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Magazin Mitbestimmung

: Gleiches Recht für alle

Ausgabe 05/2010

MITBESTIMMUNG Dass Arbeitnehmervertreter die CSR-Initiativen ihrer Unternehmen mitgestalten können, zeigt das Beispiel Bosch: Derzeit testen Geschäftsführung und Gesamtbetriebsrat in einem Pilotprojekt, wie die Einhaltung der ILO-Standards bei Zulieferern weltweit überprüft werden kann.

Von RENATE HEBAUF, Journalistin in Frankfurt am Main/Foto: Cira Moro

Im Neonlicht der Werkshalle sitzen junge Chinesinnen in hellblauen Kitteln und bearbeiten Teile für Werkzeugmaschinen. Zwei der Frauen tragen Schutzhandschuhe, eine von ihnen bestreicht mit dem Pinsel eine Elektrospule und hat zusätzlich einen Mundschutz angelegt. Dieses Foto aus einer Zulieferfirma von Bosch in Schanghai signalisiert Außenstehenden: Hier werden Arbeitsschutzstandards eingehalten. Dass der Augenschein täuschen kann, erfuhr die Bosch-Geschäftsführung in Stuttgart erst durch den geschulten Blick von Wolfgang Mann. Der Betriebsratsvorsitzende im Bosch-Werk Leinfelden gehörte 2006 zu einer Gruppe von Arbeitnehmervertretern, denen die Unternehmensleitung einen Besuch in ihren chinesischen Standorten sowie bei chinesischen Zulieferfirmen ermöglicht hatte.

Durch seine Erfahrungen in der Produktion und seine Kenntnisse im Arbeitsschutz hatte Wolfgang Mann erkannt und dokumentiert, was bei den unternehmenseigenen Überprüfungen - genannt Audits - der Arbeitsbedingungen bisher unbeanstandet geblieben war: Die Arbeiterin in der Zulieferfirma hantierte mit Kunstharzen, gegen deren giftige Dämpfe ihre Staubmaske keinerlei Schutz bot. Während die Arbeitnehmervertreter in den Bosch-Werken vorbildliche Arbeitsbedingungen antrafen, fielen ihnen bei Zulieferern Mängel auf. Wolfgang Manns Foto führte dazu, dass diese Mängel behoben wurden - mehr noch: es wurde zum Auslöser für eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen Management und Betriebsrat beim weltweiten Arbeitsschutz. In gemeinsamen Arbeitsgesprächen bemühen sich beide Seiten seither um Lösungen zur Verbesserung der Zulieferer-Audits.

ES GEHT UM DEN GUTEN RUF DER FIRMA_ "Betriebsräte, die sich mit den CSR-Strategien ihres Unternehmens auseinandersetzen, können ein wichtiges Korrektiv sein", meint Beate Feuchte, bis vor Kurzem Expertin für Corporate Social Responsibility (CSR) in der Hans-Böckler-Stiftung. "Indem sie auf Diskrepanzen zwischen Anspruch und Realität achten und ihrerseits ihre internationale Zusammenarbeit intensivieren, erzeugen sie nicht nur Handlungsdruck für eine bessere Umsetzung von Sozialstandards. Sie helfen auch dem Unternehmen, Imageschäden und schlechte Presse zu vermeiden." Feuchte sieht hier gemeinsame Interessen von Betriebsräten und Unternehmensleitungen, die eine Zusammenarbeit sinnvoll machen.

Wie kommt ein Betriebsrat in einem schwäbischen Bosch-Werk dazu, sich mit den Arbeitsbedingungen von Zulieferfirmen im fernen Asien zu beschäftigen? Wolfgang Mann, der schon mit 14 Jahren als Lehrling zu Bosch kam und mit dem Unternehmen seit 40 Jahren verwachsen ist, bekennt offen, dass es hierbei um die eigene Standortexistenz und den Erhalt der Arbeitsplätze in Leinfelden geht, aber auch um die Glaubwürdigkeit und den guten Ruf des Unternehmens: "Vor Fertigungsentscheidungen stehen wir inzwischen mit asiatischen Firmen in direkter Konkurrenz und werden hier massiv unter Kostendruck gesetzt." Denn Bosch setzt aus Kostengründen im Geschäftsfeld Elektrowerkzeuge seit einigen Jahren auf marktnahe Parallelfertigungen. Es werden nicht nur in Billiglohnländern wie China Werke aufgebaut, um die dortigen Märkte zu versorgen. Bosch bezieht mittlerweile auch zunehmend Teile, die bislang an eigenen Produktionsstätten im Inland gefertigt wurden, von Zulieferbetrieben in Asien.

Als Wolfgang Mann und Jörg Schäfer, Mitarbeiter des Gesamt-, Konzern- und Eurobetriebsrats, 2007 einen CSR-Arbeitskreis auf Gesamtbetriebsratsebene initiierten, wollten sie etwas dagegen unternehmen, dass Bosch womöglich an illegalen Zuständen in Billiglohnländern verdient, und sie hatten sich vorgenommen, Beschäftigte in diesen Ländern bei der Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen zu unterstützen. Dabei stießen sie schnell an ihre Grenzen - aus fehlender Mitbestimmung, kaum vorhandenen Kontakten zu asiatischen Belegschaften sowie kulturellen und sprachlichen Barrieren. Sie stießen aber auch auf das, was Wolfgang Mann eine "ganz tolle Papierlage" nennt: Es ist nicht wenig, was die Bosch-Geschäftsführung in ihrem Verhaltenskodex (Code of Business Conduct) und in dem internationalen Rahmenabkommen zugesagt hat, das sie 2004 mit dem Europa Committee der Bosch Gruppe sowie dem Internationalen Metallarbeiter-Bund (IMB) abgeschlossen hat. Die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO sollen nicht nur in den eigenen Unternehmen weltweit eingehalten werden, sondern über entsprechende Verträge auch für die Zulieferer gelten. Ob diese Anforderungen dort bekannt sind und eingehalten werden, will Bosch im Rahmen eigener Lieferanten-Audits überprüfen, Zulieferer, die nachhaltig dagegen verstoßen, von der Zusammenarbeit ausschließen.

BOSCH IST EINES VON 17 PIONIERUNTERNEHMEN_ Während vor allem bei börsennotierten Unternehmen Verhaltenskodizes über Sozial- und Umweltstandards inzwischen zum guten Ton gehören und die regelmäßige Publikation von Nachhaltigkeitsberichten
heute so selbstverständlich ist wie die Veröffentlichung des Geschäftsberichts, gehört Bosch mit seinem internationalen Rahmenabkommen noch zu einer Minderheit. Nur 19 global agierende Unternehmen in Deutschland haben bisher eine solche Vereinbarung mit Gewerkschaftsbünden getroffen. Über die Verhandlungen zu diesem Abkommen hatte der Bosch-Eurobetriebsrat die "Grundsätze sozialer Verantwortung bei Bosch" zwar mitgestalten und damit diesem sonst nur einseitig formulierten Bekenntnis eine höhere Verbindlichkeit geben können, danach war das Dokument aber in der Schublade verstaubt, bis Wolfgang Mann und seine Kollegen es ausgruben.

"Die Selbstverpflichtungen und die Rahmenvereinbarung bedeuten, dass auch in Ländern wie China, die der ILO-Konvention nicht beigetreten sind, bei Bosch und seinen dortigen Geschäftspartnern diese sozialen Standards gelten und höher stehen als die gesetzlichen Regelungen des Landes", erläutert Wolfgang Mann deren praktische Bedeutung. Ihr Wert aber hängt letztlich davon ab, dass sie in der Praxis auch umgesetzt und eingehalten werden und nicht nur als Absichtserklärung auf dem Papier stehen. Angesichts der Frage, wie die Einhaltung der Sozialstandards vor Ort sichergestellt werden kann, sieht sich der Betriebsrat seither mit einem ebenso komplexen wie schwierigen Themenfeld konfrontiert: der Kontrolle internationaler Sozialstandards.

Mann und Schäfer hatten sich zunächst auch über Seminare der Hans-Böckler-Stiftung weiterqualifiziert, vor allem beschäftigten sie sich intensiv mit Zulieferer-Rahmenverträgen und Audit-Fragebögen und ihren Mängeln. Zu den Arbeitsgesprächen mit dem Management lud man dann gemeinsam Referenten aus Auditing-Firmen ein, um zu sehen, was andere machen. Trotz der Krise stimmte die Geschäftsführung im April 2009 einem gemeinsamen Pilotprojekt mit dem Betriebsrat zu. "Obwohl wir langfristig externe Audits anstreben, starten wir jetzt erst mal mit unternehmenseigenen Audits, die Einkäufer mit Hilfe von Schulungen durch die örtliche Personalabteilung durchführen", erklärt Mann. Die Ergebnisse der Audits sollen in die zentralen "Lieferantenbewertungen" eingehen. An der Erstellung der Fragebögen für die Auditoren ist der Betriebsrat beteiligt. Als Pilotbereich wurde das Geschäftsfeld Elektrowerkzeuge ausgewählt, weil es hier sehr viele Zulieferfirmen in Asien gibt, als Pilotländer China, Bulgarien und Rumänien.

Trotz dieser Erfolge macht sich Wolfgang Mann keine Illusionen: "Von außen können wir es nicht schaffen, dass die Sozialstandards weltweit auch umgesetzt und eingehalten werden. Das gelingt nur, wenn sich vor Ort Arbeitnehmervertretungen und Beschäftigte darum kümmern und ein Informationsaustausch über die Standards und den Stand der Umsetzung stattfindet."

ZU GAST BEI DER KONZERNMUTTER_ Zumindest für die Bosch-Standorte konnten erste Kontakte und Knoten eines weltweiten Netzwerks zwischen Arbeitnehmervertretern geknüpft werden. Beim zweiten Welttreffen im März vorigen Jahres in Abstatt bei Heilbronn waren unter den 46 Delegierten aus insgesamt 27 Ländern auch betriebliche Arbeitnehmervertreterinnen und -vertreter aus Bosch-Standorten in Australien, Südafrika, den USA, China, Japan, Brasilien und Mexiko beim deutschen Mutterkonzern zu Gast. Nachdem das erste Welttreffen 2006 nur durch die Unterstützung des Internationalen Metallarbeiter-Bundes und der Friedrich-Ebert-Stiftung stattfinden konnte, hatte die Bosch-Geschäftsführung diesmal trotz der Finanz- und Wirtschaftskrise die gesamte Finanzierung übernommen und sich erstmals auch dem offenen Dialog mit allen Vertretern aus der Bosch-Welt gestellt.

Obwohl Krisenthemen wie Umsatzeinbrüche, weltweite Entlassungen, Kurzarbeit und Sparmaßnahmen das Treffen überschatteten, zieht Jörg Schäfer eine positive Bilanz: "Die Bosch-Unternehmensleitung hat damit gegenüber den außereuropäischen Standortmanagern signalisiert, dass der weltweite soziale Dialog auch in schweren Zeiten einen wesentlichen Stellenwert besitzt. Das stärkt auch die Position unserer außereuropäischen Kolleginnen und Kollegen gegenüber ihren Verhandlungspartnern zu Hause." Für Wolfgang Mann und Jörg Schäfer war dieses Treffen nicht weniger wichtig. Hier konnten sie sich aus erster Hand über die Situation der Beschäftigten und die Arbeitsbedingungen an den Standorten in anderen Kontinenten informieren, die Kolleginnen und Kollegen persönlich kennenlernen und ihre eigenen Aktivitäten zur Umsetzung der Sozialstandards weltweit bekannt machen.

Zum Beispiel die Anfang 2009 zwischen dem Konzernbetriebsrat und der Konzernleitung abgeschlossene Betriebsvereinbarung zum "Whistleblowing". Ab sofort kann jeder Beschäftigte und jeder Externe weltweit über eine Bosch-Internet-Kontaktseite (Compliance-Seite) nicht nur illegales Handeln wie Korruption an die Bosch-Geschäftsführung melden, sondern auch Verstöße gegen Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen, lokale Gesetze und eben auch gegen die im internationalen Rahmenabkommen festgelegten Sozialstandards. "Wir hoffen", sagt Jörg Schäfer, "dass die Interessenvertreter in aller Welt dieses System jetzt nutzen und an ihren Standorten auch Verstöße gegen Sozialstandards bekannt machen."

Die Frage, wie dieses Kommunikationsinstrument, aber auch die vereinbarten Sozialstandards bei den Beschäftigten in Zulieferfirmen bekannt gemacht werden können, bezeichnet nur eine der Langfristaufgaben, die sich Mann und Schäfer vorgenommen haben. Auch in Deutschland sehen sie noch Entwicklungsbedarf: "CSR ist ein Feld, das die meisten Betriebsräte gar nicht beackern und zu dem auch die Gewerkschaften bislang kaum Unterstützung anbieten", findet Wolfgang Mann. "Wer auf diesem Gebiet mitreden will, muss die vorhandenen Mitbestimmungsstrukturen nutzen und über den Dialog mit der Firmenleitung oder über die Öffentlichkeit Druck machen. Man muss die Firma bei ihren eigenen Worten packen."


ROBERT BOSCH GMBH

Grundsätze sozialer Verantwortung

Im Jahr 2006 veröffentlichte die Robert Bosch GmbH ihren ersten Nachhaltigkeitsbericht "Unternehmerische Verantwortung". Als wichtige Felder sozialer Verantwortung werden genannt: Umwelt- und Klimaschutz, Kundenbeziehungen, Mitarbeiter (z.?B. Vielfalt und Chancengleichheit, lebenslanges Lernen, Arbeitnehmerrechte, Beruf und Familie), regionales Engagement sowie die Finanzierung von Stiftungslehrstühlen.

Ein wichtiger Bestandteil ist die Einhaltung von Arbeitnehmerrechten an allen Standorten, Zulieferer eingeschlossen. Im März 2004 schlossen die Robert Bosch GmbH und der Internationale Metallgewerkschaftsbund ein internationales Rahmenabkommen mit dem Titel "Grundsätze sozialer Verantwortung bei Bosch" ab. Danach darf Bosch weltweit nur mit Unternehmen Geschäftsbeziehungen aufnehmen, die die ILO-Kernarbeitsnormen einhalten. In dem Papier heißt es: "Die Sicherheit am Arbeitsplatz und die körperliche Unversehrtheit unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat für uns hohe Priorität."

Die Robert Bosch GmbH ist auch Mitglied im Global Compact (GC) der Vereinten Nationen und hat sich damit zur regelmäßigen Berichterstattung über die Einhaltung der Grundsätze in den Bereichen Menschenrechte, Arbeitsstandards, Umweltschutz und Antikorruptionmaßnahmen verpflichtet.


MEHR INFORMATIONEN

Unter www.boeckler.de/29563.html finden Sie ein Positionspapier der Stiftung zum Verhältnis von freiwilliger gesellschaftlicher Unternehmensverantwortung und Mitbestimmung sowie Hinweise, wie Arbeitnehmervertreter die CSR-Initiativen ihrer Unternehmen nutzen können.

Judith Beile/Beate Feuchte/Birte Homann: Corporate Social Responsibility und Mitbestimmung. Fünf Unternehmensbeispiele. Düsseldorf, Edition der Hans-Böckler-Stiftung 248. Im Erscheinen

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