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Betriebsräte Gabriele Formann und Michael Schnitzer vor Fendt-Traktoren: „Der Personalchef kommt mit zum BetriebsräteTag.“ Magazin Mitbestimmung

Arbeitszeit: Geld oder Leben

Ausgabe 06/2019

Durch eine Betriebsvereinbarung beim Landmaschinenhersteller AGCO Fendt im Allgäu haben viele Beschäftigte die Wahl zwischen mehr Geld oder Freizeit. Von Stefan Scheytt

Weil der Tarifvertrag und die Betriebsvereinbarung, um die es geht, keine einfache Materie sind, reißt Betriebsrätin Gabriele Formann kurzerhand zwei Zettel vom IG-Metall-Block und legt sie auf den Tisch. Auf den einen schreibt sie: „T-ZUG 8 Tage“, auf den anderen: „BV 6 Tage“. Hinter den kryptischen Namen verbergen sich freie Tage. T-ZUG steht für den Tarifvertrag der IG Metall von 2018, der ein tarifliches Zusatzgeld von 27,5 Prozent des Monatslohns gewährt und manchen Arbeitnehmern die Wahl lässt, anstelle des Gelds zusätzlich acht Tage freizunehmen. BV steht für eine Betriebsvereinbarung, die den Tarifvertrag erweitert – und womit die Arbeitnehmervertreter beim Landmaschinenhersteller Fendt für den Preis beim Deutschen Betriebsrätetag nominiert waren. 

„Der T-ZUG war einer der besten Abschlüsse, die ich in 37 Jahren bei der IG Metall erlebt habe“, sagt Gabriele Formann und tippt auf den einen Zettel. „Und unsere Betriebsvereinbarung“, ergänzt Kollege Michael Schnitzer mit dem Finger auf dem zweiten Zettel, „ist das Zuckerle obendrauf.“ Michael Schnitzer und Gabriele Formann sind beide freigestellt – als Vorsitzender und stellvertretende Vorsitzende leiten sie den 23-köpfigen Gesamtbetriebsrat bei Fendt im Allgäu. 

Viele Beschäftigte können profitieren

Im Kern geht es darum, den Kreis der Anspruchsberechtigten zu vergrößern: Während der Tarifvertrag die Wandlungsmöglichkeit des Zusatzgelds in acht freie Tage jenen Mitarbeitern vorbehält, die Schichtarbeit leisten, Angehörige pflegen oder Kinder unter acht Jahren haben, können durch die Betriebsvereinbarung nun Fendt-Mitarbeiter in der Montage auch ohne diese Voraussetzungen ihr Zusatzgeld in freie Tage verwandeln – allerdings nicht in acht, sondern in sechs. Dadurch verdoppelte sich die Zahl derjenigen, die sich anstelle des Gelds für mehr Freizeit entschieden, von knapp 500 auf rund 1000 Beschäftigte.

Gerade in der Montage, wo die Traktoren bei einer täglichen Arbeitszeit von 9,2 Stunden im Akkord zusammengebaut werden, sind die Belastung und der Krankenstand hoch. „Viele Kollegen sind längst an der Grenze des Erträglichen und akzeptieren das nur, um nicht zum Zwei-Schicht-Betrieb zurückkehren zu müssen“, erklärt Gabriele Formann. Umso lieber nutzen viele jetzt die Möglichkeit und gönnen sich sechs zusätzliche freie Tage im Jahr. Michael Schnitzer: „In der Tendenz sind es eher die älteren Kollegen, die sagen: Geld ist nicht alles. Vielen Jüngeren dagegen ist das Zusatzgeld wichtiger. Man kann nicht eine Politik für alle machen, sondern muss den Leuten für ihre jeweilige Situation Alternativen ermöglichen. Wir haben uns mit der Betriebsvereinbarung ein Stück Selbstbestimmung zurückgeholt.“

Um die wegfallenden Arbeitsstunden auszugleichen, konnte der Betriebsrat die Einstellung von 20 neuen Mitarbeitern und die Entfristung der Arbeitsverträge von fast 150 Kollegen durchsetzen. Sie ermöglichen ein rollierendes System, bei dem das Montageband den vom Arbeitgeber gewünschten hohen Takt beibehält und die Mitarbeiter ihren freien Tag an wechselnden Wochentagen haben. „In regelmäßigen Abständen fallen die Rolliertage so, dass man ein viertägiges Wochenende hat. So ist die Belastung noch ok“, meint Michael Schnitzer.

Die gute Auftragslage macht es möglich

Ende 2019 läuft die Betriebsvereinbarung aus. Wenn die gute Auftragslage anhält, soll die Vereinbarung auch fürs kommende Jahr verhandelt werden, sagen die Betriebsräte. „Der Clou ist die Mitbestimmungspflicht bei der Erhöhung der Arbeitszeit. Dieses Druckmittel sollten Betriebsräte öfter mal nutzen, dann kommt man in fruchtbare Diskussionen mit dem Arbeitgeber“, kommentiert gelassen Michael Schnitzer, der Mitglied der Tarifkommission der IG Metall in Bayern ist.

So kämpferisch die Fendt-Betriebsräte mitunter sind, so wichtig ist ihnen die Verständigung mit ihrem Gegenüber und gegenseitiger Respekt. „Uns war wichtig, dass der Personalchef zum Betriebsrätetag in Bonn mitkommt“, sagt Schnitzer. Er wurde begleitet vom kompletten 23-köpfigen Arbeitnehmergremium, im Team-Look mit weinroten T-Shirts, dem Firmenlgo und dem Logo der IG Metall.

Zum Unternehmen

Seit 1930 produziert Fendt Traktoren im oberschwäbischen Marktoberdorf. 1997 übernahm der weltweit tätige US-Landmaschinenkonzern AGCO im US-Bundesstaat Georgia das Unternehmen. AGCO setzte zuletzt mehr als neun Milliarden Dollar um und wird von dem ehemaligen Lehrer Martin Richenhagen geleitet, einem der wenigen deutschen CEOs in den USA. 2018 verkaufte Fendt fast 17 000 Traktoren (davon zwei Drittel ins Ausland), die in sehr hoher Fertigungstiefe hergestellt werden. Zum Angebot gehören auch Mähdrescher und anderes schweres landwirtschaftliches Gerät. Im Hauptwerk Marktoberdorf sind rund 3500 Menschen in der Entwicklung, Produktion, Montage, im Vertrieb und im Marketing beschäftigt.

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