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Magazin Mitbestimmung

: INTERVIEW 'Im rechtsfreien Raum'

Ausgabe 06/2010

Die internationalen Aktivisten der IG BCE Michael Mersmann und Michael Wolters fordern mehr Druck auf Konzerne.

Die Fragen stellte CORNELIA GIRNDT/Foto: Michael Cintula

In den wirtschaftlich aufstrebenden Ländern des Fernen Ostens - von Indien über Malaysia bis Indonesien - gelingt es seit Jahren nicht wirklich, Konzernnetzwerke über Ländergrenzen und dabei auch den Dialog mit dem Management in Gang zu bringen. Warum?
Wir erleben in Fernost eine Vielfalt an Kulturen, Religionen und politischen Verhältnissen - so unterschiedlich wie die Gesetze, die dort für die Arbeitnehmervertretungen gelten. Damit etwa die Arbeitnehmervertreter aus Indien oder Thailand miteinander überhaupt ins Gespräch kommen, müssen wir erstmal ganz pragmatisch ein einheitliches Verständnis von Interessenvertretung aufbauen.

Haben die fernöstlichen Arbeitnehmervertreter Erfahrungen mit Verhandlungen und im Sozialen Dialog?
Die gibt es nur in sehr seltenen Fällen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Personen in den Konzernnetzwerken, die wir etwa bei BASF aufzubauen versuchen, häufig wechseln. Ähnliches gilt für unsere Länderprojekte in Vietnam und Südkorea. Kenntnisse über soziale Mindeststandards, wie sie die ILO vorgibt, oder über die Verhältnisse im deutschen Mutterkonzern fehlen in der Regel ebenso wie eine entwickelte Streitkultur.

Was zum Beispiel funktioniert in Korea, aber nicht in Malaysia?
In Südkorea, das Mitglied der OECD ist und schon länger Industrieland, existieren relativ gefestigte Gewerkschaftsstrukturen - und ein Interesse an Reformen. Damit haben wir eine Grundvoraussetzung, um die nächsten Schritte zu gehen. In Malaysia gibt es diese Voraussetzungen nicht - aufgrund der Traditionen und wegen des Standes der Industrialisierung leider nicht. Hier versuchen wir auf Workshops für die betrieblichen Gewerkschaftsvertreter, Verständnis für Kernarbeitsnormen und Verhandlungskompetenz zu entwickeln.

Was ist mit China? Man muss ja den Kampf um Transparenz und Demokratie nicht Google überlassen.
Wir alle wissen: Der Allchinesische Gewerkschaftsbund (ACGB) ist keine freie und demokratische Gewerkschaft. Die Frage ist, wie wir mit Größenordnungen umgehen, die alle unsere Vorstellungen übersteigen, denn der ACGB hat rund 200 Millionen Mitglieder und eine entsprechend hohe Zahl an Gewerkschaftsfunktionären.

Wir klären derzeit mit unserer internationalen Organisation, der ICEM, ob es eine realistische Chance zu einem Dialog mit dem ACGB gibt - mit dem Ziel, eine demokratische Gewerkschaftsbewegung zu befördern. Auf jeden Fall wollen wir die direkten Kontakte zu den betrieblichen Akteuren in den deutschen Unternehmensstandorten in China weiter pflegen, das BASF-Werk in Nanjing ist ein gutes Beispiel für den Aufbau innerbetrieblicher Interessenvertretungsstrukturen, die weit über die chinesische Gesetzgebung hinausgehen.

In der internationalen Arbeit steht immer die Entscheidung an, mit wem man kooperiert und mit wem besser nicht. Inwieweit wirken politisch nicht akzeptable Arbeitnehmervertretungen als Hemmnis?
Wir wollen keine Zusammenarbeit mit korrupten oder gelben Gewerkschaften. Um das zu beurteilen, sind wir auf Einschätzungen unserer Kooperationspartner vor Ort angewiesen, der Auslandsbüros der Friedrich-Ebert-Stiftung etwa oder unserer internationalen Organisation ICEM. Wir beteiligen uns finanziell nur an Projekten, für die unsere Partner auch eigene Beiträge leisten. Das ist etwa in Vietnam der Fall. Diese Form der "Selbstbeteiligung" erhöht die Verlässlichkeit und hilft, nicht akzeptable Partner schneller zu identifizieren.

Was wäre für die deutschen Konzerne gewonnen, wenn Arbeitnehmernetzwerke aus Europa und Asien in engeren Kontakt kämen und Know-how transferiert würde?
Lösungen auf dem Verhandlungsweg sind immer die besten. Bekanntlich wirkt eine hohe Identifikation mit dem Unternehmen und dessen Zielen auch leistungsmotivierend. Wo es keine Kultur der "Sozialpartnerschaft" gibt, werden Konflikte wahrscheinlicher und teurer. Aber bei grundlegenden Verstößen gegen die Menschenrechte, wenn etwa Gewerkschafter von Sicherheitskräften verprügelt werden wie bei einem Streik in Südkorea vor zwei Jahren, helfen auch Konzernnetzwerke nicht weiter. Da bedarf es der Unterstützung durch internationale Organisationen wie der ILO, dem IGB, der ICEM oder einer Beschwerde bei der deutschen Nationalen Kontaktstelle (NKS) der OECD. Das kann keine Gewerkschaft allein schultern.

Könnte es sein, dass man mit dem Modell der Sozialpartnerschaft in den asiatischen Ländern - außer Japan - einfach nicht vorankommt?
Wo Arbeitnehmervertreter nicht anerkannt und akzeptiert werden, fehlen schlicht die Voraussetzungen für so etwas wie Sozialpartnerschaft. An vielen Konflikten ist die Arroganz einzelner Manager oder deren Unkenntnis des europäischen Modells der industriellen Beziehungen schuld. Hier versuchen wir zu vermitteln. Die großen deutschen Chemie-Konzerne bekennen sich ausnahmslos zu den Grundsätzen des Global Compact oder zur Corporate Social Responsibility. Werden die Zentralen in Deutschland auf eklatante Missstände in anderen Ländern aufmerksam gemacht, sind auch sie daran interessiert, Missstände zu beheben.

Referenzmodell für Arbeitnehmernetzwerke in global agierenden Konzernen ist die BASF SE. Was passiert da in Asien?
Die Arbeitnehmernetzwerke der BASF treffen sich alle zwei Jahre. Der Konzern trägt die Kosten, und die regionalen Manager stehen Rede und Antwort. Zusätzlich nehmen an diesen Treffen der BASF-Arbeitsdirektor, Aufsichtsräte, Betriebsräte und Vertreter der IG BCE und der ICEM teil. Im Gegensatz zu vielen internationalen Rahmenabkommen ist das BASF-Netzwerk kein Papiertiger, wie so oft in den Ländern des Südens, wo keine Möglichkeiten vorhanden sind, das Management auch mal anzusprechen. Dagegen haben wir bei der BASF diese Gesprächs-Plattform, auf der Probleme von Angesicht zu Angesicht vorgetragen werden und an Lösungen gearbeitet wird.

Warum ist das so selten?
Dieses Ernstnehmen der Arbeitnehmervertreter widerspricht in vielen Ländern der Tradition der örtlichen Manager. Allein die Tatsache, dass diese Treffen mit dem Management stattfinden, wertet die Position der Betriebsgewerkschafter aus den südostasiatischen BASF-Standorten auf. Das Netzwerk ist somit eine Versuchsplattform für die Einführung eines Sozialen Dialoges auf Augenhöhe.
 
Häufig erwarten die Gewerkschafter der außereuropäischen Konzernstandorte, dass die deutschen Arbeitnehmervertreter ihre Probleme lösen. Zumal sie doch erleben, dass die Deutschen mit dem Personalvorstand gemeinsam auftauchen oder als Aufsichtsräte nah an den Unternehmensstrategien sind.
Dies gilt nicht nur für asiatische Gewerkschafter, diese Erwartungshaltung ist weit verbreitet. Wir können aber Tarifkonflikte nicht stellvertretend lösen. Das würde auch die gewerkschaftlichen Strukturen dort nicht nachhaltig verbessern. Was tun wir? Wir vermitteln bei Konflikten, und wir organisieren "Hilfe zur Selbsthilfe", beispielsweise durch Tarifseminare für örtliche Gewerkschafter. Umgekehrt sollen von den internationalen Erfahrungen auch unsere deutschen Betriebs- und Aufsichtsräte profitieren. Dafür brauchen wir starke Partnergewerkschaften.

Wie weiter? Wo müsste die Politik mehr tun?
Wir sind derzeit weltweit an einigen Projekten beteiligt - zusammen mit unseren Partnern, der FES, der ICEM, dem Internationalen Metallarbeiterbund und lokalen Gruppen. Zum Beispiel in Asien an einem Projekt mit der vietnamesischen Industriegewerkschaft IGIH, wobei wir gewerkschaftliche Bildungsstrukturen mit aufbauen. Beim Aufbau von Konzernnetzwerken dagegen müssen wir vielfach im luftleeren, sprich rechtsfreien Raum agieren. Es wäre schon viel gewonnen, wenn die Kernarbeitsnormen der ILO und die OECD-Richtlinien für multinationale Konzerne weltweit gültig wären und auch eingehalten würden. Der Druck auf die, die sich daran nicht halten, muss insgesamt größer werden.

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