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Magazin MitbestimmungProtest: „Ich bin voller Hoffnung“
Während der Arbeit an ihrer Promotion fragte sich Azadeh Akbari, ob angesichts der modernen Überwachungsmethoden in autoritären Ländern demokratische Bewegungen eine Chance haben. Seit den Demonstrationen im Iran wächst ihre Hoffnung. Von Fabienne Melzer
Seit einigen Wochen fliegen die Interviewanfragen bei Azadeh Akbari über alle Kanäle herein. Als Expertin für Überwachung in autoritären Staaten wie dem Iran ist die Wissenschaftlerin der niederländischen Universität Twente zurzeit sehr gefragt. Vor drei Jahren veröffentlichte sie ihre Dissertation zu dem Thema, die sie mit einem Stipendium der Hans-Böckler-Stiftung geschrieben hatte.
Unter anderem habe ich untersucht, wie Hijab-Regeln überwacht werden und wie sie die Freiheit von Frauen im öffentlichen Raum einschränken. Die iranische Regierung kontrolliert Frauen mit Verkehrskameras selbst am Steuer.“
Manches konnte sie während der Arbeit nur vermuten, etwa dass die iranische Regierung auch Künstliche Intelligenz nutzt, um die Menschen zu kontrollieren. Bestätigt fühlte sie sich in diesem Jahr von einem Bericht über einen Streit in einem Bus. Dort war offenbar eine Frau ohne Kopftuch mit einer Regimebefürworterin aneinandergeraten.
Bereits einen Tag nach dem Streit wurde die unverschleierte Frau verhaftet. Das zeigt mir, dass die Regierung Gesichtserkennung nutzt. Seit ein paar Jahren gibt es digitale Ausweise, damit hat die Regierung eine Datenbank von allen Gesichtern. Ein solches Überwachungssystem ist sehr gefährlich für die Widerstandbewegungen.“
Azadeh Akbari wurde 1983 im Iran geboren, vier Jahre nach der iranischen Revolution. Das Tragen des Hijabs war eine der ersten Regeln, die das Regime durchgesetzt hatte. Auch das Familiengesetz, wonach Frauen sich scheiden lassen durften, wurde sofort abgeschafft. Dennoch sind Frauen nicht aus dem öffentlichen Raum verschwunden. Viele arbeiten, fast 60 Prozent der Studierenden sind Frauen. Der Iran hat eine der höchsten Alphabetisierungsraten im Nahen Osten. Von außen erscheint das wie ein Widerspruch. Azadeh Akbari sieht darin das Bild der Frau, wie es sich das iranische Regime ausmalt. Die moderne islamische Frau ist eine gute Mutter
und gebildet, damit sie ihre Kinder gut erziehen kann. Doch immer weniger Frauen wollen diesem Bild entsprechen.
Der Iran hat eines der höchsten Heiratsalter im Nahen Osten. Frauen sind im Schnitt über 30 und bekommen auch sehr spät Kinder. Die Regierung wollte die Frauen nach ihrem Ideal formen. Aber Frauen sind keine Puppen.“
Azadeh Akbari studierte Journalistik im Iran und schrieb über Frauen- und Kinderrechte. Das Regime entzog ihr das Recht, als Journalistin zu arbeiten. Sie fühlte sich immer mehr eingeschränkt. Frauen im Iran wissen nie, wann und wo ihnen Kontrollen begegnen. Besonders seit 2005 die Sittenpolizei gegründet wurde.
Sie nehmen Frauen fest, fertigen sie ab wie Kriminelle und lassen sie manchmal auch psychologisch untersuchen. Eine Frau, die keinen Hijab tragen will, wird als psychisch krank bezeichnet. Dieser Prozess ist so beleidigend und ungerecht. Wenn Frauen heute im Iran sagen, sie sind wütend, dann ist das eine Wut, die sich durch diese unzähligen Demütigungen über Jahre aufgestaut hat.“
Azadeh Akbari wurde selbst mehrmals verhört und stellte fest, dass ihre Telefonate abgehört worden waren. 2010 verließ sie schließlich den Iran, ging nach England, studierte an der London School of Economics und kam 2016 nach Deutschland. Dort forschte sie als Promotionsstipendiatin der Hans-Böckler-Stiftung über die Überwachung im Iran. Seit die Menschen in ihrem Geburtsland täglich protestieren, holt sie ihr Thema wieder ein.
Der Internet-shut-down im Iran ist nicht nur Zensur, sondern ein völliges Abschneiden von Informationen. Das passiert aber nicht nur im Iran. Ich glaube, die Zukunft ist digital und für diese digitale Zukunft müssen wir die Verantwortung übernehmen und Menschen in diesen Ländern das Internet zugänglich machen. Mit Starlink hat Elon Musk, gezeigt, dass es die Technik dafür gibt. Das ist super, aber niemand weiß, was Elon Musk mit den Daten macht. Warum können nicht internationale Organisationen wie die UNO einen freien Zugang für alle Menschen schaffen? Die Technik ist sehr schnell international geworden, aber die Gesetze sind immer noch lokal.“
Als Azadeh Akbari an ihrer Dissertation arbeitete, fragte sie sich, ob sich angesichts der staatlichen Überwachungskräfte in autoritären Ländern wie dem Iran überhaupt eine demokratische Bewegung mobilisieren lasse. Doch diese Proteste seien anders. Diesmal ist der Tod der Kurdin Masha Amini und das Vorgehen der Sittenpolizei Anlass der Demonstrationen. Seit Wochen kommen Menschen auf die Straßen und riskieren ihr Leben. Frauen sind diesmal die treibende Kraft, viele von ihnen demonstrieren ohne Hijab. Azadeh Akbari sieht darin eine neue soziale und progressive Bewegung. Dafür spreche schon das Motto: „Frauen, Leben, Freiheit“.
Früher ging es immer um Tod, auch im Widerstand. Da hieß es Tod dem Diktator. Die Frauen bieten ein neues Verständnis von Gesellschaft. Es ist auch das erste Mal, dass Männer verstanden haben, dass sich die gesamte Gesellschaft nur durch die Befreiung der Frauen und anderen Minderheiten von der Unterdrückung befreien kann. Sie können die Menschen auf der Straße erschießen, aber sie können diese Entwicklung nicht mehr zurückdrehen. Deshalb bin ich voller Hoffnung.“