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Magazin MitbestimmungFörderprogramme: Für Europa wird die Zeit knapp
Forschende des IMK haben die massiven Auswirkungen des amerikanischen Inflation Reduction Act (IRA) auf europäische Projekte für den Bau von Batteriefabriken kalkuliert. Die Lage ist brisant. Von Andreas Molitor
Der Start in den Sommerurlaub dürfte für Jürgen Barke und Claus Ruhe Madsen in diesem Jahr alles andere als sorgenfrei verlaufen sein. Vor allem zwei Nachrichten sorgten beim saarländischen und beim schleswig-holsteinischen Wirtschaftsminister in den Wochen vor den Ferien für Unruhe: An der Saar hat der chinesische Batteriehersteller SVolt den ursprünglich einmal für Ende 2023 vorgesehenen Produktionsstart seiner Batteriezellenfabrik in Überherrn auf das Jahr 2027 verschoben. Auch im hohen Norden, im schleswig-holsteinischen Heide, dürften sich Bau und Produktionsstart der von Bund und Land mit insgesamt 900 Millionen Euro geförderten Batteriezellenfabrik des schwedischen Produzenten Northvolt verzögern, nachdem das Unternehmen in wirtschaftliche Turbulenzen geraten ist.
Die Lektüre der aktuellen Studie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung zum Inflation Reduction Act (IRA) der USA verdeutlicht, warum dies ausgesprochen schlechte Nachrichten sind – nicht nur für die beiden betroffenen Bundesländer, sondern für den Industriestandort Deutschland und die Mobilitätswende.
Die Expertise mit dem Untertitel: „Gut fürs Klima, schlecht für Europa?“ über die zwei Billionen US-Dollar schwere Investitionsoffensive der Biden-Regierung für „gut bezahlte, sichere und gewerkschaftlich organisierte Industriearbeitsplätze“ legt empirische Befunde zur Frage vor, welchen Beitrag der IRA mit Investitionen in klimafreundliche Technologien zur Dekarbonisierung der US-Wirtschaft leistet. Außerdem nimmt sie die Auswirkungen des Programms auf die Wertschöpfungskette der Elektromobilität in Europa in den Blick, insbesondere auf die strategisch wichtige Batterieproduktion, den Schlüssel für die Mobilitätswende. Auf die durch den IRA befeuerten Investitionen der USA in die Batterieherstellung müsse „die europäische Politik eine Antwort finden“, mahnt das Autorenteam, ansonsten könnte sich der US-Jobmotor für die EU als Jobkiller erweisen. Die Forschenden warnen: „Es ist unwahrscheinlich, dass einmal verschobene
oder ausgesetzte Batterieprojekte doch noch zu einem späteren Zeitpunkt realisiert werden.“
Zuckerbrot und Peitsche
Die Architekten des IRA setzen gezielt auf eine „Zuckerbrot und Peitsche“-Strategie, die das Potenzial habe, „die derzeitige Preisstruktur bei den Autobatterien substanziell zu verändern“. Einerseits sollen satte Steuergutschriften – das Zuckerbrot – die Wettbewerbsfähigkeit der US-Batteriefertigung entscheidend verbessern. Derzeit liegen die Investitionskosten einer Gigafabrik rund ein Drittel über den vergleichbaren Kosten in China. Durch den Steuerbonus können die amerikanischen Produktionsstätten annähernd Gleichstand erzielen.
Die US-Wirtschaftsförderer drohen allerdings auch mit der Peitsche, indem sie die Förderung von Elektroautos mit strengen Anforderungen an die Herstellung der Batterie verknüpfen. Je größer der Anteil amerikanischer Fertigung, desto höher die Förderung. Wer ein Auto kauft, dessen Batterie Komponenten aus China enthält, geht komplett leer aus. Europäische und auch deutsche Autohersteller mit Fabriken in den USA werden auf diese Weise gezwungen, ihre Batterien entweder selbst vor Ort zu produzieren oder von US-Herstellern zu beziehen, „gegebenenfalls zu Lasten von Batterieprojekten in Europa“.
Bereits jetzt habe der IRA bei der Batteriezellfertigung einen „wahren Investitionsboom“ mit Dutzenden von Neubauprojekten ausgelöst, der sich weiter beschleunigen dürfte. Geht es in dem Tempo weiter, werden die amerikanischen Fabriken bereits Ende des Jahrzehnts in der Lage sein, mehr Batterien herzustellen, als sie in den Elektroautos „made in USA“ verbauen können, prognostizieren die IMK-Forscher. Mit ihren Batterien werden sie dann auf andere Märkte drängen. Etwa nach Europa, und zwar, aufgrund der großzügigen Förderung, zu einem ähnlich günstigen Preis wie chinesische Hersteller.
Entsprechend verengt sich der Zeitkorridor für europäische, teilweise mit dreistelligen Millionenbeträgen subventionierte Batterie-Gigafabrikprojekte. Je mehr sich die Vorhaben jetzt verzögern, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass überhaupt noch Bagger auf den Baustellen anrücken. Am meisten gefährdet sind Projekte, „die sich derzeit in einem frühen Planungsstadium befinden“. Mehr als zwei Drittel der Batterie-Großprojekte, die in Europa bis Ende 2030 fertiggestellt sein sollen, weisen ein mittleres oder hohes Risiko auf, nicht realisiert zu werden. „Angesichts sich abzeichnender Überkapazitäten dürfte der Weltmarktpreis für Batterien in den kommenden Jahren weiter sinken“, resümiert das IMK, „sodass sich eine europäische Batterieproduktion unter den gegebenen Bedingungen nicht rechnet.“
Detaillierte Informationen
Tom Bauermann/Sabine Stephan/Andrew Watt:
Inflation Reduction Act: Gut fürs Klima, schlecht für Europa? IMK Report Nr. 191, Juli 2024