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Magazin Mitbestimmung

: INTERVIEW 'Mit kurzem Draht zur Arbeitswelt'

Ausgabe 09/2009

SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier über seine Agenda, Stärken des Standorts sowie Unternehmer und Gewerkschafter, die in seinem Büro ein und aus gehen

Die Fragen stellte MARGARETE HASEL, Redakteurin des Magazins Mitbestimmung/Foto: Photothek.net

Herr Steinmeier, hatte die Agenda 2010 andere Wirkungen, als Sie sich versprochen hatten?
Die Agenda 2010 hat so gewirkt wie erhofft. Sie hat zwei Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen und die Arbeitslosigkeit im vergangenen Herbst auf unter drei Millionen gedrückt. Die Sozialkassen waren so gut gefüllt, dass wir die Menschen jetzt in der Krise besser schützen können als in anderen Ländern. Viele frühere Sozialhilfeempfänger ohne Perspektive sind in die Arbeitsvermittlung gekommen und haben diese Chance für einen Neuanfang genutzt. Viel mehr ältere Arbeitnehmer als vor sechs Jahren haben heute einen Job. Die Agenda 2010 war ein Erfolg. Aber sie war die Antwort auf die tief greifenden Probleme unseres Landes im Jahr 2003. Heute, mit Blick auf das neue Jahrzehnt, gibt es neue Baustellen. Und dafür haben wir neue Konzepte. Natürlich sind im Detail auch Fehler gemacht worden, aber die Richtung stimmte.

Können wir von Ihnen als dem Architekten der Agenda 2010 eine Initiative zu ihrer Generalüberprüfung erwarten?
Dazu sehe ich keinen Anlass. Wir haben mit unseren Reformen in vielerlei Hinsicht Neuland betreten. Auch mit der Idee der lernenden Gesetzgebung. Bereits bei der Verabschiedung der Arbeitsmarktreformen haben wir die Überprüfung unserer Maßnahmen beschlossen. Diese begleitende Evaluation haben wir durchgeführt. Und wir haben die notwendigen Konsequenzen gezogen und einiges korrigiert. So wurden selten genutzte Instrumente wie die Personal-Service-Agenturen gestrichen. In einer SPD-geführten Regierung werden wir weitere Punkte ändern. Denn manche Dinge hat die Union im Vermittlungsverfahren durchgedrückt, und die sind nicht erfolgreich. Ich denke an die Minijobs. Die sind zu selten eine Brücke in den Arbeitsmarkt. Viele Arbeitgeber haben sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in solche Minijobs umgewandelt. Das ist nicht in Ordnung, aber die Union hat eine Änderung blockiert. Wir wollen diese Umwandlung künftig verhindern. Unser Ziel sind mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse, nicht mehr Minijobs.

Ihr Auftritt bei Opel wurde als Ausflug des deutschen Chefdiplomaten in die Welt der Arbeit wahrgenommen. Wie überwinden Sie diese Distanz?
Seit fast 20 Jahren arbeite ich in Regierungen - in Hannover, Bonn, Berlin -, und genauso lange schon gehen Unternehmer und Gewerkschafter in meinem Büro ein und aus. Arbeit schaffen hat für mich immer im Zentrum gestanden. Wir konnten Firmen retten, die heute wieder glänzend dastehen, beispielsweise Salzgitter. Wir haben in der Regierung von Gerhard Schröder die Industrie in Deutschland modernisiert statt abgewickelt wie in Großbritannien. Stahl, Chemie, Autobauer - wir haben sie noch. Wissen Sie, wie oft ich nachts in Brüssel darüber mit EU-Kommissaren verhandelt habe? Und internationale Fachleute haben uns gerade bescheinigt: Wir haben das klügste Konjunkturprogramm weltweit ausgetüftelt. Das schafft man nur mit einem ganz kurzen Draht zur Arbeitswelt. Ich habe nicht bei Opel auf die Erhaltung der Arbeitsplätze gedrängt, um im Wahljahr den Arbeiterführer zu geben, sondern weil Opel ein Unternehmen mit Zukunft ist.

Zwingt die Krise nicht, über ein anderes, ein neues Prosperitätsregime nachzudenken?
Diese Jahrhundertkrise wird vieles verändern: die Art, wie wir wirtschaften, und die Art, wie wir leben. Wir müssen wieder eine Kultur der Langfristigkeit und Nachhaltigkeit etablieren. In der Wirtschaft, aber auch in der Gesellschaft. Märkte ohne Grenzen fördern die Gier, spalten die Gesellschaft und zerstören die Umwelt. Deshalb wollen wir Maß und klare Regeln für die Märkte. Unternehmensbilanzen und Managergehälter müssen auf langfristigen Erfolg ausgerichtet werden. Und wir müssen die Ungleichgewichte im internationalen Handel in den Blick nehmen. Deutschland ist Exportweltmeister, aber wir müssen auch mehr für den Binnenmarkt tun. Das ist ein weiteres Argument für Mindestlöhne. Ich will klare Grenzen bei den Gehältern - unten wie oben. In der Krise liegt für unsere Wirtschaft auch eine große Chance. Wir müssen umdenken. 40 Jahre hat unsere Wirtschaft Produktivität erhöht, indem beim Personal rationalisiert wurde. Nur noch durchschnittlich 25 Prozent der Kosten in der deutschen Industrie fallen bei den Löhnen an, 40 Prozent bei Energie- und Rohstoffkosten. Deshalb sage ich: Jetzt geht es darum, mit aller Kraft die Energie- und Rohstoffeffizienz zu erhöhen.

Die Anti-Krisenpolitik der großen Koalition ist maßgeblich sozialdemokratisch geprägt. Trotzdem vertrauen viele Menschen eher den wirtschaftsnahen Parteien. Warum schafft es die SPD selbst in der Krise nicht, bei der Wirtschaftskompetenz zur Union aufzuschließen?
Der Regierungsstil der Unionsparteien - "abwarten, abgucken, draufsetzen" - hat bislang bei vielen Menschen funktioniert. Die Union will die Menschen bis zum Wahltag einlullen. Unsere Aufgabe im Wahlkampf ist es, dies zu entlarven und klarzumachen: Soziale Politik gibt es nur, wenn die SPD regiert. Schwarz-Gelb wird unsoziale Politik machen. Bestes Beispiel ist das Versprechen auf massive Steuersenkungen. Jeder weiß, dass die in den nächsten Jahren nicht möglich sind. Und hier werden die Unterschiede deutlich: Die Union will die Steuern so senken, dass die Top-Verdiener davon am meisten profitieren. Die Haushaltslöcher, die dadurch weiter aufreißen, werden ohne Zweifel mit Sozialabbau gestopft - bei Kindergärten, Schulen, Arbeitslosen und Rentnern. Die SPD hat einen anderen Plan. Wir wollen maßvolle Steuersenkungen für kleine und mittlere Einkommen, damit das Geld in den Konsum geht. Und wir legen eine klare Gegenfinanzierung vor: einen höheren Spitzensteuersatz für Top-Verdiener als "Bildungs-Soli" und eine Börsenumsatzsteuer.

Die Bürger ahnen intuitiv, dass es in der Krise auf die Politik ankommt. Was folgt daraus für das Staatshandeln und für eine Demokratisierung der Wirtschaft?
Ich habe das Gefühl, dass in der Krise viele gerade neu nachdenken. Die Sozialpartnerschaft erlebt eine Renaissance. Früher kamen entweder Unternehmer oder Gewerkschafter getrennt zu mir ins Büro, in diesem Jahr kommen sie oft zusammen. Viele Manager erkennen an, welch großartige Arbeit Betriebsräte und Gewerkschaften leisten, gerade in schwierigen Zeiten. Ich sage deshalb: Das Gerede über die Mitbestimmung als einer angeblichen Schwäche des Standorts Deutschland hat sich als falsch und unsinnig herausgestellt. Das Gegenteil ist richtig. Wir wollen die Mitbestimmung deshalb stärken. Wir haben ins Regierungsprogramm aufgenommen, dass wir die Betriebsratswahlen 2010 als ganz wichtiges Datum intensiv unterstützen. Und wir kämpfen für die deutsche Mitbestimmung als Erfolgsmodell in ganz Europa.

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