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Magazin Mitbestimmung

: INTERVIEW „Was wirklich zählt, ist Wettbewerbsfähigkeit“

Ausgabe 03/2012

Zhengrong Liu über die Unterschiede seiner Jobs als Personalchef in China und in Deutschland und die Sorge über schlecht vorbereitete chinesische Investoren.

Mit Zhengrong Liu, Personalchef von LANXESS, sprachen die Journalistinnen Cornelia Girndt und Carmen Molitor in Leverkusen.

Herr Liu, Sie waren zu Beginn Ihrer Karriere Personalchef für Bayer China und übernahmen später die Personalleitung der gesamten Region Asien/Pazifik bei Bayer Polymers. Wie haben Sie dort Ihre Rolle erlebt?
Als Personalchef in China hatte ich eher eine Brückenfunktion, da in dieser Tochterfirma von Bayer 95 Prozent der Beschäftigten aus dem Land kamen. Da sorgen Sie als Personalleiter für Interessenausgleich, tragen Informationen von oben in die Belegschaft hinein, nehmen aber auch die Stimmung an der Basis auf, um sie mit dem Topmanagement zu diskutieren. Die Gewerkschaftsorganisationen haben in China ja eine ganz andere Rolle als hier in Deutschland.

Gibt es in China so etwas wie Belegschaftsversammlungen?
Nicht so, wie man sie hierzulande kennt. Aber in den meisten Firmen gibt es von den Mitarbeitern gewählte Gremien, die sich für das Wohlbefinden der Mitarbeiter und für Sozialleistungen einsetzen. Dort erfährt ein Personalleiter viel über Stimmung und Motivation der Beschäftigten. Vieles läuft spontan und ad hoc, wie so oft in China. Das funktioniert ganz gut, weil die Grundstimmung in China eine positive ist dank des starken Wachstums. Aber man führt mit den Mitarbeitergremien keine Lohnverhandlungen, die sind in China sehr individuell.

Die deutschen Automobilfirmen in China sind Joint Ventures mit einer spezifischen Arbeitsteilung: Die Marke und die Technik machen die Deutschen und das Personalmanagement die Chinesen. Halten Sie das für sinnvoll?
Bei den 50:50-Joint-Ventures teilt man eben die Funktionen auf, und die Deutschen wollen lieber auf der know-how-lastigeren Seite das Sagen haben. Was ich nachvollziehen kann, aber für einen Fehler halte. Die Personalleitung als eine Vertrauensposition ist extrem wichtig für die Firmenkultur, gerade bei einer großen Auslandstochter. Die deutschen Chemiefirmen in China haben, von wenigen Ausnahmen abgesehen, immer darauf geachtet, dass die Personalleitung in eigener Hand bleibt, manchmal sogar mit Leuten wie mir besetzt wird, die Hybriderfahrung von beiden Welten haben. Man kann das natürlich auch dem chinesischen Partner überlassen, aber dann muss man über andere Wege viel Ausgleichsarbeit leisten, will man die Unternehmensführung wirklich ernst nehmen.

Betriebsräte deutschstämmiger Konzerne sorgen sich gelegentlich über die Arbeitsbedingungen in den chinesischen Tochterfirmen. Wie schätzen Sie deren Lage ein?
Die deutschen Firmen sind vorbildliche Arbeitgeber in China. Es wird nicht nur für die Basics der Arbeitnehmer gesorgt, zahlreiche Zusatzleistungen gehen weit darüber hinaus. Das Gehaltsniveau ist oft deutlich höher als die durchschnittlichen städtischen Einkommen. Das Bild sieht aber anders aus, wenn es um Firmen mit Kapital aus Südostasien oder Taiwan geht. Von daher ist das Unbehagen für mich verständlich.

Sind in dieser Einschätzung die deutschen Firmen nicht etwas zu positiv gezeichnet?
Sind sie nicht. Die chinesische Bloggerwelt ist – wohl systembedingt – besonders zynisch, egal bei welchen Themen. Aber die Kommentare, die ich gerade über den China-Besuch der Bundeskanzlerin, über deutsche Firmen und Deutschlands Rolle in der Eurokrise gelesen habe, waren durchgängig positiv. Dafür ist ein ausgesprochen positives Deutschlandbild verantwortlich, wozu die deutsche Wirtschaft einen wesentlichen Beitrag leistet. Natürlich haben wir unser wirtschaftliches Interesse. Aber wir setzen auch Maßstäbe für Sozial-, Umwelt- und Sicherheitsstandards in unseren chinesischen Betrieben. Wenn sich alle chinesischen Arbeitgeber auch so verhalten würden, dann könnte man für den sozialen Frieden und die Stabilität Chinas eine ganz andere Note vergeben.

Welche Rolle spielen Hierarchien in der Unternehmenskultur in China?
Die Chinesen sind die Individualisten Asiens. Auch im Arbeitsalltag sind sie nicht annährend so gruppenkonform wie beispielsweise die japanischen Arbeitnehmer. Sogar im Direktvergleich mit Deutschland ist das Hierarchiedenken der Chinesen schwächer. Die Vorstellung von den Chinesen als einer großen Masse, die alle willig nach den gleichen Regeln arbeiten, ist schlicht falsch. Gleichwohl sind chinesische Arbeitnehmer leicht zu motivieren und haben oft eine hohe Identifikation mit ihrer Firma.

Was kann ein Beschäftigter tun, wenn er mehr Geld haben will?
Kollektive Vereinbarungen sind, obwohl rechtlich möglich, auch heute noch wenig verbreitet. Viele Mitarbeiter, die schnell lernen und sich schnell entwickeln, möchten weiterkommen, auch vom Gehalt her. Der Arbeitsmarkt in China ist seit Jahren heiß, wo weit mehr Bedarf an hoch qualifizierten Arbeitskräften herrscht, als man befriedigen kann. Da ist man als Personalchef ständig gefordert, individuell zu verhandeln.

Soll das heißen, dass selbst in einem 1,3-Milliarden-Menschen-Land wie China Fachkräftemangel herrscht?
Ja, es ist paradox: Einerseits kommen jährlich 16 Millionen neue Arbeitskräfte auf den Arbeitsmarkt, das sind so viele Menschen wie in Ostdeutschland leben. Aber für die Bedürfnisse der modernen Chemiewerke, die wir da bauen, sind trotzdem nicht genügend Facharbeiter da. Da müssen wir die Verzahnung zur betrieblichen Ausbildung selbst hinkriegen. Als Bayer damals über einen großen Chemiestandort in Shanghai nachdachte, habe ich der Zentrale früh klargemacht, dass wir in die Ausbildung des eigenen Nachwuchses investieren müssen. Der Appell fand Unterstützung in Leverkusen. Wir haben nicht nur in die Berufsausbildung investiert, bei unserer Kooperation mit einer lokalen Berufsschule wurde auch ein erfahrener deutscher Ausbilder für zwei Jahre in Shanghai eingesetzt. Inzwischen sind auch andere großen Firmen diesem Beispiel gefolgt und profitieren davon. Darauf bin ich stolz.

Sie kamen 2004 nach Deutschland zurück, sind Personalchef bei LANXESS in Leverkusen geworden, als Bayer seine damals unrentablen Chemiebereiche auslagerte. Waren Sie auf die Besonderheiten der hiesigen Personalarbeit vorbereitet?
Nein, von Vorbereitung kann wahrlich nicht die Rede sein. In Deutschland zurückgekommen, lernte ich, dass hier der Personalchef der personifizierte Arbeitgeber ist. Mit dieser Rolle haderte ich lange Zeit und tue es heute noch. Ich sehe mich eher in einer Brückenfunktion. Aber es war nützlich, dass ich zuvor für die Region Asien/Pazifik mit sehr unterschiedlichen Ländern zuständig war. Dort habe ich gelernt, dass man in der Personalarbeit zunächst ohne zu werten die lokalen Rahmenbedingungen akzeptieren muss. So habe ich mich auch der Mitbestimmung genähert.

Sie hatten einige harte Auseinandersetzungen mit den Betriebsräten, etwa als Sie die übertariflichen Bestandteile des Lohngefüges infrage stellten.
Die schwierige Situation von LANXESS wäre durchaus vermeidbar gewesen, hätte man zehn Jahre zuvor die Wettbewerbslandschaft richtig analysiert und danach frühzeitig gehandelt. Deshalb startete LANXESS mit der Eigenständigkeit sofort ein weltweites Umstrukturierungsprogramm. Dazu gehörten etliche Personalmaßnahmen. Aber diese waren stets Teil eines Masterplans gewesen, welcher den gesamten Geschäftsprozess verbesserte. Sonst hätten die Beschäftigten die Einschnitte nicht akzeptiert.

Dennoch war diese Anfangsphase keine so angenehme Zeit für Sie. Wie hat das Ihre Meinung zur Mitbestimmung geprägt?
Die deutsche Mitbestimmung hat zwei Ebenen: Auf der gesellschaftspolitischen Ebene folgt sie dem Leitsatz „Soziale Integration durch Teilhabe“. Davon können viele Länder dieser Welt ein Stück lernen. Dann kommt die Praxisebene. Da meine ich: Wer eine gut funktionierende Mitbestimmung im Unternehmensalltag will, muss ständig in eine Vertrauenskultur investieren – da sind beide Seiten in der Pflicht. Ohne diese Verbindung von Vertrauenskultur und Mitbestimmung wäre der Erfolg von LANXESS seit 2005 nicht möglich gewesen.

Wie man hört, halten Sie Vereinbarungen zur Standortsicherung nicht für wegweisend?
Ich halte das für einen falschen Weg. Im Ernstfall ist das Versprechen dann doch nicht zu halten. Nur deswegen finden Sie überall die Ausstiegsklauseln. Unsere Mitarbeiter wissen heute, dass am Ende nur eins wirklich zählt: die Wettbewerbsfähigkeit. Dabei nehme ich durchaus die Bedürfnisse der Mitarbeiter nach einem Stück Planbarkeit und Verlässlichkeit ernst. Dieses Bedürfnis haben aber alle Beschäftigten weltweit. Entweder kann ich so etwas auf globaler Ebene für alle Beschäftigten versprechen, oder ich verspreche das nirgendwo. Das ist eine Frage der Gerechtigkeit und Glaubwürdigkeit. Gerade in einem globalen Unternehmen darf es keine Mehrklassengesellschaften geben. Ich habe sechs Jahre an der Peripherie eines Konzerns gearbeitet und denke immer daran, wie die Mitarbeiter dort empfinden.

Ihr Satz „Ein bisschen mehr China würde Deutschland guttun“ hat viele provoziert.
Der Satz ist nach wie vor aktuell. Damit habe ich die Experimentierfreude der Chinesen gemeint, ihre Improvisationskunst und auch die Bereitschaft, etwas zu wagen. Man kann im Leben nicht alle Risiken bis zum Ende ausrechnen. Aber ich habe gleichzeitig immer betont, dass auch China viel von Deutschland lernen kann – zum Beispiel sollten die chinesischen Unternehmen offener sein gegenüber allen Stakeholdern.

Verfolgen Sie die chinesischen Übernahmen von Unternehmen in Deuschland mit besonderem Interesse?
Klar, ich beobachte die Entwicklung – wie zuletzt die Übernahme der Firma Putzmeister – mit Freude, aber auch mit Sorge. Derzeit schwimmen in China viele Unternehmer im Geld. Dieses Geld sollte sinnvoll angelegt und produktiv genutzt werden, sonst geht noch mehr in die Immobilienspekulation. Insofern freue ich mich, dass manche chinesische Unternehmer es wagen, in Asien, Afrika und nun sogar in Europa zu expandieren. Ich bewundere deren Pioniergeist.

Und was macht Ihnen Sorge?
Sorge macht mir ihr rudimentäres Wissen um die hiesigen Rahmenbedingungen. Im Moment ist kaum ein chinesischer Investor gut vorbereitet. Sie werden beraten von Anwälten und Investmentbankern. Damit kann man zwar den Kaufprozess abschließen, aber auf die Herausforderungen des täglichen Managements ist man nicht vorbereitet. Auch die chinesischen Investoren, die klugerweise gleich auf ein deutsches Management setzen, haben noch zu beweisen, dass sie über Jahre mit diesem vertrauensvoll zusammenarbeiten können. Im Grunde müssten wir für die Investoren aus den Schwellenländern einen runden Tisch gründen. Nach dem Motto: „Wie können wir die Investoren so unterstützen, dass sie Erfolg haben?“ Auch die Gewerkschaften brauchen ihren eigenen „China Desk“. Ich helfe da gern mit.

Umgekehrt beklagen deutsche Betriebsräte, keinerlei persönlichen Kontakt zu den neuen Chefs aus den Schwellenländern zu haben.
Man muss dem neuen Eigentümer – ohne erhobenen Zeigefinger – klarmachen: „Es hilft in Deutschland immer, wenn man frühzeitig offen miteinander redet.“ Die Vorbehalte und Vorurteile sind oft beiderseitig. Diese müssen frühzeitig adressiert werden. So können wir alle zum Erfolg beitragen, einschließlich der Arbeitnehmerschaft, und schon verloren geglaubte Firmen retten – das haben wir mit LANXESS gezeigt. Möglich ist in Deutschland vieles – sofern wir nicht immer problem-, sondern lösungsorientiert an die Sache gehen. Da muss Deutschland vielleicht noch etwas besser werden.

Zur Person

Zhengrong Liu, 1968 geboren in Shanghai, wird nicht selten von chinesischen Investoren um Rat gefragt, wenn die sich in Deutschland niederlassen oder ein Tochterunternehmen kaufen wollen. 1990 verließ Liu als Student China – ein Jahr nach dem Protest auf dem Platz des Himmlischen Friedens. Er wollte in die USA auswandern, landete aber in Deutschland. In Köln studierte Zhengrong Liu Pädagogik, Politikwissenschaft und Anglistik und finanzierte zeitweise sein Studium, indem er Bayer-Manager in Chinesisch unterrichtete. Später wurde er von der Friedrich-Ebert-Stiftung gefördert. Zwischen 1998 bis 2003 arbeitete er von Peking und Shanghai aus für Bayer. Dort stieg er als Vermittler zwischen beiden Kulturen rasch auf, wurde Personalleiter für Bayer China, dann zuständig für Bayer Polymers in der Region Asien/Pazifik. Als Bayer seine Chemieaktivitäten in die LANXESS AG abspaltete, kehrte Zhengrong Liu als Personalchef von LANXESS wieder ins Rheinland zurück. Heute besitzt der Vater von vier Kindern einen deutschen Pass und ist der einzige aus Asien stammende Personalchef in einem DAX- und MDAX-Unternehmen.

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