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Magazin Mitbestimmung

: Griechenland und der Euro: ein Drama in vier Akten

Ausgabe 07+08/2011

EURO Trotz mehrerer Rettungspakete und der Anfang Juli freigegebenen fünften Kredittranche für Griechenland schwelt die Euroschuldenkrise weiter. Ein Schuldenschnitt wäre ein Spiel mit dem Feuer. Gemeinsame Staatsanleihen aller Euroländer, Eurobonds, könnten dagegen dauerhaft für Stabilität im Euroraum sorgen. Von Torsten Niechoj

TORSTEN NIECHOJ ist Wissenschaftler am Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung/Illustration: Jörg Volz/SIGNUM

Der Anteil der Staatsschulden am griechischen Bruttoinlandsprodukt (BIP) wird im Laufe dieses Jahres 150 Prozent überschreiten. Der griechische Staat kann seine Verschuldung nicht mehr zu erträglichen Konditionen am Kapitalmarkt finanzieren. Durch die Freigabe der fünften Kredittranche des Rettungspakets seitens der EU und des IWF ist die Finanzierung des Staates immerhin bis September sichergestellt. Doch die Politik gleicht eher einem Lückenstopfen als der Umsetzung eines wasserdichten Konzepts. Wie könnte eine stabile Lösung des griechischen Problems aussehen? Zur Einschätzung der diskutierten Vorschläge muss man sich die Ursachen der Krise vor Augen führen.

Erster Akt: Die Vorgeschichte_ Noch Ende 2007 lag die griechische Schuldenstandsquote mit 105 Prozent des BIP noch um etwa ein Drittel niedriger als heute. Es war die Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise, die die öffentliche Schuld des Landes um noch einmal 45 Prozentpunkte wachsen ließ. Auch in den anderen Staaten des Euroraums hat sie die öffentliche Verschuldung massiv in die Höhe getrieben. Diese stieg im Euroraum von 66 Prozent des BIP im vierten Quartal 2007 auf 86 Prozent des BIP im letzten Quartal 2010. Ursache war, dass die Staaten Rettungspakete für Banken aufgelegt, die Folgen von Immobilienblasen abgefedert und die Konjunktur stabilisiert haben, mithin private Schulden übernehmen und die Folgen privater Verschuldungsausfälle kompensieren mussten. Dass nicht alle Länder in Finanzierungsschwierigkeiten geraten sind, zeigt, dass die Schuldenstandsquote allein wenig Aussagekraft hat. Entscheidend ist, ob die Geldgeber den Staaten zutrauen, in der Zukunft ausreichend Wachstum erzielen zu können, um die Schuldenstandsquote stabilisieren oder reduzieren zu können.

Hier ist Griechenland tatsächlich in einer misslichen Lage, die auf binnenpolitische Fehlentwicklungen in Griechenland, aber auch auf die Konstruk­tion der Währungsunion zurückzuführen ist. Lange Zeit hat Griechenland es versäumt, Steuern einzutreiben und auf ein sinnvolles Niveau zu heben. Dazu kam, dass der Beitritt zur Währungsunion nicht nur Vorteile hatte, sondern auch dazu führte, dass die Möglichkeit einer Währungsabwertung weggefallen ist. Hierdurch konnte früher die preisliche Wettbewerbsfähigkeit verbessert werden, was die Exporte angeregt hat. Wenn nun, wie in der vergangenen Dekade passiert, die griechischen Lohnstückkosten, die die Lohn- und Produktivitätsentwicklung messen und als Maßstab der preislichen Wettbewerbsfähigkeit verwendet werden, den Euroraumdurchschnitt permanent übersteigen, verliert das Land sukzessive an Exportfähigkeit. Die Leistungsbilanz wird dauerhaft defizitär, und das Land verschuldet sich im Ausland, um Importe zu finanzieren, die nicht über Exporte gedeckt sind. Ursache der griechischen Wettbewerbsschwäche war aber auch, dass in Deutschland und anderen Ländern des Euroraums die Lohnentwicklung – primär außerhalb der durch Tarifverträge abgedeckten Bereiche – lange Zeit sehr verhalten war und sich auch daher die Lohnstückkosten im Euroraum immer mehr auseinander­bewegt haben, somit die Leistungsbilanzdefizite der Krisenländer nur die Kehrseite der Leistungsbilanzüberschüsse anderer Länder sind. Für Deutschland haben sich die Leistungs­bilanzüberschüsse im Übrigen nicht wirklich ausgezahlt. Sie gingen einher mit niedrigem privatem Konsum und niedrigem Wachstum. Seit Bestehen der Währungsunion hinkte Deutschland bei der Wachstumsentwicklung dem Euroraumdurchschnitt hinterher und teilte sich lange die rote Wachstumslaterne mit Italien und Portugal. Dass Deutschland momentan einen Exportboom zu verzeichnen hat, dürfte eher an der sinnvollen Wirtschaftspolitik in der Finanz- und Wirtschaftskrise liegen, die die Binnennachfrage stabilisiert und Beschäftigung gesichert hat.

Zweiter Akt: Die Euroschuldenkrise_ Auslöser der Euroschuldenkrise im Frühjahr 2010 war das Bekanntwerden jahrelang geschönter Statistiken in Griechenland, die lange die heute bekannte Verschuldungssituation verdeckt hatten. Dadurch wurde das Vertrauen der Finanzmarktakteure massiv untergraben. Mit einem ersten Rettungspaket über Kredite in Höhe von 110 Milliarden Euro im Mai 2010 wurde die Finanzierung des griechischen Staates erst einmal wiederhergestellt. Doch weitere Mitgliedstaaten des Euroraums sind unter Druck geraten. Auch ihre Finanzierungskosten sind seit 2010 stark gestiegen und liegen deutlich über denen Deutschlands. Während für deutsche Anleihen am Sekundärmarkt in den vergangenen Jahren um drei Prozent bezahlt werden musste, werden griechische Papiere Mitte Juni um etwa 15, irische und portugiesische je um etwa acht Prozentpunkte teurer gehandelt.

Die genannten Renditen auf dem Sekundärmarkt bereits ausgegebener Staatsanleihen können als gute Annäherung dafür dienen, welche Zinskosten in Zukunft auf die Staaten zukommen, wenn sie – auf dem Primärmarkt – selbst neue Staatsanleihen auflegen wollen. So hohe Zinskosten wären aber nur bei exorbitant hohen Wachstumsraten über sehr viele Jahre tragbar. Aus den gleichen Gründen mussten auch für Irland und zuletzt Portugal Rettungsmaßnahmen eingeleitet werden.

Dritter Akt: Die Rettungsmaßnahmen_ Das Rettungspaket für Irland hatte ein Kreditvolumen von 85 Milliarden Euro, das für Portugal von 78 Milliarden Euro. Aktuell wird bereits über ein zweites Rettungspaket verhandelt. Dabei haben bislang der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Europäischen Union bzw. deren Staaten den größten Anteil der Kredite gestellt, dazu kamen noch Eigenmittel der betroffenen Staaten selbst oder Kredite weiterer Staaten. Während das Zinsniveau der IWF-Kredite mit etwa drei Prozent eher niedrig ist, sind die Kredite der EU mit fünf bis sechs Prozent deutlich teurer. Die EU hat eigens eine neue Agentur, die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität, gegründet und wird 2013 diese durch einen dauerhaften europäischen Rettungsmechanismus ablösen. Neben den Rettungspaketen hat die Euroschuldenkrise eine Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts angestoßen und zu einer multilateralen Vereinbarung, dem Pakt für den Euro, geführt.

Neben einer schärferen Schuldenüberwachung durch die Einführung einer sanktionsbewehrten Rückführungsregel für die Staatschuld auf 60 Prozent des BIP binnen 20 Jahren und der Aufforderung an alle Staaten, verschärfte Schuldenregeln ähnlich dem Stabilitätspakt auch in allen anderen Euroraumländern zu verankern, ist immerhin anerkannt worden, dass Leistungsbilanz­ungleichgewichte ein Problem darstellen und beobachtet werden sollten. Allerdings liegt der Fokus einseitig auf einer Anpassung der Defizitländer über niedrige Lohnabschlüsse. So sollen Defizitländer ihre Lohnentwicklung unterhalb anderer Länder des Euroraums halten. Der öffentliche Sektor soll mit niedrigen Abschlüssen vorangehen. Eine solche Lösung bürdet einseitig den Beschäftigten die Folgen der Krise auf und lässt außer Acht, dass dies den privaten Konsum einschränkt und auch die Überschussländer handeln müssen.

Am 6. Mai 2011 sahen sich Mitglieder der Euro-Gruppe sowie der Europäischen Zentralbank (EZB) bei einem Treffen zur Beratung der Lage in Griechenland genötigt, explizit zu dementieren, dass es zu einem harten Schuldenschnitt – dem sogenannten Haircut – und einem Austritt des Landes aus dem Euroraum kommen wird. Dieses Dementi hat allerdings nicht dazu geführt, dass diese Optionen von der öffentlichen und politischen Agenda verschwunden sind. Im Gegenteil, sie werden nun mit wachsender Intensität diskutiert, befeuert von fortwährenden Herabstufungen durch Rating-Agenturen.

vierter Akt: Katharsis?_ Beide Optionen, ein Schuldenschnitt und ein Austritt Griechenlands aus der Währungsunion, wären aber hoch gefährlich – nicht nur für Griechenland, sondern für alle Euroraumländer. Denn was passierte, wenn es für Griechenland einen Schuldenschnitt gäbe, gegebenenfalls noch begleitet von einem Austritt des Landes? Kurzfristig würde der griechische Staat entlastet und müsste weniger Zinsen zahlen. Verfielen zum Beispiel 50 Prozent aller Schulden, hätte Griechenland eine Schuldenstandsquote, die unter derjenigen Deutschlands läge. Sie wäre tragbar, wenn sich die griechische Wirtschaft bald wieder erholen würde. Doch dies ist angesichts der Sparprogramme, die die Binnennachfrage beschneiden, sowie der Exportschwäche kaum wahrscheinlich. Würde Griechenland aus dem Euroraum austreten, könnte es zwar seine Währung abwerten und so den Export steigern. Es würde aber, wenn die Restschulden weiterhin in Euro beglichen werden müssen, einen sofort wieder anwachsenden Schuldenstand aufweisen, da mit einer Abwertung der heimischen Währung zugleich die Verschuldung in ausländischer Währung aufwertet.

Wichtiger aber noch ist, dass ein Schuldenschnitt und ein Austritt Ansteckungseffekte für andere Länder des Euroraums mit sich bringen – und zwar aus zwei Gründen. Erstens verschwinden die griechischen Schulden nicht einfach, sie müssen abgeschrieben werden. Das heißt, die Gläubiger – private und öffentliche, Pensionsfonds, Banken, Steuerzahler und die Europäische Zentralbank – verlieren Geld. Manche von ihnen, so sicherlich einige griechische Banken, werden diesen Verlust nicht verkraften können und werden insolvent werden. Banken, die mit den insolventen griechischen Banken Geschäftsbeziehungen unterhalten, geraten ihrerseits in Schwierigkeiten. Bei einer Krise systemrelevanter Banken muss der Staat wieder einspringen. Zweitens stellt ein Schuldenschnitt die gesamte Euroraumkonstruktion infrage. Was ist das für ein Währungsraum, wenn er in Teilen bankrottgehen kann? Wenn Griechenland insolvent werden kann, wie sieht es dann mit Irland und Portugal aus, wie mit Spanien und wie mit anderen Ländern mit hohen Staatsschulden? Sollten die Finanzmärkte annehmen, dass weitere Länder in Zahlungsschwierigkeiten geraten können, werden sie höhere Zinsen für die Staatsschuld verlangen. Das bringt diese Länder dann wirklich in Schwierigkeiten und führt möglicherweise zu weiteren Schuldenschnitten. Damit wäre der Euroraum am Ende. Dies wäre zwar eine kathartische Reinigung, jedoch eine, die sich niemand wünschen kann. Das griechische Drama hätte sich endgültig zur Tragödie gewandelt.

eurobonds: Niedrige Zinsen plus bessere Wirtschaftspolitik_ Aber es muss nicht so kommen. Zum einen muss in Griechenland wieder ein ökonomischer Aufschwung in Gang kommen, und zum anderen müssen die Kosten der Staatsfinanzierung, also die Zinsen, gesenkt und auf niedrigerem Niveau stabilisiert werden. Würden die Staatsschulden aller Euroraumländer gemeinsam garantiert und würde für zukünftige Staatsanleihen eine gemeinsame Anleihe, sogenannte Eurobonds, aufgelegt, würde dies eindeutig signalisieren, dass alle Euroraummitglieder füreinander einstehen und es in keinem Land zu einem Bankrott kommen kann. Das allein senkte bereits die Zinsen auf ein niedriges Niveau für alle. Hinzu kommt noch, dass mit den Eurobonds ein gemeinsamer, damit großer und liquider Markt für Staatsanleihen entstünde und dass die Europäische Zentralbank Staatsanleihen am Sekundärmarkt kaufen könnte, was beides weiter zinssenkend wirkt. Zusammengenommen würde dies bewirken, dass das Zinsniveau nahe am Niveau der besten Euroschuldner von drei Prozent liegen würde. Zudem sollte die Vergabe von Eurobonds an Auflagen gebunden werden, um so eine andere, bessere Wirtschaftspolitik umzusetzen. Wer Eurobonds bekommen möchte, muss Auflagen der Europäischen Union einhalten. Für Griechenland hieße das, die Lohnentwicklung zu dämpfen, das Steueraufkommen zu erhöhen und einen staatlichen Primärüberschuss zu erzielen.

Damit dies einigermaßen sozialverträglich geschehen kann, können Wachstumsimpulse aus dem Ausland helfen. Daher impliziert dieses Konzept für Deutschland und einige andere Länder des Euroraums eine fiskalisch expan­sivere Politik, die die Binnennachfrage über vermehrte staatliche Investitionen stützt und es so Griechenland (und weiteren Krisenländern) ermöglicht, mehr zu exportieren und die Auslandsverschuldung abzubauen. Wünschenswert wäre auch, wenn in Deutschland die Löhne stärker steigen würden als in Griechenland. Dies würde dazu führen, dass die preisliche Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands zunimmt, was dort die Exporte befördern würde. Dies würde gleichzeitig auch heißen, dass die Exporte Deutschlands sinken würden – aber von einem sehr hohen Niveau aus und auch nur langsam. Für Deutschland geht es nur darum, nicht immer mehr an preislicher Wettbewerbsfähigkeit zuzulegen und damit den Exportüberschuss immer weiter zu erhöhen; exportorientiert und wettbewerbsfähig wird Deutschland weiterhin sein.

Es ist jedoch möglich, dass die Wachstumseffekte einer solchen Politik im Falle Griechenlands nicht ausreichen, da das Land einen geringen Offenheitsgrad hat, was bedeutet, dass die Wachstumsimpulse einer Exportanregung nicht ausreichend für einen gesamtwirtschaftlichen, selbsttragenden Aufschwung sein können. In einem solchen Fall sollten europäische Strukturfonds und Sondermittel schnell auf Krisenländer wie Griechenland konzentriert werden können, um die Belastung der Bevölkerung aufgrund der Sparprogramme etwas zu mildern und die Binnennachfrage dort zu stabilisieren.

Denn eine Hilfe für Griechenland ist auch eine Hilfe für die anderen Länder des Euroraums. Dass Krisen in einem Land auch auf andere Länder übergreifen können, hat die Finanz- und Wirtschaftskrise leidvoll deutlich gemacht. Die Gefahr, dass etwas Ähnliches noch einmal passiert, hätte man gar nicht erst entstehen lassen dürfen. Jetzt muss sie schnell und entschieden bekämpft werden.

MEHR INFORMATIONEN

Horn, Gustav A./Lindner, Fabian/Niechoj, Torsten: Schuldenschnitt für Griechenland – ein gefährlicher Irrweg für den Euroraum, IMK-Report Nr. 63. Düsseldorf 2011. www.boeckler.de/pdf/p_imk_report_63_2011.pdf.

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