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Magazin Mitbestimmung

Spanien: Gesichter der Bankenkrise

Ausgabe 04/2013

1,4 Millionen Menschen sind von Zwangsräumung betroffen, weil sie die Hypotheken nicht mehr zahlen können. Sie kämpfen für ein Gesetz, das die Banken zwingt, die Wohnungen zum Kaufpreis zurückzunehmen. Von Reiner Wandler (Madrid)

Spaniens Bankenkrise hat Gesichter. Es sind Menschen wie María Luisa Brañas oder Elvira González. Brañas, 52, tätig in der Lebensmittelindustrie, jetzt arbeitslos, konnte die Zwangsräumung ihrer Wohnung nur knapp verhindern. Und González, 68, Hausangestellte im Ruhestand, gehört zu denen, die sich ein komplexes Finanzprodukt aufschwatzen ließen, das jetzt rapide an Wert verliert. Schlimmer noch: Brüssel, das Geld für einen Bankenrettungsfonds von 100 Milliarden Euro zur Verfügung stellt, verlangt, dass die betroffenen Kunden einen Teil ihrer Einlagen zur Sanierung der Finanzinstitute beisteuern.

María Luisa Brañas säße längst auf der Straße, hätte die Bewegung der „Indignados“, der Empörten, nicht die Zwangsräumung ihrer Wohnung verhindert. Es war im Juli, als der Gerichtsvollzieher kam. Nach den Protesten und anschließenden Verhandlungen darf sie mit ihrer Familie in der Wohnung bleiben. „Wir zahlen nun eine sogenannte Sozialmiete von 350 Euro monatlich an die Bank“, erklärt sie. Die Regelung gilt für sieben Jahre. Dann muss die Familie entweder den Kredit bedienen oder gehen.

150.000 Euro hatte 2005 die 86-Quadratmeter-Wohnung gekostet. Die Sparkasse finanzierte die Wohnung großzügig zu 100 Prozent. „Kurz darauf wurden wir alle – ich, mein Mann und unsere vier erwachsenen Kinder – arbeitslos.“ Ihr Mann, Koch, erhält 400 Euro Stütze für ältere Langzeitarbeitslose. Das ist alles, was die Familie an regelmäßigem Einkommen hat. Hinzu kommen die Gelegenheitsjobs des ältesten Sohnes. Jede Stromrechnung gefährdet die Mietzahlung und kann den Gerichtsvollzieher erneut auf den Plan rufen.

Die Familie Brañas ist kein Einzelfall. In rund 1,8 Millionen spanischen Haushalten arbeitet keiner mehr. Insgesamt sind 26 Prozent ohne Arbeit. Seit Krisenbeginn 2008 wurden über 330 000 Zwangsräumungsverfahren eingeleitet. Die Banken nehmen die Wohnungen nur zu dem Preis zurück, den sie bei einer Versteigerung erzielen. Damit ist die Wohnung weg, aber die Schulden aus der Hypothek müssen weiterhin bezahlt werden. Nach dem Platzen der Spekulationsblase 2008 liegen die Wohnungspreise heute um mindestens 50 Prozent unter dem, was in vielen Kreditverträgen steht.

Die Bewegung der von Zwangsräumung Betroffenen sammelte 1,4 Millionen Unterschriften unter ein Volksbegehren für ein Gesetz, das die Banken zwingen soll – ähnlich wie in den USA –, die Wohnungen zurückzunehmen und im Gegenzug den gesamten Kredit zu streichen. Das Parlament muss in den kommenden Wochen darüber beraten. „Warum wird den Banken geholfen und den Menschen nicht?“, fragt Brañas.

„Die Sparkasse Caja Madrid hat mich betrogen“, wettert auch Elvira González. Ein Sachbearbeiter, den die Rentnerin und ihr Mann, ein Maschinenschlosser im Ruhestand, seit Jahren kennen, ermunterte die beiden 2009, ihre Ersparnisse, 56.000 festverzinste Euros, in sogenannte „Preferentes“ anzulegen. Preferentes? Vorzugsbeteiligungen? Das klang gut und schmeichelte. Der Banker redete von sechs Prozent Zinsen, das Geld könnten sie jeder Zeit abheben, es sei so etwas wie Festgeld, nur besser und selbstverständlich ohne Risiko. Was er nicht erklärte: Preferentes sind kein Sparguthaben, sondern von der Bank ausgegebene Beteiligungen, die nicht an der Börse, sondern auf einem Parallelmarkt gehandelt werden. Die Anlage läuft nicht aus. Das Geld bekommt nur zurück, wer seine Preferentes weiterverkauft. Die Rentabilität ist nicht sicher, das Grundkapital nicht gewährleistet.

Insgesamt wurden in Spanien Preferentes für 26 Milliarden Euro an 710 000 Kunden verkauft. 37 Finanzinstitute und drei große Konzerne haben solche Beteiligungen aufgelegt. Mehr als die Hälfte wurden sogar nach 2007 verkauft, als sich bereits das Fiasko der Banken und Sparkassen abzeichnete. Die hatten jahrelang mit großzügigen Krediten – wie im Falle der Familie Brañas – den Wohnungsmarkt angeheizt. Als in der Finanzkrise die Immobilienblase platzte, wurden plötzlich „gute Investitionen“ zu „toxischen Aktivposten“. Die Finanzinstitute brauchten dringend Eigenkapital. Die Preferentes, bis dahin ein Produkt für risikobereite Großanleger, wurden an einen breiten Kundenkreis verkauft. Es waren vor allem Rentner, die beworben wurden. Verbraucherschutzverbände informierten immer wieder die Börsen- und Finanzmarktaufsicht – ohne Erfolg.

Mittlerweile ist der Markt für Preferentes zusammengebrochen. Caja Madrid, die sich mit anderen Kassen zu Bankia zusammenschloss, wurde im Mai 2012 verstaatlicht. EU, EZB und die europäische Bankaufsichtsbehörde bestehen darauf – und so steht es im Memorandum für das 100-Milliarden-Paket zur Bankenrettung –, dass die Inhaber von Preferentes für die Bankensanierung mit aufkommen. Allein bei der Pleitebank Bankia verlieren 100 000 Kunden 38 Prozent ihres Ersparten; der Restbetrag wird in Aktien umgewandet, die mittlerweile völlig wertlos sind. „Wir sind doch keine Investoren, wir sind einfache Leute, normale Sparer“, schimpft González, die auf jeden Fall 22.000 Euro verlieren wird.

Trotzdem konnten sich viele spanische Banken und Sparkassen nicht retten. Sie sind jetzt auf die Gelder aus Brüssel angewiesen. 167 Milliarden Euro an Krediten – mehr als zehn Prozent des verliehenen Geldes – werden nicht mehr bedient. Hinzu kommen „toxische Aktivposten“ in Höhe von 55 Milliarden Euro, die an eine vom spanischen Staat eingerichtete Bad Bank transferiert wurden.

82 Prozent der Spanier sind laut Umfragen mit der Politik, die bei Sozialausgaben spart und gleichzeitig die Banken rettet, nicht einverstanden und prophezeien eine Zunahme der sozialen Proteste. Der nächste Konflikt um die Bankensanierung hat bereits begonnen. Weitere 20 000 Stellen sollen im Bankensektor verloren gehen. Seit Krisenbeginn wurden bereits 33 000 Stellen abgebaut.

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