zurück
Magazin Mitbestimmung

: Gewerkschaftsfrei mit allen Mitteln

Ausgabe 03/2012

DEUTSCHE TELEKOM Im Abwehrkampf gegen Gewerkschaften führt sich die US-Tochter T-Mobile schlimmer auf als manches uramerikanische Unternehmen: Von den 37 000 Beschäftigten werden nur 15 durch die US-Gewerkschaft CWA vertreten.Von Stefan Scheytt

STEFAN SCHEYTT ist Journalist in Rottenburg am Neckar.

Man wünscht sich, René Obermann hätte eine Eingebung, die ihn spontan veranlasste, sein Vorstandsbüro im 5. Stock der Bonner Hauptverwaltung zu verlassen, er bestiege ein Flugzeug nach New York, führe hinaus nach Long Island und hörte neugierig Elvis Alvira zu, nicht länger als eine Stunde. Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Telekom und der Außendiensttechniker der US-Tochter T-Mobile repräsentieren zwei Welten, die mehr trennt als ein Ozean, eine Begegnung könnte vielleicht der Anfang einer Annäherung sein. Aber nichts deutet derzeit darauf hin, dass René Obermann über einen Zugang zur Welt von Elvis Alvira und seinen Kollegen bei T-Mobile auch nur nachdenkt.

Seit vielen Jahren wird die Deutsche Telekom von verschiedenen Seiten mit dem Vorwurf konfrontiert, sie behindere massiv das Recht ihrer US-Mitarbeiter, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Im vergangenen Sommer reichten ver.di und die Communications Workers of America (CWA) eine Beschwerde nach den OECD-Leitsätzen gegen das Unternehmen ein (mehr dazu siehe Seite 16). Im Jahr zuvor hatte sich die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch in einem Report über das fragwürdige Gebaren europäischer Unternehmen in den USA auch mit der Telekom beschäftigt; auf 14 Seiten legte Human Rights Watch dar, wie die Telekom jahrelang eine gewerkschaftsfeindlich gesinnte Anwaltskanzlei aus dem amerikanischen Hinterland beauftragte, wie Telekom-Sicherheitspersonal in einem Callcenter die Autokennzeichen von Mitarbeitern notierte, die auf der Straße Flugblätter von Gewerkschaftern entgegennahmen, wie Vorgesetzte in zahlreichen Mitarbeiterversammlungen vor den Gewerkschaften warnten bis hin zur Andeutung, der Standort könne geschlossen werden, wenn sich die Arbeitnehmer organisierten. Inzwischen haben sich auch US-Senatoren und Dutzende von Kongressabgeordneten der Kritik angeschlossen und an Vorstandschef René Obermann geschrieben.

95 PROZENT ZU 0,04 PROZENT_ Auch das Magazin „Mitbestimmung“ hat zwölf Fragen an die Telekom-Zentrale in Bonn geschickt und darauf zwölf Antworten bekommen. Zusammengefasst bringen sie zum Ausdruck: Die Telekom hat alles richtig gemacht; der Telekom ist nichts vorzuwerfen; die Telekom sieht keinen Anlass, an ihrer Arbeitnehmer- und Gewerkschaftspolitik in den USA etwas zu ändern. Stur halten die Antworten an der Fiktion fest, es könne auf Dauer eine Telekom der zwei Welten geben: hier das privatisierte deutsche Staatsunternehmen, in dem es zur Grundübung von Vorständen gehört, die Zusammenarbeit mit Aufsichtsräten, Betriebsräten und Gewerkschaftern – alles in allem – als erfolgreiche Sozialpartnerschaft zu beschreiben; und auf der anderen Seite des Ozeans eine Deutsche Telekom, die ihre Arbeitnehmerpolitik mit einem lausigen, praktisch inexistenten amerikanischen Arbeitsrecht legitimiert. In den USA ist es weitgehend den Unternehmen überlassen, wie sie die Beziehungen zu ihren Beschäftigten gestalten – und zwar in beide Richtungen. So sind ausgerechnet beim Kommunikationskonzern AT & T aus Texas, dem jüngst die Übernahme von T-Mobile USA aus kartellrechtlichen Gründen untersagt wurde, nach Angaben der CWA rund 85 Prozent der Mitarbeiter gewerkschaftlich organisiert, bei AT & T Mobility – dem unmittelbaren Konkurrenten von T-Mobile – sind es sogar 95 Prozent. Bei T-Mobile USA dagegen übt die Gewerkschaft das Vertretungsrecht für gerade mal 15 der 37 000 Beschäftigten aus, das entspricht einer rekordverdächtigen Quote von 0,04 Prozent.

Auf die Frage der „Mitbestimmung“, wie dieser himmelweite Unterschied zwischen 95 und 0,04 Prozent zu erklären sei, gibt die Telekom keine wirkliche Antwort. Weil es keine andere plausible Erklärung dafür gibt als die, dass das Unternehmen sehr „erfolgreich“ darin ist, seine Callcenter, Technik-Einheiten und Handy-Läden gewerkschaftsfrei zu halten. Andernfalls müsste die Telekom behaupten, dass während der vergangenen elf Jahre seit dem Eintritt in den amerikanischen Markt rein zufällig nur gewerkschaftskritische oder -indifferente Mitarbeiter den Weg zu T-Mobile fanden, während sich die Gewerkschaftsbefürworter zufällig alle zu AT & T Mobility sortierten.

Ohne auf die Frage nach den eklatant unterschiedlichen Organisationsgraden einzugehen, schreibt Telekom-Pressesprecherin Anne Wenders: „Wir nehmen Arbeitnehmer- und Mitarbeitervertretungen sehr ernst und arbeiten weltweit mit den von den Beschäftigten legitimierten Gewerkschaften vertrauensvoll zusammen. Selbstverständlich und ohne Einschränkung gilt dies auch für die USA. Alle Beschäftigten der T-Mobile haben das verbriefte Recht, in freier Meinungsäußerung Gewerkschaften zu bilden bzw. diesen beizutreten. Genauso haben die Beschäftigten aber natürlich auch die freie Wahl, dies nicht zu tun. Sollten sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gemäß dem durch das US-amerikanische Arbeitsrecht vorgesehenen Verfahren für eine Vertretung durch eine Gewerkschaft aussprechen, wird T-Mobile USA das damit einhergehende Recht auf Kollektivverhandlungen mit Wirkung für und gegen die Beschäftigten selbstverständlich in vollem Umfang respektieren. Bis zum heutigen Tag haben sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nur in einem einzigen Fall, in einer sehr kleinen Einheit von 15 Mitarbeitern, für eine gewerkschaftliche Vertretung entschieden. Diese Wahl haben wir ohne jede Einschränkung anerkannt und befinden uns derzeit in Tarifverhandlungen. Allerdings möchte die überwiegende Mehrheit ihre Interessen und Anliegen im direkten Dialog mit dem Management selbst vertreten. Dies haben sie wiederholt und in Kenntnis der von der CWA unternommenen Aktivitäten und Werbungskampagnen bekundet. Ein Grund dafür ist sicher, dass T-Mobile USA kontinuierlich von unabhängigen Institutionen zu einem der beliebtesten Arbeitgeber gewählt wird. Anonymisierte Mitarbeiterbefragungen belegen wiederholt die hohe Zufriedenheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.“ So weit die Telekom in Bonn.

CHEFS WARNEN VOR GEWERKSCHAFTEN_ Übersetzt man solche Sätze für Elvis Alvira, den Außendiensttechniker bei T-Mobile in Long Island unweit von New York, bedeuten seine hochgezogenen Augenbrauen, dass er in einer völlig anderen Telekom-Welt lebt. Elvis Alvira, 36, aufgewachsen in Brooklyn, vierfacher Familienvater, hat sein Techniker-Handwerk beim Marine Corps gelernt und ist seit bald acht Jahren bei T-Mobile. „Ich arbeite sehr gerne für das Unternehmen“, sagt Alvira, „aber wie sie hier unsere Wahl kaputt gemacht haben, war unfair und undemokratisch.“ Wie die meisten Amerikaner hat Elvis Alvira keinen Arbeitsvertrag, sein Beschäftigungsverhältnis ist „at will“, das heißt, beide Seiten können das Arbeitsverhältnis von heute auf morgen ohne Angabe von Gründen beenden – und damit auch Elvis Alviras Krankenversicherung. Dass Alvira seinen Ärger öffentlich macht, könnte ihm schaden, aber er sagt: „Ich hab’ keine Angst, ich war bei der Armee. Außerdem bin ich seit Jahren ein guter Mitarbeiter und übertreffe die Zielvorgaben regelmäßig.“ Dafür stünde ihm, so erzählt er, eine entsprechende Gehaltserhöhung für das folgende Jahr zu, „aber mehrfach hieß es plötzlich, dass ich doch weniger bekomme. Dafür bekommt dann ein anderer mehr, der aus irgendwelchen Gründen beliebter ist als ich.“ Oder wenn, wie Alvira berichtet, er auf Sicherheitsmängel bei der Arbeit an den Mobilfunkantennen aufmerksam macht. „Seit Jahren beklage ich, dass wir für bestimmte Situationen einen Sicherheitsgurt brauchen, aber es passiert einfach nichts.“ In solchen und anderen Fällen könne eine Gewerkschaft im Betrieb „eine Stimme für alle Beschäftigten“ sein und durch transparente Prozesse Vetternwirtschaft beenden.

Als CWA im Frühjahr 2011 bei der Arbeitsbehörde National Labor Relations Board (NLRB) eine Wahl für die Vertretung der T-Mobile-Techniker in Long Island beantragte, hatte die Gewerkschaft dafür die Unterschriften von zehn der 15 Mitarbeiter. Sofort legte T-Mobile Widerspruch ein, es folgte ein wochenlanger Streit über den Zuschnitt der Einheit und der Wahlberechtigten. Die Arbeitsbehörde schloss sich schließlich der Auffassung der Beschäftigten an, doch so hatte T-Mobile zusätzlich Zeit gewonnen: Die Wahl fand erst am 30. Dezember statt. „Bis dahin wurden zwei Kollegen, die pro Gewerkschaft waren, gekündigt oder versetzt, drei neue, die Gewerkschaftsgegner sind, wurden eingestellt“, berichtet Alvira. Es gab mehrere verpflichtende Mitarbeitersitzungen, von denen Gewerkschafts-Befürworter wie Elvis Alvira ausgeschlossen waren; dort warnten Manager, die zum Teil vom T-Mobile-Sitz an der Westküste eingeflogen waren, vor den angeblich falschen Behauptungen der Gewerkschaften und ihrer zerstörerischen Wirkung auf das Betriebsklima.

Dabei wurde auch Elvis Alvira persönlich angegriffen, er sei ein „schlechter Techniker“, wofür sich der Manager später entschuldigen musste. In Einzelgesprächen mit den direkten Vorgesetzten und mit Managern aus der Regionaldirektion und der T-Mobile-Zentrale wurden die Mitarbeiter zusätzlich bearbeitet; zudem bekamen sie E-Mails, in denen zum Beispiel vorgerechnet wurde, wie viele Beiträge sie an die Gewerkschaft in den nächsten drei Jahren zu zahlen hätten, und in denen Manager wenige Tage vor der Wahl Sätze schrieben wie: „Wir waren bemüht, alle Ihre Fragen zur Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft zu beantworten … Meiner Meinung nach können und werden Gewerkschaften nicht helfen, unsere Ziele zu erreichen.“

Solche Einmischungen versucht die Telekom ausgerechnet mit dem in der US-Verfassung garantierten „Recht auf freie Meinungsäußerung“ zu rechtfertigen – das eigentlich den meinungsfreudigen Bürger vor einem übergriffigen Staat schützen soll und nicht Weltkonzerne bei der Einschüchterung abhängig Beschäftigter.

GEWERKSCHAFTSABWEHR DURCH US-ANWÄLTE_ Doch T-Mobile erreichte damit das Ziel: Die ursprüngliche Mehrheit der Unterstützer in Long Island, dokumentiert durch die zehn Unterschriften, wurde in eine Mehrheit von 10:6 gegen die Vertretung durch die Gewerkschaft der Communications Workers, CWA, umgedreht. Auch im Bundesstaat New York bearbeiteten T-Mobile-Manager ihre Mitarbeiter so massiv, bis diese ihren Wahlantrag zurückzogen. Nur in einer kleinen Techniker-Einheit in Connecticut gelang es der Telekommunikationsgewerkschaft im vergangenen Sommer, bei einer Wahl mit 8:7 die Mehrheit zu erringen – die 15 Beschäftigten sind jene 0,04 Prozent, die die Telekom so frech interpretiert, dass ihre Mitarbeiter nun mal kein Interesse an Gewerkschaften hätten. Seither verhandelt T-Mobile dort nun zwar mit der CWA, doch auf der Unternehmensseite führt dabei der Anwalt Mark Theodore von der weltweit agierenden US-Kanzlei Proskauer Rose das Wort. Ein anderer Anwalt von Proskauer Rose und langjähriger T-Mobile-Berater, Peter Conrad, rühmt sich auf der Kanzlei-Website seiner besonderen Kenntnisse in der „Abwehr von Gewerkschaften“ durch „Unternehmenskampagnen“. Entsprechend unergiebig sind die Sitzungen. „T-Mobile verhandelt nicht in ehrlicher Absicht. Das Ziel des Proskauer-Anwalts ist es, die Gewerkschaft nach einem Jahr wieder abzuwählen“, sagt Larry Cohen, der Vorsitzende der CWA.

Für Cohen ist es überraschend und enttäuschend zugleich, dass ausgerechnet ein deutsches Unternehmen, das auch noch zu einem Drittel in Staatsbesitz ist und ansonsten gern seine Unterstützung für gewerkschaftliche Vertretung betont, sich so stark exponiert im „Krieg gegen die Gewerkschaften“. In den USA hat dieser „Krieg“ die Gewerkschaften dezimiert und den Organisationgrad von 35 auf heute unter sieben Prozent sinken lassen; nimmt man den öffentlichen Sektor hinzu, haben heute weniger als zwölf Prozent der US-Arbeitnehmer einen gewerkschaftlichen Tarifvertrag. Die Enttäuschung des CWA-Chefs ist umso größer, als es beim Konkurrenten AT & T seit Jahren ein Neutralitätsabkommen mit der Gewerkschaft CWA gilt, welches das Wahlverfahren erheblich abkürzt und erleichtert. „Bei AT & T werden Vorgesetzte angehalten, sich aus der Entscheidung ihrer Mitarbeiter pro oder contra Gewerkschaften völlig herauszuhalten, sie können sogar gefeuert werden, wenn sie Einfluss zu nehmen versuchen“, sagt Cohen gegenüber der „Mitbestimmung“.

„Was AT & T kann, muss auch die Deutsche Telekom können“, fordert auch ver.di-Bundesvorstandsmitglied Lothar Schröder, zuständig für die Telekommunikationsbranche. „Es ist einfach unanständig, wie sich T-Mobile als ‚gewerkschaftsfreies‘ Unternehmen aufführt“, betont Schröder, der auch stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Telekom AG ist. „Es soll weder Anwälte zur Gewerkschaftsverhinderung beschäftigen noch ein Klima der Furcht unter seinen Beschäftigten erzeugen. Ich erwarte von der Deutschen Telekom, dass sie ihren Mitarbeitern in den USA nicht länger grundlegende Rechte verweigert.“

KAMPAGNE „WE EXPECT BETTER“

„Inakzeptables Verhalten“

Die Communications Workers of America und ver.di haben gemeinsam eine Gewerkschaft für die US-Kollegen bei T-Mobile gegründet: die TU-Workers Union (TU).

Als die Telekom 2001 mit dem Kauf von VoiceStream in den US-Markt einstieg, begüßten die Communications Workers of America (CWA) dieses Engagement noch ausdrücklich – das Unternehmen hatte einen Ruf als guter Arbeitgeber und Partner der Gewerkschaften in Deutschland. Elf Jahre später ist dieser Ruf wegen der brutalen Anti-Gewerkschaftspolitik der Telekom in den USA nahezu zerstört. Seit Jahren kämpfen die CWA und ver.di deshalb in gemeinsamen Kampagnen diesseits und jenseits des Atlantiks für bessere Arbeitsverhältnisse und gründeten 2011 sogar eine gemeinsame Gewerkschaft für die US-Kollegen bei T-Mobile: die TU-Workers Union (TU). „Anständige Unternehmen behandeln auch die Beschäftigten anständig“, sagt Ado Wilhelm, Bereichsleiter in der ver.di-Bundesverwaltung und einer der Architekten der TU und der länderübergreifenden Kampagnen. Wilhelm kündigt an: „Solange sich die Telekom derart inakzeptabel verhält, werden wir weiter darum kämpfen, dass sich Mitarbeiter in den USA ohne Angst um ihren Job Gewerkschaften anschließen können.“ Zwar behauptet die Telekom gern, nur das langwierige, mehrstufige Anerkennungsverfahren, das für viele Organisierungsversuche eine zu hohe Hürde darstellt, sei gesetzeskonform. Dem widerspricht Hae-Lin Choi, Sonder-Organizerin bei der CWA in New York, ehemalige ver.di-Mitarbeiterin und Böckler-Promotionsstipendiatin: „Keine gesetzliche Bestimmung in den USA hindert die Telekom daran, das Tarifverhandlungsrecht der Beschäftigten von T-Mobile durch das viel einfachere Card-Check-Verfahren anzuerkennen. Einige US-Unternehmen, darunter AT&T, haben es längst vorgemacht.“

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrem Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen