Quelle: HBS
Magazin Mitbestimmung: INTERVIEW 'Wir werden weiter Penetranz beweisen'
Wolfgang Lutterbach, DGB-Abteilungsleiter für internationale Gewerkschaftspolitik, über "kreatives Lobbying" bei den G20-Gipfeln
Die Fragen stellten JONAS VIERING und CORNELIA GIRNDT/Foto: Peter Himsel
Die globalen Gewerkschaftsbünde haben heute bei den Gipfeltreffen der 20 größten Wirtschaftsnationen, der G20, einen Fuß in der Tür. Was genau machen Sie da - zuletzt im US-amerikanischen Pittsburgh, jetzt im Juni im kanadischen Toronto?
Wir haben etwas erfunden, das ich "kreatives Lobbying" nenne. Wir machen am Tag vor dem G20-Treffen am selben Ort einen globalen Gewerkschaftsgipfel. Wir sind also schon da, wenn die Staats- und Regierungschefs einfliegen. Und dann tragen die Vertreter der nationalen Gewerkschaften die Positionen des Internationalen Gewerkschaftsbundes direkt an die Vertreter ihrer Regierungen in der G20 heran. Wir setzen uns mit Angela Merkel zusammen, die amerikanischen Kollegen mit Obama und so weiter. Das funktioniert ziemlich gut, in Pittsburgh haben wir so mit 13 der 20 Regierungschefs gesprochen.
Wie ist es dazu gekommen?
Das hat 1999 angefangen unter dem damaligen sozialdemokratischen Kanzler Gerhard Schröder, als die Deutschen den G8-Vorsitz hatten. Da waren wir zum ersten Mal im offiziellen Konsultationsverfahren mit dabei. Danach konnte es sich kaum ein Gastgeber der Gipfel leisten, die Vertreter von Gewerkschaften - ebenso wie die Vertreter von Arbeitgebern - außen vor zu lassen. Auch Angela Merkel als konservative Kanzlerin hat uns 2007 während ihres G8-Vorsitzes zu einem ausführlichen Meinungsaustausch empfangen. Die einzige Ausnahme war US-Präsident George Bush, der uns nicht über die Türschwelle des Weißen Hauses ließ.
Als der exklusive Club der acht reichsten Staaten sich zur G20-Runde erweiterte, bei der jetzt auch Südafrika, Saudi-Arabien und Brasilien dabei sind, hat ausgerechnet eine CDU-Kanzlerin den Gewerkschaften Zugang verschafft. Wie das?
Das war nicht selbstverständlich. In der Tat arbeiten wir in Sachen G20 mit Angela Merkel gut zusammen. In der weltweiten Auseinandersetzung zwischen einem neoliberalen politischen Denken und einer sozial verpflichteten Marktwirtschaft steht sie unseren Positionen sicherlich näher als andere Regierungschefs. Auf internationalem Parkett sehen wir die Zusammenarbeit deshalb ganz pragmatisch.
Haben die Arbeitgeber bei den G20-Konsultationen mehr Einfluss als die Gewerkschaften?
Im nationalen Kontext finden die Unternehmensvertreter natürlich stark Gehör. International ist es aber oft schwer, beispielsweise zwischen japanischen und italienischen Unternehmensinteressen eine gemeinsame Position abzustimmen. Die sind schließlich Konkurrenten auf dem Weltmarkt. Da stehen wir Gewerkschafter mit unserem Internationalen Gewerkschaftsbund geschlossener und besser da.
Aber auch Arbeitnehmer sind Konkurrenten im globalen Wettbewerb und ihre Organisationen sind hochgradig heterogen - auch im IGB. Das ist doch eine kaum handhabbare Vielfalt!
Das ist nicht nur Vielfalt - das sind zuweilen auch knallharte Gegensätze. Manche Gewerkschafter aus Afrika sagen, wer bei den G20-Gipfeln mitmischt, betreibe schmutzige Hinterzimmerpolitik und korrumpiere die Gewerkschaften als Kampforganisationen. Andere sagen, darunter auch wir, dass wir alles versuchen müssen, um die globalen politischen Prozesse zu beeinflussen. Hier nun wirklich alle mitzunehmen auf einen gemeinsamen Weg, das ist das Spannende bei unserer Arbeit.
Wie geht das konkret?
Wir, der DGB, haben im März eine Konferenz in Südafrika gemacht mit Gewerkschaften aus zehn afrikanischen Staaten, und wir haben darüber geredet, was sie von den G20 wollen. Es kam dabei ein ziemlich buntes Meinungsbild zusammen. Ein anderes Beispiel: Wir haben sogar den sonst international sehr zurückhaltenden Allchinesischen Gewerkschaftsbund dazu bewegen können, bei den G20-Konsultationen mitzumachen.
Ist das nicht die Aufwertung einer undemokratischen Gewerkschaft, die der chinesischen Regierung hörig ist?
Das kann man so sehen. Man kann aber auch sagen, wenn die Chinesen dabei sind, dann müssen sie sich in irgendeiner Form verhalten gegenüber den Forderungen, welche die demokratische Gewerkschaftsbewegung aufstellt. Und in der Tat haben sich auch die chinesischen Gewerkschafter für eine stärkere Beteiligung der internationalen Arbeitsorganisation ILO in den G20 eingesetzt. Da haben sie nicht nur das Lied ihrer Regierung gesungen. Eine Aufnahme des Allchinesischen Gewerkschaftsbundes in den IGB steht ja auf längere Zeit nicht zur Debatte. Aber eine Organisation mit mehr als 200 Millionen Mitgliedern sollte man im G20-Prozess nicht links liegen lassen.
Vor den G20-Gipfeln gibt es jetzt immer ein gewerkschaftliches Forderungspapier, hinterher wird evaluiert - wer schreibt denn diese gewerkschaftlichen Global-Positionen auf?
Geschrieben werden die Papiere vom Beratungsausschuss der Gewerkschaften bei der OECD, der TUAC. Die ist so etwas wie eine Denkfabrik der internationalen Gewerkschaftsbewegung. Die Kollegen der TUAC stimmen das ab mit den Ökonomen etwa der US-Gewerkschaft AFL-CIO und des DGB. Diese Positionspapiere versuchen wir dann in möglichst viele nationale Gewerkschaften hinein zu kommunizieren - weit über die Gewerkschaften der G20 hinaus. Für uns ist der IGB das Sprachrohr der internationalen Gewerkschaftsbewegung.
In der TUAC-Auswertung des G20-Gipfels von Pittsburgh wird als gewerkschaftlicher Erfolg bewertet, dass eine Kapitelüberschrift im offiziellen Abschlusspapier geändert wurde. Die betont jetzt, "qualitativ hochwertige Jobs" müssten "in den Mittelpunkt der wirtschaftlichen Erholung" gestellt werden. Was ist so etwas wert?
Papier ist geduldig, klar. Und richtig spannend wird es erst, wenn man sich die nationale Umsetzung der hehren Gipfelbeschlüsse näher anschaut. Hier müssen die nationalen Gewerkschaften nachfassen. Der Fortschritt kommt langsam. So wie heute in allen Regierungen über eine Finanztransaktionssteuer diskutiert wird, die wir schon seit Ende der 90er Jahre immer wieder auf die Tagesordnung gesetzt haben. Die Sache mit den "qualitativ hochwertigen Jobs" wiederum muss man in den Zusammenhang stellen mit der Präsenz oder Nichtpräsenz der ILO im G20-Prozess.
Das müssen Sie erklären.
Die Internationale Arbeitsorganisation war anfangs bei den G20 nicht mit am Verhandlungstisch. Das hat sich auf unseren Druck hin geändert. Sie ist nun direkt beteiligt. Das ist wirklich bedeutsam, weil die ILO die einzige Organisation der UNO ist, in der neben Regierungsvertretern auch die von Gewerkschaften und Arbeitgebern sitzen. Sie repräsentiert die "Welt der Arbeit" im UN-System. Damit ist auch der Global-Jobs-Pact der ILO von 2009 als Referenzrahmen für die Beschäftigungspolitik der G20 etabliert, und in dem geht es um die Qualität von Jobs, um die Förderung des nationalen Konsums, um den Ausbau der sozialen Sicherung. Bei den ersten Krisengipfeln der G20 wurde nur über Bankenrettung gesprochen, fast nicht über Arbeitsplätze. Das ist heute international anders. Nicht nur bei den G20.
Hat an der Spitze der globalen Wirtschaftsorganisationen wirklich ein Umdenken stattgefunden?
Da ist etwas in Bewegung geraten. In den Führungspositionen sitzen jetzt auch Leute mit etwas fortschrittlicherem politischem Hintergrund, bei der Welthandelsorganisation genauso wie beim Weltwährungsfonds, dem mit Dominique Strauss-Kahn ein französischer Sozialist vorsitzt. Da ist ein glaubwürdiger Wechsel im Gange, und wir Gewerkschafter haben heute zu diesen Bastionen der Weltwirtschaft intensive und gute Kontakte. Das Problem ist natürlich, dass Organisationen wie der IWF aus Tausenden Mitarbeitern bestehen, von denen viele weiterhin blind dem wirtschaftsliberalen Credo folgen.
Und es auch weiterhin tun werden.
Deshalb ist uns auch die Institutionalisierung so wichtig, etwa bei der Beteiligung der ILO an den Beratungen der G20. Die kriegt da jetzt so leicht keiner mehr weg. Und selbstverständlich erwarten wir Gewerkschaften auch weitherhin, offizieller Teil der G20-Konsultationen zu sein. Ohne die internationale Gewerkschaftsbewegung kann das globale Krisenmanagement nicht funktionieren
Aber nicht überall sind die Ergebnisse so greifbar?
Es geht oft nur um Halbsätze. Ein Beispiel: Vor dem G20-Gipfel von Pittsburgh haben wir und die deutsche Regierung wochenlang dafür gestritten, dass der Halbsatz: "An einer Charta für nachhaltiges Wirtschaften wird weiter gearbeitet", in die Schlusserklärung reinkommt. Das hat zunächst auch geklappt. Diese Charta sollte ein Rahmen für gutes Regieren sein, für eine weltweite Ordnungspolitik, zu der auch die grundlegenden Arbeitnehmerrechte gehören. Leider waren da am Ende aber nicht nur die Amerikaner recht sperrig, sondern auch Indien oder Brasilien, die sich für ihre wirtschaftlichen Entwicklungsmodelle keine weiteren Leitlinien verordnen lassen wollen. So spielte beim Arbeitsministertreffen der G20 in diesem April in Washington D.?C. das Charta-Projekt plötzlich keine Rolle mehr. Kein Mensch kann heute sagen, ob es jetzt endgültig in der Schublade verschwindet. Wir fänden das nicht gut.
Die Konferenz der G20-Arbeitsminister jetzt im April im Washington ist eine einmalige Aktion gewesen. Wie weiter?
Das ist eine neue Herausforderung für uns. Im Abschlussdokument von Pittsburgh stand ja der nicht unwichtige Halbsatz, dass die G20-Arbeitsminister bitteschön Gewerkschaften und Arbeitgeber angemessen beteiligen mögen. Das haben wir als Schritt zur Institutionalisierung der Beratungen verstanden. Leider haben die Arbeitsminister sich aber nicht dazu geäußert, wie sie sich das in Zukunft vorstellen. Jetzt droht der Prozess ins Stocken zu geraten. Aber wir werden weiter Penetranz beweisen.
Wer sind denn die Antreiber im globalen Arbeitnehmerlager?
Es gibt im Internationalen Gewerkschaftsbund rund 320 Mitgliedsorganisationen. Die großen Bünde haben natürlich auch ein größeres politisches Gewicht, wie die aus den USA, Großbritannien, Japan, Kanada, Russland und - in aller Unbescheidenheit - wir. Das sind die sogenannten "big boys". In Deutschland wird das vielleicht nicht so richtig wahrgenommen, aber der DGB ist in der internationalen Gewerkschaftsszene meinungsbildend.
Aus welchen Gründen?
In anderen Ländern wird genau registriert, dass die Stimme des DGB in der Bundesregierung Gehör findet und die Kanzlerin einer der wichtigsten Industrienationen der Welt für gewerkschaftliche Positionen offen ist. Außerdem ist der DGB mit seinen 6,3 Millionen Mitglieder eine der weltweit größten und durchsetzungsfähigsten Arbeitnehmerorganisationen. Und nicht zuletzt ist es auch ganz persönlich die Art des Vorsitzenden Michael Sommer, die den internationalen Einfluss des DGB bestimmt.
Wie schafft er das?
Er hat die Fähigkeit, offen auf andere zuzugehen. Und seine manchmal sehr direkte Art ist dabei hilfreich. Ein Lateinamerikaner zum Beispiel dreht erst einmal ein paar rhetorische Runden, bevor er zum Punkt kommt. Michael Sommer dagegen sagt auch auf dem internationalen Parkett geradeheraus, was er meint und warum. Er ist inhaltlich stets in der Lage, in die Diskussionen einzugreifen. Mancher ist über diese deutsche Direktheit erst einmal etwas erschrocken, aber am Ende sind meistens alle erleichtert, dass mal einer die Dinge beim Namen nennt.
Auf dem IGB-Weltkongress in Vancouver kandidiert am 22. Juni mit Michael Sommer zum ersten Mal ein Deutscher für das Amt des Weltpräsidenten des Internationalen Gewerkschaftsbundes.
Er ist zu diesem Ehrenamt von den wichtigsten Mitgliedsbünden des IGB aufgefordert worden, ja. Darüber können sich die deutschen Gewerkschaften freuen. Denn es zeigt die hohe Wertschätzung, die ihm und den deutschen Gewerkschaften entgegengebracht wird. Und es zeigt die Hoffnung auf eine neue Durchsetzungsstärke.
Und Sie sind dabei sein Sherpa? So werden doch die Leute genannt, welche die internationalen Gipfel vorbereiten?
Eigentlich sind Sherpas die einheimischen Träger der Bergsteiger im Himalaya, wenn die auf den Mount Everest wollen. In der Politik werden die Chefunterhändler so genannt, das ist richtig. Aber bei den Gewerkschaften gibt es keine Sherpas, da gibt es nur die "Yaks". Das sind diese zotteligen Tiere, die die Lasten schleppen. Die riechen nicht immer gut, sind aber wunderbar zähe Viecher.
ZUR PERSON
Das Internationale hat WOLFGANG LUTTERBACH, 56, schon immer begeistert. Ein sandinistischer Revolutionskommandant war sein Trauzeuge, als er in den 80er Jahren in Nicaragua eine Rheinländerin heiratete. Später war er für die Friedrich-Ebert-Stiftung Berater der Regierung von Costa Rica, danach bei der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn für den Nahen Osten zuständig. 1998 wechselte er zum DGB in die Abteilung für internationale Gewerkschaftspolitik, die er heute leitet. In seinen Büroschränken verbirgt sich, wie er sagt, "das Kuriositätenkabinett". Offizielle Gastgeschenke aus aller Welt, darunter mächtige Porzellanteller mit solidarischen Grußbotschaften. Für Lutterbach hat auch das seinen ganz eigenen Reiz.
Mehr Informationen
DREI POSITIONSPAPIERE von TUAC und den Global Unions liegen auf Deutsch vor:
1. zum G20-Gipfel 2009 in Pittsburgh (pdf zum download)
2. zum Treffen der Finanzminister mit dem Weltwährungsfonds (pdf zum download)
3. ein Papier anlässlich der G20-Arbeitsministertagung im April 2010 in Washington (pdf zum download) .