zurück
Magazin Mitbestimmung

Von ANDREAS SCHULTE: Gegen unsaubere Praktiken in der Reinigungsbranche

Ausgabe 12/2016

Reportage Unternehmen in den Ballungsräumen finden nicht mehr genug Personal. Das könnte die Position der Arbeitnehmerseite stärken, meint die IG BAU. Betriebsräte stemmen sich zunehmend gegen unsaubere Machenschaften.

Von ANDREAS SCHULTE

Petra Vogel forderte unbefristete Arbeitsverträge für die Beschäftigten, und sie argumentierte dabei schlüssig: „Angestellte mit einer Zukunftsperspektive bleiben länger im Unternehmen und sie liefern aus Loyalität zur Firma bessere und kundenorientiertere Arbeit.“

So sprach die Betriebsratsvorsitzende der Bochumer Gebäudereinigungsfirma Wi-Med bei ihrem Chef vor. Denn innerhalb der rund 200-köpfigen Belegschaft rumorte es. Ein Drittel von ihnen war befristet beschäftigt. „An eine größere Anschaffung, eine erfolgreiche Wohnungssuche, geschweige denn eine familiäre Zukunft ist unter solchen Bedingungen nicht zu denken“, weiß die 58-Jährige, die schon seit knapp 30 Jahren professionell schrubbt und putzt.

Doch der Arbeitgeber tat sich zunächst schwer, ihrer Argumentation zu folgen. „Reinigungsfirmen stellen grundsätzlich lieber befristet ein, weil sie so leichter auf Auftragsrückgänge reagieren und ihre Leute besser unter Druck setzen können. Wer nicht spurt, bekommt seinen Vertrag nicht verlängert“, sagt die Betriebsrätin. In Verhandlungen schaltete die Geschäftsleitung zunächst auf stur. „Erst nach sechs Monaten erkannten sie auch für sich einen Vorteil“, sagt Vogel. „Die zu erwartende verbesserte Qualität der Arbeit stärkt die Position von Wi-Med im Wettbewerb.“ Schließlich willigten die Manager in die von Vogel verlangte Betriebsvereinbarung ein. Seither wird bei den Bochumern nicht mehr befristet eingestellt.

Personalmangel in der Reinigungsbranche

Petra Vogels Verhandlungserfolg könnte in der prekären Gebäudereinigerbranche Schule machen. Denn egal ob im Streit für unbefristete Arbeitsverträge, für höhere Löhne oder gegen Leistungsverdichtung. „Dieser Wirtschaftszweig leidet zunehmend unter Personalmangel. Für Betriebsräte ist daher jetzt ein guter Zeitpunkt, Forderungen durchzusetzen und die Arbeitsbedingungen in der Branche zu verbessern“, sagt Daniel Kopp, Fachreferent für das Gebäudereiniger-Handwerk bei der IG BAU. Erste Arbeitnehmervertreter wollen die Gunst der Stunde nutzen.

An der Klinik Charité in Berlin beispielsweise kämpfen die Arbeitnehmer der Tochtergesellschaft CFM für höhere Löhne. Im Mutterhaus gilt der Tarifvertrag des Öffentlichen Diensts, beim Facilitymanagement CFM hingegen nicht. 700 der 2.200 Beschäftigten sind Gebäudereiniger. „Früher hat der Arbeitgeber die rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft, sich bei Auseinandersetzungen von Mitarbeitern zu trennen, heute überlegt er sich das gut. Denn er hat Probleme, Stellen zu besetzen“, sagt der Betriebsratsvorsitzende Maik Sosnowsky.

Auch wenn Personalmangel vor Arbeitslosigkeit schützen kann: Den Arbeitgebern bleiben andere Druckmittel. Bei CFM arbeiten gut 80 Prozent der Gebäudereiniger in Teilzeit. Viele übernehmen freiwillig Überstunden, weil sie anders finanziell nicht über die Runden kommen. „Arbeitgeber nutzen dies aus“, sagt Sosnowsky. „Wer sich querstellt, bekommt keine weiteren Stunden zugeteilt, oder er wird auf eine andere Station versetzt, wo die Arbeit besonders hart ist.“ Erst im Oktober haben CFM-Mitarbeiter für ihre Rechte gestreikt. Unter ihnen waren nur wenige Gebäudereiniger. Betriebsrat Sosnowsky hat das nicht überrascht: „Viele können nicht einmal den Mitgliedsbeitrag für die Gewerkschaft aufbringen.“

Kein Wunder – denn mit dem Reinemachen wird niemand reich. Ein Grund: Teilzeitarbeit wie bei CFM ist ein typisches Merkmal dieser Branche. Zudem ist nach Gewerkschaftsangaben fast die Hälfte aller Beschäftigungsverhältnisse befristet. Typischerweise erfolgt ein Arbeitgeberwechsel nach zwei Jahren. Denn länger dürfen befristete Verträge laut Gesetz nicht laufen. „Die Arbeitgeber schöpfen diese Frist voll aus“, sagt Gewerkschafter Kopp. Längst nicht jeder findet einen neuen Job, denn nur 40 Prozent der Beschäftigten haben eine Berufsausbildung, die wenigsten eine im Gebäudereiniger-Handwerk.

Der Preis für den Mindestlohn ist „Turboputzen“

Immerhin erhalten die gut 600.000 Beschäftigten – davon 80 Prozent Frauen – einen Branchenmindestlohn, der deutlich über dem gesetzlichen liegt. Ab 2017 zahlen die rund 20.000 Firmen pro Stunde zehn Euro im Westen und 9,05 Euro in den neuen Ländern. Doch der Preis dafür ist hoch: „Mit jeder Tariferhöhung geht in vielen Firmen eine Leistungsverdichtung einher“, sagt Kopp. Für mehr Geld erwarten die Arbeitgeber also auch mehr geputzte Fläche.

Das sogenannte „Turboputzen“ nimmt mitunter bizarre Formen an. „Ich habe eine Controllerin erlebt, die gab uns für das Putzen eines Lichtschalters genau vier Sekunden Zeit“, erzählt Wi-Med-Betriebsrätin Petra Vogel. Aus Angst vor Repressalien wehren sich nur wenige gegen solche Vorgaben. Hinzu kommt: „Viele kennen ihre Rechte nicht einmal und sie können nicht gut genug Deutsch, um sich erfolgreich mit ihren Vorgesetzten oder ihrem Chef auseinanderzusetzen“, weiß IG-BAU-Fachreferent Daniel Kopp.

Diesen Missstand hat auch Michaela Höhle erkannt. Die Betriebsratsvorsitzende beim Gebäudereiniger TIP-TOP Dienstleistungen in Wolfsburg, engagiert sich im Projekt Mento, das vom DGB Bildungswerk unterstützt wird. Mento hilft dabei, Arbeitnehmer zu alphabetisieren und bildet deshalb Angestellte zu Vertrauensleuten aus, an die sich Menschen ohne Lese- und Schreibkenntnisse wenden können. Michaela Höhle fasste den Entschluss, eine solche Vertrauensleute-Weiterbildung zu besuchen – und bekam vom Arbeitgeber sofort grünes Licht. Obwohl ein Teil der Fortbildung in die Arbeitszeit fiel. „Ich habe sogar noch einen Firmenwagen bekommen, um damit zur Weiterbildungsstätte zu fahren“, erzählt Höhle. So eine Unterstützung vom Arbeitgeber ist aber eher die Ausnahme. Denn viele fürchten einen Imageschaden des eigenen Unternehmens, wenn bekannt wird, dass unter der Belegschaft auch Analphabeten sind. Daher ignorieren sie das Problem.

Durch Putzroboter könnten Stellen wegfallen

Die Vogel-Strauß-Methode praktiziert auch der Innungsverband „Die Gebäudedienstleister“. Geschäftsführer Johannes Bungart wischt Bedenken gegenüber Turboputzen und prekären Verhältnissen kurzerhand vom Tisch. „Leistungsverdichtung und eine besonders hohe Zahl befristeter Verträge lassen sich mit belastbaren Zahlen nicht belegen.“ Handlungsbedarf sieht er stattdessen an ganz anderer Stelle: „Die größte Herausforderung der Branche ist die zunehmende Digitalisierung.“ Die Befürchtung: Durch den verstärkten Einsatz von Robotertechnik, könnten bald Arbeitsplätze wegfallen. Personalmangel indes herrsche derzeit in Ballungsgebieten. „Ob sich der Mitbestimmung dort neue Chancen eröffnen, hängt ganz individuell von den handelnden Personen ab.“

Personalmangel herrscht aber auch auf der Arbeitnehmerseite. „Um weitere Forderungen durchzusetzen, brauchen wir mehr Betriebsräte“, räumt Gewerkschafter Kopp ein. Die Kollegen zu organisieren, ist allerdings schwierig. Viele arbeiten örtlich weit verstreut in unterschiedlichen Betrieben. Der Austausch untereinander und damit die Solidarität fehlen. Und wenn es doch mal einer versucht, im Gebäudereinigerhandwerk einen Betriebsrat auf die Beine zu stellen, haben die Arbeitgeber oft leichtes Spiel. „Wir haben schon erlebt, dass engagierte Kollegen bei einer Lohnerhöhung von 50 Cent umkippen“, sagt Kopp. Wer kaum etwas verdiene, sei eben leichter zu kaufen.

Fotos: Jürgen Seidel

Der Beitrag wurde zu Ihrem Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen