zurück
Magazin Mitbestimmung

Fotoreportage: "In erster Linie kämpferisch"

Ausgabe 11/2014

Was macht Spaniens Wirtschaftskrise mit horrender Arbeits­losigkeit mit den Menschen? Wie sieht der Widerstand aus, den sie gegen Zwangsräumung, soziales Elend und Entwürdigung leisten? Eine Fotoreportage von Jelca Kollatsch

„So nah war Europa noch nie am Scheitern“, warnt Joschka Fischer und sagt auch warum: weil die Finanzkrise die innere Solidarität der Länder des Nordens und des Südens zerrissen hat. Während sehr viele Menschen in Spanien, Griechenland, Portugal nicht mehr wissen, wie sie ihre Kinder anständig ernähren sollen, und sich vor Obdachlosigkeit fürchten, brummt in Deutschland, dessen Regierung mit Spardiktaten daherkommt, die Wirtschaft.

In dieser dramatischen Situation ist die angehende Fotojournalistin Jelca Kollatsch nach Spanien gereist. Dort lebte die Stipendiatin der Hans-Böckler-Stiftung mit Haus­besetzern in Sevilla und auf einem Landwirtschaftsgut. Das war im Frühjahr 2013, als in ihrem Studienfach der Kurs „Auslandsreportage“ anstand. „Da habe ich mich als Gewerkschafterin gefragt, was mit den Menschen passiert, wenn ihnen durch die Sparpolitik erst die Arbeit und dann auch die Sozialunterstützung weggenommen wird“, sagt die 30-Jährige anlässlich der Ausstellungseröffnung in der Hans-Böckler-Stiftung in Düsseldorf, wo seit Mitte Oktober in den Fluren der Studienförderung ihre bewegenden Fotos zu sehen sind. Sie dokumentiert den Widerstand von Menschen im Südspanien, die seit dem Verlust ihrer Arbeit und mit marginalen Sozialleistungen oft nicht einmal mehr das Nötigste zum Leben haben, um Miete oder Hypotheken zu bezahlen.

Sicher, sie hätte auch ein nostalgisches Porträt über den letzten Hutmacher von Valencia machen können. Aber das wollte sie nicht. Sie wollte „ein politisch relevantes Projekt machen“, und da stand für sie, die Spanisch spricht, Andalusien an erster Stelle – eine Region mit der höchsten Zwangsräumungsrate (weil die Menschen ihre Hypotheken und Mieten nicht bezahlen können) und der höchsten Arbeitslosigkeit in Europa mit unglaublichen 65 Prozent unter jungen Erwachsenen. 

Sie flog nach Sevilla, lernte die Leute von der „Coralla Utopía“ kennen, 36 Familien, die in ihrer Wohnungsnot ein leer stehendes Gebäude besetzt hatten. Ein Gebäude, das einer jener Banken gehört, die in Spanien mit rund 100 Milliarden Euro aus Steuergeld gerettet wurden, während Hunderttausende ohne Arbeit sind und mit marginalen Sozialleistungen sich selbst überlassen werden, darunter viele alleinerziehende Frauen. „Denn es fehlen in Spanien keine Wohnungen“, erklärt Jelca Kollatsch, im Gegenteil: Durch den Bauboom stehen ganze Siedlungen leer. 

In der Finca „Somonte“ fand sie ihr nächstes Fotoprojekt: Als das teilstaatliche Landgut zwischen Sevilla und Córdoba zu einem Schleuderpreis an einen Großgrundbesitzer verkauft werden sollte, besetzte die Gewerkschaft SAT das Gut, damit arbeitslose Menschen Landwirtschaft betreiben und davon leben können. Der Sindicato Andaluz de Trabajadores (SAT) ist eine linksanarchistische Gewerkschaft, die land- und arbeitslose Bauern organisiert in einer Region mit extremer Armut, wo die Gewerkschaft „La tierra a quien la trabaja“ skandiert, dass denen die Erde gehört, die sie bearbeiten. Tatsächlich gehört in Andalusien die Hälfte an Grund und Boden ganzen zwei Prozent der Bevölkerung. Auch das ist Europa! 

All das können wir nachlesen in einem Fotobuch, das die junge Dokumentaristin sehr schön gestaltet hat. Die zweisprachigen Infos und Artikel hat sie mithilfe der spanischen Familien und Aktivisten, die ihr die Tür öffneten, übersetzt und getextet – während sie miteinander skypten. Die Hans-Böckler-Stiftung wiederum hat ihren Auslandsaufenthalt und das Fotobuch finanziell gefördert. 

Mit dem Fotobuch unter dem Arm hat die Böckler-Stipendiatin inzwischen auch die Haus- und Grundbesetzerfamilien besucht in Sevilla und auf der Finca „Somonte“; sie konnten sehen, wie eine junge Deutsche ihren Widerstand und Alltag dokumentiert hat, was ihnen auch Wert und Würde zurückgibt. Und zeigt: In der inneren Zerissenheit Europas gibt es auch Solidarität und Mitgefühl.

Text: Cornelia Girndt 

MEHR INFORMTAIONEN

Jelca Kollatsch (Hrsg.): Jenseits der Kastagnetten-Klänge. Vom Widerstand gegen die Auswirkungen der Krise. Fotobuch. 99 Seiten, 25 Euro plus Versand und Solibeitrag. Zu beziehen über die Autorin, siehe Infos auf ihrer Homepage

Der Beitrag wurde zu Ihrem Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen