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Magazin Mitbestimmung

: INTERVIEW 'Hart und schnörkellos Interessen formulieren'

Ausgabe 03/2009

Frank Schmidt-Hullmann, IG BAU, über Lobbyismus in Brüssel

Die Fragen stellte MICHAEL KNOCHE-GATTRINGER, Redakteur in Frankfurt/Foto: Alexander Paul Englert

Frank Schmidt-Hullmann, in Brüssel tummeln sich Tausende von Arbeitgeberlobbyisten. Wie stehen wir dagegen da?
Die gewerkschaftliche Lobbyarbeit in Brüssel ist im Vergleich zu der von Unternehmern völlig unterentwickelt. Die Finanzmittel, die national für europäische Gewerkschaftsstrukturen bereitgestellt werden, erlauben nur kleine Lobbyistenapparate. Und die betreffenden Personen haben dann zig komplizierte Themen am Hals, während sich die Arbeitgeberlobbyisten auf einige wenige Themen spezialisieren können.

Seid ihr dann einfach nur zu wenige?
Die Kopfzahl ist natürlich auch wichtig. Wenn man 14 000 Unternehmerlobbyisten gegenübersteht, dann können wenige hundert Soziallobbyisten das kaum ausgleichen. Aber es gibt auch ein inhaltliches Problem: Manche, die in Brüssel für unsere Seite als Lobbyisten aktiv sind, haben über die Jahre fast vergessen, dass sie als knallharte Gewerkschafts-Interessenvertreter auftreten müssten. Sie sehen sich eher als Mittler in beide Richtungen.

Die oberste gewerkschaftliche Lobbyinstanz in Brüssel sollte der Europäische Gewerkschaftsbund sein. Du hast dessen Arbeit als "Lachnummer" bezeichnet. Was meinst du damit?
Das ist natürlich stark überspitzt. Damit meinte ich konkret den Widerspruch zwischen dem Kongressmotto des EGB von 2007, "In der Offensive", und der Realität, die häufig von Defensive geprägt ist. Dabei wissen alle, dass der EGB - wenn auch vielleicht zähneknirschend - in den letzten Jahren viele Sachen mitgemacht hat, die man eigentlich hätte ablehnen müssen. Warum dann diese in Brüssel eher lächerlich wirkende Prahlerei?

Was steckt dahinter?
Wir wollen nicht als Gegner der europäischen Integration dastehen, was dazu führt, dass wir notwendige Kritik häufig nicht in der erforderlichen Schärfe äußern. Viele Stellungnahmen des EGB kommen erst mal mit langen Begrüßungsworten zu den Vorhaben daher. Den eigentlichen Kern der Kritik kann man in diesen Papieren kaum noch erkennen. Alles ist in diplomatische Watte eingepackt. Wir kommen allzu oft unterwürfig daher und nicht wie die selbstbewusste Interessenvertretung von vielen Millionen Menschen in Europa.

Aus Furcht, als europafeindlich zu gelten?
Ja, das steckt dahinter. Aber wenn ich die Politik der Bundesregierung heftig kritisiere, bin ich ja auch nicht "bundesrepublikfeindlich". Wenn ich sage, das Vorhaben XY der Europäischen Kommission ist gegen unsere Grundrechte gerichtet oder verstößt gegen die ursprüngliche europäische Idee, die ja auch immer eine soziale Komponente mit beinhaltet, dann bin ich nicht europafeindlich, sondern europafreundlich. Denn die Kommission und der Rat beschädigen doch mit ihrer marktradikalen Politik oftmals Europa. Die Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger schwindet dadurch.

Du sagst in einem Aufsatz: "EU-Politik ist heute Innenpolitik." Was meinst du damit?
Wenn die Kommission Kontrollen bei Entsendefirmen einschränken will, dann wirkt sich das direkt auf die hiesigen Baustellen aus, weil die Arbeitsbedingungen nicht mehr wirksam kontrolliert werden könnten. Und wenn der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Tariftreue-Gesetze wie in Niedersachsen ausdrücklich verbietet, dann geraten tariftreue Firmen in unerträgliche Konkurrenznachteile zu Dumpingfirmen. Und das hat Rückwirkungen auf unsere Tarifverhandlungen.

Macht die gewerkschaftliche Arbeitsteilung noch Sinn, in Brüssel die europäischen Bünde zu etablieren und in Frankfurt und Berlin weiter die nationale Politik zu fahren?
Ich würde das nicht als Gegeneinander diskutieren. Wir brauchen eine ständige europäische Föderation, die das Geschäft hochprofessionell betreibt. Die muss auch dafür sorgen, dass Kolleginnen und Kollegen aus nationalen Gewerkschaften bei wichtigen EU-Vorhaben eingeflogen werden, um Lobbyarbeit gegenüber eigenen Abgeordneten zu übernehmen. Wichtig ist, dass europäische Politik als integrierter Bestandteil gesehen wird und dass praktisch alle, die sich in nationalen Gewerkschaften mit Politikfeldern auseinandersetzen, auch die europäische Komponente mit in den Blick nehmen. Das kann man heutzutage kaum noch voneinander trennen. Noch besser wären aber natürlich europaweite Gewerkschaften.

Wie könnten Gewerkschaften mit einem anderen Politikstil, möglicherweise auch mit anderen Positionen wirkungsvoll Einfluss nehmen?
Zunächst einmal kommt es darauf an, dass wir unsere Interessen hart und schnörkellos formulieren, den Marktradikalismus entschieden zurückweisen. Und dass wir, wo immer es geht, unsere eigene Basis mobilisieren. Dabei müssen wir die Beteiligung unserer Mitglieder an diesen komplizierten und langwierigen Prozessen organisieren. Wir brauchen wesentlich mehr Europakompetenz auf allen Ebenen.

Was heißt das konkret?
Wir stehen da in der IG BAU vor einem großen internen Ausbildungsprogramm. Wir wollen im ersten Halbjahr alle unsere Bezirksverbände europapolitisch mobilisieren, auch im Hinblick auf die Europawahl und die EuGH-Urteile. Wir wollen, dass viel mehr Mitglieder bei europäischen Themen besser mitreden können.

Bei den Europawahlen 2004 lag die Wahlbeteiligung nur bei 46 Prozent, sie war gerade bei Arbeitnehmern sehr niedrig. Wird mehr Europakompetenz zu mehr Wahlbeteiligung führen?
Da gibt es einen Teufelskreis. Wenn Europa das Bild vermittelt, gar nicht an der Mitwirkung von Bürgerinnen und Bürgern interessiert zu sein, sondern stattdessen immer häufiger eine Veranstaltung der Unternehmer ist, dann führt das zu Desinteresse. Gleichzeitig ist die Veranstaltung Europa so wenig arbeitnehmerfreundlich und sozial, weil nur ein so geringes Interesse da ist. Das müssen wir durchbrechen.

Welche Rolle spielt eine hohe Wahlbeteiligung bei der Europawahl?
Ich warne da vor Illusionen. Die Politik des Rates wird nicht so sehr vom Ergebnis der Europawahlen beeinflusst als von nationalen Urnengängen. Und letztlich spielt es eine viel größere Rolle, ob wir eine eigene Bewegung auf die Beine stellen. Aber trotzdem müssen wir dem Parlament den Rücken stärken, weil es häufig die einzige EU-Institution ist, die das Soziale überhaupt noch auf dem Plan hat.

Was muss sich ändern an den gewerkschaftlichen Institutionen, um diese Bewegung überhaupt erst in Gang zu bringen?
Man muss sich überlegen: Wie stellt man mehr Personal und Mittel für die Befassung mit europäischen Themen ab? Das heißt nicht zwangsläufig, dass man die nach Brüssel schicken muss. Sondern dass Menschen sich darum kümmern, nationales Lobbying zu organisieren, Bewegungen zu unterstützen und die Prozesse transparent zu machen. Das Zweite ist: Die Stellen in Brüssel müssen mit entschiedenen Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern besetzt werden. Man sollte auch öfter rotieren, weil ansonsten die Gefahr besteht, dass Basiskontakt und Bodenhaftung verloren gehen.

Warum?
Der Politikbetrieb in Brüssel ist so organisiert, dass man auf Empfängen 200 Tage im Jahr kostenlos ein nettes Abendessen bekommen kann und sich dort immer in den gleichen Kreisen bewegt. Das beeinflusst langfristig die Bissigkeit von Kolleginnen und Kollegen, die man dort hinschickt. Man kann ungewollt zum Teil der Brüsseler Maschinerie werden. Und dann dabei abheben. Für europäische Kampagnen muss aber auch mehr Geld in Richtung Europa gegeben werden. Wenn der EGB wie jetzt einen Großteil seiner Arbeit über EU-Kommissionsprojekte finanzieren muss, dann sorgt diese finanzielle Abhängigkeit zusätzlich dafür, dass man da nicht allzu frech auftritt.

Welche Chancen siehst du für eine andere gewerkschaftliche Europapolitik?
Im EGB findet gerade eine intensive Debatte statt, wie wir mit den EuGH-Urteilen bei Laval, Rüffert und Co. umgehen. Unsere Grundrechte sind dadurch in Gefahr. Und der EuGH stützt sich auch auf den Vertrag. Immer mehr Gewerkschaftsbünde fordern deshalb gemeinsam mit dem DGB, dass wir an den europäischen Vertrag ranmüssen. Die Forderung nach einer sozialen Fortschrittsklausel, das war schon ein gewisser Umschwung. In der Konsequenz brauchen wir aber einen völlig neu gefassten Vertrag - nicht nur ein paar Änderungen an dem Text von Lissabon.

Gibt es breite Unterstützung?
Das Unbehagen an der radikalen Marktorientierung in der EU wächst. Es gab Druck für eine europaweite Demonstration am 16. Mai und der EGB wird jetzt dazu aufrufen. Auch der nächste EGB-Kongress wird anders ablaufen als der 2007 in Sevilla, wo sich die Redner vor allem noch gegenseitig abgefeiert hatten, also sehr viel kritischer. Und es wird danach auch eine etwas andere Grundrichtung des EGB geben, das zeichnet sich ab.


ZUR PERSON

Frank Schmidt-Hullmann, 52, vermutet einen Zusammenhang zwischen den vielen kostenlosen Abendessen und der gelegentlich mangelnden "Bissigkeit" gewerkschaftlicher Lobbyisten in Brüssel. Er vertritt die IG BAU seit elf Jahren auf zahlreichen Baustellen der Europapolitik zwischen Frankfurt, Genf und Brüssel. Schmidt-Hullmann ist im Bundesvorstand der IG Bauen-Agrar-Umwelt Abteilungsleiter für Internationales und Europäische Baupolitik.

 

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