmens-Mitbestimmung auf die europäische Ebene gehoben. Es handelt sich zwar um freiwillige Vereinbarungen. Aber die jeweiligen Belegschaftsvertretungen erhalten mehr oder weniger dieselben Informationen. Hier haben die Europäer sehr stark von der Mitbestimmung profitiert.
Ist die europäische Vielfalt für Amerikaner durchschaubar?
Das ist für sie wegen der nationalen Eigenarten eine riesige Herausforderung. So gibt es große Unterschiede, wie Konflikte gelöst werden. Da ist auf der einen Seite ein konsensorientiertes nordeuropäisches Unternehmensmodell und auf der anderen Seite ein südländisches, das von viel Feuer und Leidenschaft geprägt ist. Und dazu das deutsche, das sehr auf Nachhaltigkeit und juristisch ausgeklügelte vertragliche Vereinbarungen setzt.
Hat GM die eigenen finanziellen Probleme genutzt, um in Europa bestimmte Errungenschaften wie Altersversorgung oder tarifliche Sonderzahlungen abzuschaffen?
Nein. Die wussten, dass wir das nie akzeptieren würden. Die europäischen Belegschaftsvertretungen haben im Jahr 2000 begonnen, einen gemeinsamen Rahmen für ihre Arbeit zu entwickeln. Alle nationalen Vereinbarungen müssen sich in diesen zuerst ausgehandelten europäischen Rahmenverträgen wiederfinden, die übrigens auch rechtsverbindlich sind. Wir haben unsere Belegschaftsvertretung damit entwickelt von einem Forum für Information und Konsultation hin zu einem Verhandlungsgremium und Vertragspartner auf europäischer Ebene. Was wir da erreicht haben, ist schon ein gewisses Alleinstellungsmerkmal.
Welche Kernkompetenzen muss ein Betriebsrat mitbringen?
Die internationale Sichtweise gehört heute zu den fünf Kernkompetenzen moderner Betriebsratsarbeit. Neben der mit dem Wahlamt eingebrachten sozialen Kompetenz wird die fachliche immer wichtiger. Was will der Markt? Was der Kunde? Was macht die Konkurrenz? Wo müssen wir hin mit unserem Produkt? In diesen Fragen sollte der Betriebsrat auf Augenhöhe mitreden können. Hinzu kommt die ökonomische Kompetenz. Wir wissen aber, dass dort unsere Grenzen liegen, weil wir ein politisches Mandat haben und nicht als Betriebswirte agieren. Hier müssen wir uns Fachleute ranholen.
Fehlt die Nummer fünf in Sachen Kompetenz.
Das wäre die kommunikative. Man muss die Öffentlichkeit für seine Ansichten gewinnen, seine Ideen populär und verständlich machen. Meine Erfahrung zeigt mir: Manchmal ist es effektiver, eine gute Pressekampagne loszutreten als mit 10 000 Leuten einmal um den Block zu ziehen. Aber man muss beides können.
Waren Sie oft in Detroit?
Meist zweimal im Jahr. Die letzten beiden Chefs habe ich kurz nach ihrer Ernennung besucht.
Solche direkten Kontakte zur Konzernspitze sind nicht selbstverständlich.
Nein, das sind sie nicht. Aber sie bieten einen großen Vorteil. Für die Politikentfaltung – auch gegenüber dem verantwortlichen Management für Europa – kann so ein Bypass direkt in die oberste Konzernspitze sehr hilfreich sein. Denn der Vorstand hier muss sich immer überlegen: Was erzählt der meinem Boss in den USA?
Inzwischen ist Opel keine GmbH mehr, sondern wieder eine Aktiengesellschaft. Was bedeutet das für das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter?
Der direkte Draht wird kürzer. Und man rückt wieder näher zusammen. Denn der Aufsichtsratsvorsitzende bei Opel ist der zweite Mann an der Konzernspitze in Detroit. Auch der Finanzchef und die Entwicklungschefin von GM sitzen in dem Opel-Gremium. Der Charme der Umwandlung von der GmbH in eine AG besteht darin, dass die Manager aus den USA jetzt Teil des Mitbestimmungssystems sind und die direkte Verantwortung mittragen. Deshalb haben wir so großen Wert auf die Umwandlung gelegt. Außerdem haften jetzt die Mitglieder des Gremiums persönlich für das Wohl des Unternehmens. Also auch für den Fall, dass Gefahr von der eigenen Mutter ausgeht.
Was war in 30 Jahren als Betriebsrat Ihre größte Niederlage?
Die Werkschließungen, die haben mir am meisten wehgetan. Insbesondere die in Antwerpen, weil die Schließung auf einem Vertragsbruch basierte. Es sollte dort ein zusätzliches neues Produkt, ein kleiner SUV, hergestellt werden. Der Auftrag wurde dann aber abgezogen nach Korea. Da sind auch mir meine Grenzen und die der Mitbestimmung gezeigt worden.
Die Belegschaftsvertreter konnten nichts tun?
Deshalb hätte ich gerne eine wirtschaftliche Mitbestimmung im Sinnes eines Vetorechts im Aufsichtsrat. Also die Möglichkeit, Nein zu sagen zu einem Vorschlag, mit dem Ziel, sich erneut zusammenzusetzen, das Thema auszudiskutieren und eventuell Fachleute heranzuholen, um Alternativen zu entwickeln.
Sind die US-Manager vor allem ökonomischen Argumenten gegenüber aufgeschlossen?
Wenn sie noch keinen ausgefeilten Plan haben, ja. Wir haben geschafft, dass uns die Amerikaner in die Planerstellung einbeziehen. Das ist ein ganz entscheidender Hebel, mit dem sich was formen lässt. Sie fragen uns, die Arbeitnehmerseite, nach Alternativen. Sie erkennen auch, dass sie ihre Entscheidungen nochmals überdenken sollten, wenn sie von uns so viel Druck kriegen. Dem neuen Management geht es nicht auf Teufel komm raus um die Reduzierung von Kopfzahlen. Aber wir müssen dicke Bretter bohren.
Die Bedrohungsszenarien für Opel sind nicht vom Tisch. Fällt Ihnen der Abschied da nicht schwer?
Bei GM und Opel gibt es offenbar nie den richtigen Zeitpunkt aufzuhören. Wichtig für mich ist, Opel vor der Insolvenz gerettet zu haben. Und solide Verträge wurden ausgehandelt. Diese einzuhalten ist nun Aufgabe des Vorstandes und meiner Nachfolger. Allerdings macht mir Sorge, mit wie wenig Gespür für die Marke Opel GM vorgeht. Kein anderer Konzern würde mit seiner traditionsreichen Tochter im 150. Jubiläumsjahr so umgehen. Die Zukunft von Opel liegt im Wachstum. Ein „Gesundschrumpfen“, wie GM es vorsieht, wird scheitern.
Was wird noch bleiben – auf der Habenseite?
Wir haben unser europäisches GM-Arbeitnehmerforum zu einem globalen Gremium erweitert. Damit ist ein alter Traum verwirklicht worden. Leider kann ich bei der Gründungsveranstaltung im Herbst 2012 in Detroit nicht mehr dabei sein.
Zur Person
KLAUS FRANZ verköpert par excellence den unternehmerisch denkenden Betriebsrat und Aufsichtsrat. 30 Jahre lang wählte ihn die Opel-Belegschaft wiederholt in den Betriebsrat, viele Jahre steuerte Franz das europäische GM-Arbeitnehmerforum. Nun ist der „klasse Kämpfer“ („Financial Times“) in den Ruhestand gegangen.