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Magazin Mitbestimmung

: Heißer Kampf um weiße Ware

Ausgabe 07+08/2008

HAUSHALTSGERÄTEINDUSTRIE Die Hersteller von Kühlschränken und Waschmaschinen verlagern massiv Arbeitsplätze in Billiglohnländer. Zwar gelingt es vereinzelt, dies zu verhindern. Es fehlt aber eine koordinierte Gegenwehr der Arbeitnehmervertreter auf europäischer Ebene.

Von VOLKER TELLJOHANN. Der Autor ist Sozialwissenschaftler am IRES in Bologna. Kontakt: volker_telljohann@er.cgil.it /Foto: picture alliance

Die Auseinandersetzung um die Schließung des AEG-Werkes in Nürnberg vor zwei Jahren hat eine Branche in den Fokus gerückt, die häufig im Schatten anderer Wirtschaftszweige steht: die Haushaltsgeräteindustrie. Dabei haben die westeuropäischen Hersteller von so genannter "weißer Ware" - wie Electrolux, Indesit, Whirlpool oder Bosch-Siemens Hausgeräte (BSH) - in den letzten Jahren massiv umstrukturiert: Teile der Fertigung oder gesamte Produktionsstätten wurden aus Westeuropa und Nordamerika in Niedriglohnländer verlagert - in die neuen EU-Mitgliedsstaaten, in die Türkei, nach Russland, Thailand oder Südamerika. Die Beschäftigtenzahlen in Deutschland und Frankreich sind seit Mitte der 90er Jahre um rund ein Drittel zurückgegangen. Allein der schwedische Electrolux-Konzern, zu dem auch AEG gehört, hat seit 1997 rund 100 Fabriken weltweit geschlossen. Arbeitnehmervertreter und Gewerkschaften konnten dieser Strategie auf internationaler Ebene bislang noch nichts entgegensetzen. Konflikte um einzelne Standorte werden national oder regional ausgetragen, ohne dass Europäische Betriebsräte (EBR) oder der zuständige europäische Gewerkschaftsdachverband, der Europäische Metallgewerkschaftsbund (EMB), dabei eine maßgebliche Rolle spielen. Dabei gab es durchaus Ansätze einer international koordinierten Gegenstrategie.

UNGENUTZTE CHANCE_ Der Konzern Electrolux hatte im Jahr 2004 ein Kostensenkungsprogramm für die Produktion und den Einkauf angekündigt. Zu der Zeit befanden sich von den 44 Electrolux-Fabriken 27 in Hochlohnländern. Der Plan des Managements sah vor, die Hälfte der Hochlohnstandorte bis zum Jahr 2009 in Niedriglohnländer zu verlagern. Angesichts dieser Ankündigung setzte der EMB eine europäische Gewerkschaftskoordinationsgruppe ein, die aus Vertretern der beteiligten nationalen Gewerkschaften des Europäischen Betriebsrats und des EMB bestand. Das Gremium sollte eine abgestimmte Handlungsstrategie auf europäischer Ebene entwickeln, um die Produktionsstätten in Europa nachhaltig zu sichern. Vor allem sollte auf sozial verträgliche Lösungen hingewirkt werden, welche die Auswirkungen für Wirtschaft und Arbeit in der Region berücksichtigen. Angestrebt wurde eine industrielle Strategie, die auf Innovationen und die Nutzung von Hochtechnologien setzt und damit die Zukunftsfähigkeit von Electrolux in Europa sichert. Auch dem EMB war daran gelegen, die Wettbewerbsfähigkeit der existierenden Produktionsstätten zu verbessern. Damit forderte er die Arbeitgeberseite auf, sich auf europäischer Ebene an Diskussionen über mögliche Alternativen zu Betriebsstilllegungen zu beteiligen. Dieses Vorgehen wurde vor allem von den deutschen und italienischen Gewerkschaftern und Eurobetriebsräten unterstützt. Die Geschäftsleitung lehnte allerdings jegliche Verhandlungen und Rahmenvereinbarungen auf europäischer Ebene ab. Vielmehr kündigte der Vorstand von Electrolux im Dezember 2005 - nachdem bereits entschieden war, die Produktionsstätte in Fuenmajor (Spanien) zu schließen - die Stilllegung der AEG-Fabrik in Nürnberg an.

Allerdings stieß die Strategie des EMB, die auf Verhandlungen auf europäischer Ebene zielte, nicht nur beim Management auf Ablehnung, sondern auch bei den schwedischen Eurobetriebsratsmitgliedern und der schwedischen Metallarbeitergewerkschaft IF Metall. Sie vertraten die Auffassung, "was gut für das Unternehmen ist, sollte auch gut für die Beschäftigten sein". Die Meinungsverschiedenheiten zwischen den schwedischen sowie den deutschen und italienischen Arbeitnehmervertretern ließen sich nicht in Einklang bringen. So war es nicht möglich, fruchtbare Verhandlungen auf europäischer Ebene zu führen - wie es etwa im Fall General Motors Europa im Jahr 2004 gelungen war. Damit schlug der Versuch fehl, eine gemeinsame internationale Strategie zu forcieren, welche die Pläne des Managements hätte verhindern können.

Der wochenlange und am Ende erfolgreiche Streik für einen Sozialtarifvertrag im AEG-Werk Nürnberg bedeutete einen Meilenstein für die deutschen Gewerkschaften, konkret die IG Metall. Unter dem Eindruck des Protestes konnte dem Management zwei Jahre später auch der Erhalt der AEG-Fabrik in Rothenburg abgerungen werden. Für die Europäisierung der Arbeitsbeziehungen kommt der Fall AEG/Electrolux jedoch einer ungenutzten Chance gleich. Da man sich trotz anfänglicher Bemühungen auf keine gemeinsame Strategie auf europäischer Ebene einigen konnte, waren die nationalen Gewerkschaften und betrieblichen Interessenvertretungen gefordert, eigenständig Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Doch Electrolux ist in dieser Hinsicht kein Einzelfall.

PROBLEMLÖSUNG VOR ORT_ Auch die in Italien ansässige Indesit Company hat seit dem Jahr 2000 mehrfach Werke oder Produktionsbereiche verlagert. Im Allgemeinen verpflichtete sich das Management dazu, Betriebsstilllegungen oder Stellenabbau durchaus sozialverträglich abzuwickeln - so geschehen beispielsweise in Portugal, Frankreich und Italien. Ein besonders innovativer Weg wurde 2006 in der Fabrik in Refrontolo, Italien, beschritten, wo das Unternehmen 145 der insgesamt 250 Arbeitsplätze abbauen wollte: In der so genannten "Refrontolo-Vereinbarung" verständigte man sich darauf, neue Arbeitsplätze für die überflüssig gewordenen Beschäftigten zu finden. Ausgehandelt wurde sie zwischen der zentralen Geschäftsführung, den Gewerkschaften und der Verwaltung der Provinz Treviso. Mit der Refrontolo-Vereinbarung versuchte man, die soziale Verantwortung auf regionaler Ebene zu fördern. Ziel war es, Anreize zur Wiederbeschäftigung und gleichwertige alternative Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen, anstatt die arbeitslos gewordenen Arbeitnehmer finanziell zu unterstützen. Unternehmen, welche die ehemaligen Indesit-Beschäftigten unbefristet einstellten, erhielten Zuschüsse. Um die Produktion in Refrontolo aufrechtzuerhalten und damit auch das Know-how der verbliebenen Beschäftigten nicht zu verlieren, entschied sich das Indesit-Management außerdem dazu, durch neue Technologien in die Aufwertung des Standorts zu investieren und ihn so marktfähig zu machen. Zusätzlich finanzierte die Provinz Treviso Weiterbildungsmaßnahmen, um die Beschäftigungsfähigkeit der entlassenen Arbeiternehmer zu verbessern.

Die Refrontolo-Vereinbarung ist damit ein Beispiel für ein gelungenes Kündigungsmanagement in industriellen Problemlagen. Gewerkschaften und lokale Akteure waren in die Verhandlungen von Anfang an aktiv eingebunden und bemühten sich um eine einvernehmliche Problemlösung vor Ort. Im Sommer 2006 wurde eine bilaterale Vereinbarung zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften sowie eine dreiseitige Vereinbarung zwischen Arbeitgebern, Gewerkschaften und der Provinz Treviso getroffen. Die öffentliche Verwaltung übernahm dabei nicht die ihr traditionell zugeschriebene Vermittlerrolle zwischen Management und Gewerkschaften, sondern mischte sich aktiv in die Gespräche ein. In den Augen der italienischen Metallarbeitergewerkschaften FIOM-CGIL, FIM-CISL und UILM-UIL ist die Vereinbarung ein Beispiel für die erfolgreiche Verhandlung von Verlagerungen, bei der die grundlegenden Forderungen der Gewerkschaften berücksichtigt wurden.
 
ERZWUNGENE WETTBEWERBSPAKTE_ Beim Konzern Bosch-Siemens Hausgeräte (BSH) versuchte das Management, Standorte durch internationale Benchmarkings gegeneinander auszuspielen. Dabei zwang man unter anderem die deutschen Betriebsräte in den Werken Berlin, Giengen und Dillingen, den Verhandlungen über betriebliche Beschäftigungs- und Wettbewerbspakte zuzustimmen. Insbesondere in dem äußerst profitablen Werk Dillingen wurde das Benchmarking genutzt, um den Beschäftigten - mit Verweis auf die Wettbewerbsfähigkeit und unter Androhung von Verlagerung - einseitige Zugeständnisse abzuverlangen. Das Management bot den Arbeitnehmervertretern Garantieverpflichtungen für die Standorte Giengen und Dillingen - Erhalt eines Teils der Arbeitsplätze, Investitionen und die Einführung neuer Produkte - nur unter der Bedingung an, dass sie Maßnahmen zur Kostensenkung und Produktivitätssteigerung akzeptieren. Im Fall Giengen verloren dennoch knapp 1000 Beschäftigte ihren Arbeitsplatz. Solche Vereinbarungen tragen möglicherweise kurz- oder mittelfristig zum Erhalt der jeweiligen Produktionsstätten bei. Sie sind jedoch keine strategische gewerkschaftliche Antwort auf Verlagerungsentscheidungen in multinationalen Unternehmen.

INNOVATION STATT VERLAGERUNG_ Auch das Whirlpool-Werk in Neapel stand unter enormem Kostendruck, und es drohte eine Verlagerung nach Osteuropa. Um dem zu begegnen, startete das Unternehmen ein Projekt mit dem Namen "Genesis", das die Wettbewerbsfähigkeit durch einen veränderten Unternehmensaufbau, Produktinnovation und Qualitätsverbesserungen erhöhen sollte. So wurde ein regionales Cluster gebildet, das heißt, Zulieferer und Entwicklungsbereiche wurden in der Nähe der Endfertigung angesiedelt, wodurch gleichzeitig neue Jobs in der Region geschaffen wurden. Außerdem wurden zwei Projekte zur Produktinnovation aufgesetzt, gefördert mit Mitteln des italienischen Ministeriums für wirtschaftliche Entwicklung. Ein weiteres Projekt, finanziert vom Ministerium für Hochschulen und Forschung, zielte - ausgehend von der EU-Richtlinie 2002/96/EC, welche die Entsorgung und das Recycling von alten Haushaltsgeräten regelt - auf die Verbesserung der Zulieferkette. All diese Projekte trugen wesentlich zum Arbeitsplatzerhalt am Standort Neapel bei - mit einer zukunftsorientierten Strategie, die auf Produkt- und Prozessinnovation setzte, und nicht auf einseitige Zugeständnisse bei den Arbeitskosten. Aus diesem Grund ist das Beispiel Whirlpool Neapel auch für die italienischen Gewerkschaften von besonderer Bedeutung. Entscheidend für den Erfolg der Projekte war, dass verschiedene Akteure auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene mit in die Verhandlungen einbezogen wurden und gemeinsam eine innovative Lösung gesucht haben. Sie alle wurden in die Pflicht genommen, sich an Diskussionen über die Auswirkungen des strukturellen Wandels vor Ort zu beteiligen.

WIDERSPRÜCHE UND KONFLIKTE_ Ungeachtet einzelner Erfolge: An allen vier Beispielen fällt auf, dass Europäische Betriebsräte (EBRs) keine aktive Rolle bei den Verhandlungen zur Standortsicherung spielten. Einzig im Fall AEG Nürnberg wurde beispielsweise eine außerordentliche EBR-Sitzung anberaumt. Eine gewerkschaftliche Koordinierung auf europäischer Ebene ist offenkundig noch immer ein schwieriges Unterfangen - zu groß scheinen die Widersprüche und Konflikte zu sein. Ein wichtiger Grund könnte darin bestehen, dass bei Restrukturierungen in multinationalen Unternehmen die jeweiligen nationalen Arbeitnehmervertreter im Land des Konzernsitzes bestrebt sind, die Kontrolle über die industriellen Beziehungen zu behalten ("Home-Country-Effekt"). Eurobetriebsräte werden in solchen Fällen häufig von den Arbeitnehmervertretern des entsprechenden Heimatlandes dominiert, die den EBR als verlängerten Arm der nationalen Arbeitnehmervertretungen begreifen - und aus diesem Grund ein eigenständiges Handeln des EBR nicht begrüßen. Auch kulturelle Verschiedenheiten stehen einer gemeinsamen europäischen Gewerkschaftspolitik und -identität im Wege. So fahren etwa die skandinavischen Gewerkschaften eher einen Kurs des Co-Managements und versuchen, Konflikte zu vermeiden - siehe Electrolux. Hinzu kommt der große Stellenwert von Kollektivverhandlungen auf nationaler Ebene in Skandinavien.

Da es in den geschilderten Fällen bisher nicht gelungen ist, den EMB und die Eurobetriebsräte erfolgreich mit einzubeziehen, stehen die Arbeitnehmervertreter in der weißen Industrie auf europäischer Ebene vor der Herausforderung, sich auf ein gemeinsames Vorgehen bei Standortkonflikten zu verständigen und die Beteiligten stärker in die soziale Ausgestaltung von Restrukturierungen einzubinden. Auch müssten die Eurobetriebsräte ihre Rechte stärker wahrnehmen. Aber auch inhaltlich ist ein gewerkschaftlicher Strategiewechsel nötig: Zumeist werden Restrukturierungspläne und deren soziale Abfederung einseitig vom Management bestimmt. Gewerkschaften und betriebliche Interessenvertreter sind damit gefordert, eigene zukunftsorientierte Konzepte zu entwickeln. So geht etwa die Strategie der IG Metall in der Haushaltsgeräteindustrie dahin, nicht nur Vereinbarungen zur Beschäftigungssicherung abzuschließen, sondern auch Zukunftsszenarien für die Branche zu entwerfen. Damit - so die Überlegung - lässt sich eher Druck auf die Unternehmen ausüben, damit sie in die Innovation von Produkten, Serviceleistungen und Produktionsverfahren investieren. Und der EMB hat eine Strategie entwickelt, die auf die Herstellung von energieeffizienten Haushaltsgeräten abzielt - als Beitrag zum Arbeitsplatzerhalt und zum Umweltschutz. Nun gilt es, solche Ansätze umzusetzen.

 

MEHR INFORMATIONEN
Der Artikel basiert auf einem Forschungsprojekt des -Istituto per il Lavoro (IpL), Bologna, 2006/2007 durch-geführt, gefördert von EU-Kommission, Hans-Böckler-Stiftung sowie der Friedrich-Ebert Stiftung. Anhand von vier Fallstudien - Electrolux, Indesit, Whirlpool und BSH - hat es die Entwicklungen in der europäischen Haushaltsgeräteindustrie untersucht. Kernfragen waren die Handlungsstrategien der -Arbeitnehmerseite und die Kooperation zwischen -nationalen und europäischen Akteuren.
Website des Forschungsprojektes: http://www.fipl.it/progetti/prohai/index.html

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