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Magazin Mitbestimmung

: INTERVIEW 'Jeder ist seinem Gewissen selbst verantwortlich'

Ausgabe 04/2009

DOKUMENTARFILM Regisseurin Eva Stotz über ihren Film "Sollbruchstelle", die dunklen Seiten der Arbeitswelt, ihren Sinn für Poesie und ihren Traum von einem besseren Leben

Das Gespräch führte KAY MEINERS, Redakteur des Magazins Mitbestimmung/Foto: David Ausserhofer

Frau Stotz, Ihr Film beginnt mit schlafenden Pendlern, Leuten im Stau. Man kann das als bedrückend empfinden - Sie auch?
Nein. Dieser Schwebezustand zwischen Traum und Wirklichkeit ist doch wunderschön. Aber gerade frage ich mich, warum ausgerechnet diese Bilder die ersten sind, die ich nach einem Aufenthalt in Afrika wieder in Deutschland gedreht habe. Man sieht vielleicht genauer hin, wenn man fort war.

Ihr Film ist kritisch, aber auch poetisch.
Er ist mehr als einfach nur eine knallharte Gesellschaftskritik. Wenn man herausfinden will, was menschliche Würde ausmacht, muss man auch warme, persönliche Bilder finden.

Ihr Vater ist die zentrale Figur im Film. Er war 30 Jahre lang Manager im Fiat-Konzern. Dann wurde er gemobbt.
Er wurde neun Monate vollkommen isoliert und war ohne Aufgabe. Der Kontakt zu Kollegen war untersagt. Er hat mir gesagt, dass man im Fiat-Hauptwerk in Turin mehrfach versucht haben soll, auf diese Weise Leute loszuwerden.

Über die 30 Jahre im Konzern erfahren wir im Film kaum etwas. Welche Erinnerungen haben Sie daran?
Mein Vater war oft fort, wenn ich aufwachte. Und wenn ich ins Bett ging, war er noch nicht da. Er gehört zu einer Generation, die sich sehr stark über Arbeit definiert hat.

Wie ist seine Karriere verlaufen?
Er hat als Werkzeugmacher angefangen und sich hochgearbeitet. Später bekam er Personalverantwortung. Die Abteilungen, für die er zuständig war, wurden größer. Ich glaube, dass er sehr engagiert war. Er hatte zu seinen Mitarbeitern ein gutes Verhältnis.

Wann zerbrach diese Welt?
Mein Vater bekam einen neuen Chef, mit dem er sich nicht verstand. Es wurde restrukturiert, die alte Führungsriege wurde ausgetauscht, bis nur er noch übrig war. Er hat nicht wahrhaben wollen, dass es auch ihn treffen kann. Schließlich sollte der Personalchef ihn herausekeln. So wurde er zu seinem Feind - per Auftrag.

Haben Sie versucht, auch mit diesem Mann zu reden?
Als mir klar wurde, dass ich das Gut-Böse-Schema meines Vaters übernommen habe, wollte ich die andere Seite kennenlernen. Aber es war unmöglich, ihn überhaupt nur zu treffen. Wir telefonierten, und der Mann sagte mir, dass er nicht einmal mit seiner Frau über jene dunkle Zeit spricht. Vor einigen Monaten ist er an Krebs verstorben.

Welches Bild haben Sie von ihm?
Die Gespräche mit ihm zeigten mir, dass auch er gelitten hat. Er sagte, dass es ihm damals schon bewusst war, dass der Umgang mit meinem Vater falsch war. Das hat mich erstaunt, ich dachte, er sei ein gefühlskaltes Arschloch. Das machte mir ganz deutlich: Am Ende des Tages ist doch jeder seinem Gewissen selbst verantwortlich.

Ihr Vater war das Opfer, der Personalchef der Täter?
Der Personalchef steckte ja in seinen Abhängigkeiten. Doch letztlich war es ein Kampf zwischen zwei Männern. In Kampfsituationen ist kein Platz für Empathie. Auch mein Vater hat gehasst. Wenn er eine Chance gehabt hätte, seinen Vorgesetzten zu demütigen, hätte er es auch getan. Beide haben sich den Tod an den Hals gewünscht.

Es gibt diese Szene, wo Ihr Vater sich ausmalt, wie es wäre, den anderen zu erwürgen.
Ja, an dieser Stelle wird im Kinosaal immer gelacht.

Sie zeigen uns Ihren Vater Franz, der Geld bekommt, ohne noch zu arbeiten - und Stephan, einen Mann, der als menschliche Puppe in einem Werbeplakat sitzt. Wenn jemand winkt, muss er zurückzuwinken. Zeigen Sie uns eine absurde Welt, weil man daraus etwas über die normale Welt lernen kann?
Ich mag es, wenn die Fallhöhe groß ist. Stephan entdeckte ich zufällig während der Dreharbeiten, und ich wusste sofort: Das hat mit meinem Vater zu tun. Es war wie auf eine seelenverwandte Übersetzung zu stoßen. Ähnlich surreal, latent menschenverachtend, und beide gehen einer Tätigkeit nach, die den Begriff Arbeit ad absurdum führt.

Am Ende des Filmes sehen wir, wie Ihr Vater einen Zusammenbruch erleidet. Der ganze Schmerz wird sichtbar, der 15 Jahre nach den Ereignissen noch da ist.
Im Schneideraum ließ ich diese Szene lange draußen.

Sie haben sich dann anders entschieden. Warum?
Mir wurde klar, dass es keinen besseren Schluss geben kann. Mein Vater steht einfach auf und geht. Das ist die letzte Konsequenz. Langsam wird die Szene ein Teil des Filmes und schlägt mir nicht mehr in die Magengrube.

Sie lassen uns auch an einem Bewerbungstraining für Berliner Schüler teilhaben. Die Trainerin ist - mit Verlaub - eine Katastrophe. Sie erklärt den Jugendlichen, was sie alles nicht können.
Sie ist absolut unfähig. Es ist unverantwortlich, Schülern kurz vor dem Berufseinstieg so jemanden zuzumuten. Ich habe nur einmal ein solches Training gefilmt, vielleicht gibt es auch andere Trainer. Aber hier wurde es besonders deutlich. Der Zufall hat mir zugearbeitet in einer Weise, wie ich das bei keinem anderen Film erlebt habe.

Außerdem zeigen Sie uns ein Training für Führungskräfte. Als Gegenstück?
Ich wollte in beiden Fällen zeigen, wie standardisiertes Verhalten eingeübt wird. Die Selbstwahrnehmung der Teilnehmer wird dahin manipuliert, dass sie sich selbst als Marke begreifen, die man verkaufen muss. Es geht nicht darum, natürlich aufzutreten, man selbst zu sein. In den Manager-Seminaren wird aber mehr Rücksicht auf die Persönlichkeit und die eigenen Stärken genommen als in den Trainings für Schüler.

Eine Schülerin erzählt, dass ihr ein Berufsberater gesagt hat: "Ohne Arbeit bist du nichts". Das baut ungeheuren Druck auf.
Als ich den Film in Taiwan zeigte, spürte ich an der Reaktion des Publikums, dass dort der Druck genauso, wenn nicht sogar noch größer ist. Sie fragten mich, wie man dieser Mühle entkommen kann. Aber ich weiß darauf keine Antwort. Zum Glück sprang ein Zuschauer ein. Er erzählte, dass er als hoch bezahlter Manager sehr unzufrieden war. Jetzt ist er Sportlehrer. Für ihn ist es ein besseres Leben.

Viele Menschen haben nicht die Freiheit, in einen schlechter bezahlten Job zu wechseln, um glücklicher zu sein.
Mir ist klar, dass man als Künstler privilegiert ist. Ich konnte mir bis jetzt meine Projekte immer aussuchen und habe noch keine Familie zu versorgen. Und Arbeit gehört zum Leben, das ist vollkommen klar. Aber es steht nirgendwo geschrieben, dass man sich dafür verraten muss. Ich glaube fest daran, dass es immer Wege gibt, sich treu zu bleiben. Aber das Festhalten am Status quo wird oft zur Falle.

Wie hat der Film Sie selbst verändert?
Mein Interesse an alternativen Lebensformen, in denen es nicht so sehr ums Geldverdienen geht, hat zugenommen. Innerer Reichtum interessiert mich mehr als Besitz. Ich suche noch nach dem Ort, wo ich leben möchte.

Sie reisen viel. Wo könnte dieser Ort sein?
Berlin ist toll, ohne Frage. Aber in meinem nächsten Film will ich der Frage "Wie wollen wir leben?" global nachgehen. Gedreht wird in Japan, in den USA, in Mali und in Palästina. Dazu kommen zwei Überraschungsländer - eines aus Osteuropa, und ein arabisch geprägtes Land. Es geht dabei auch um das Internet und darum, wie diese Technologie ein freieres und vor allem angstfreieres Leben unterstützen kann.

Gerade spüren wir, wie die Ängste wieder zunehmen. Wie erleben Sie die aktuelle Krise?
Ich spüre einen veränderten Zeitgeist, die Menschen suchen nach neuen Wegen zu leben. Die Endlichkeit eines Lebens, das auf Wachstum aufbaut, wird immer deutlicher sichtbar. Viele halten sich noch am Überkommenen fest, andere sehen schon das Neue.

In Ihrem aktuellen Film gibt es eine Traumgeschichte von einem verletzten Schaf. Es ist eine Fabel, die wieder auf die Hauptperson verweist.
Schüler diskutieren, wie die Verantwortung zwischen Schaf und Schäfer verteilt ist. Die einen geben stärker ihrer sozialen Neigung nach und geben dem Schäfer eine Mitschuld, die anderen nicht. Sie schieben die Schuld dem Schaf zu.

Warum sind die einen so, die anderen so?
Vermutlich hat es auch mit der Prägung durch die Eltern zu tun. Ein Junge macht sich im Film ja auch Gedanken darüber, was in freier Natur mit den Schafen passiert, wenn es keinen Schäfer gibt. Eine weise Frage.

Übertragen heißt das wohl: Was passiert mit der Gesellschaft, wenn keiner für das Ganze Verantwortung übernehmen will? Sie suchen nach einem guten Hirten für die Menschen.
Menschen sind keine Schafe. Das archaische Bild von der Herde und dem Schäfer benutze ich, weil es so friedlich ist. Es hat mich seit meiner Kindheit im Allgäu fasziniert.

Mehrere Menschen im Film, Ihr Vater wie auch eine Schülerin, sagten, sie wünschten sich mehr Solidarität. Was bedeutet das Wort für Sie?
Ich glaube, dass der Mensch im Kern gut ist. Anders als die meisten Tiere hat er die Eigenschaft, mitzufühlen zu können. Wenn er dieses Gefühl bei sich selbst zulässt, ist er solidarisch.

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