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Magazin Mitbestimmung

Betriebsverfassung: Folgenreiches Gesetz

Ausgabe 11/2012

Getragen vom Engagement der Arbeitnehmer ist das Betriebsverfassungsgesetz gelebte Demokratie in der Wirtschaft – am 11. Oktober wurde es 60 Jahre alt. Von Margarete Hasel

Die betriebliche Mitbestimmung gehört zum deutschen Sozialmodell, wie die gesetzliche Sozialversicherung und die Tarifautonomie“, sagte Michael Sommer. Der Einsatz von Hunderttausenden von ehrenamtlichen Betriebsräten „für Unternehmenswohl, Wohlfahrt und Würde der Beschäftigten“ hätte sie zu einem „Erfolgsmodell“ gemacht – zumal seit der Wirtschaftskrise „in Deutschland das Bewusstsein gewachsen ist, wie wertvoll Mitbestimmung ist“, unterstrich Sommer in seiner Funktion als DGB-Vorsitzender und Vorstandsvorsitzender der Böckler-Stiftung beim Festakt am 17. Oktober in Berlin.

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Diese Erfolgsgeschichte war dem Betriebsverfassungsgesetz 1952 nicht in die Wiege gelegt worden. „Die Gewerkschaften haben dieses Gesetz nicht gewollt und geliebt schon gar nicht“, erinnerte der DGB-Vorsitzende an die Vehemenz der politischen Auseinandersetzungen der frühen Adenauer-Jahre. „Sie wollten damals wesentlich mehr“, sagte Sommer. Anders als die kurz zuvor durchgesetzte paritätische Mitbestimmung in der Montanindustrie habe das neue Gesetz „nicht ansatzweise der Gleichberechtigung von Kapital und Arbeit“ Rechnung getragen.

Auch Arbeitsministerin Ursula von der Leyen zeigte sich in ihrer Festansprache – unter der Überschrift „Eine Partnerschaft, die Deutschland stark macht“ – geschichtsbewusst. Für ihre Würdigung „eines der prägendsten und folgenreichsten Gesetze“ – wie sie es nannte – hatte sie einen dicken Protokollband mitgebracht, in dem die Bundestagsdebatten um dieses heftig umstrittene Gesetz festgehalten sind, das schließlich gegen die Stimmen der damaligen Oppositionsparteien SPD und KPD verabschiedet worden war. In diesen Protokollen war die Arbeitsministerin auf Johannes Even gestoßen, damals CDU-Abgeordneter aus dem Rheinland und sozialisiert in der katholischen Arbeiterbewegung. Die Betriebsverfassung sei „eines der kühnsten sozialen Experimente in der ganzen Welt“, zitierte sie den weitblickenden Abgeordneten und ergänzte: „Gott sei Dank, dass dieses kühne Experiment geglückt ist.“
Wie zuvor Michael Sommer betonte auch Ministerin von der Leyen, dass sich die Betriebsverfassung neuen Herausforderungen stellen müsse. Mit Blick auf die europäisierte und globalisierte Arbeitswelt und Wirtschaft zeigte sie sich gleichwohl optimistisch: „Ich bin fest überzeugt, dass Mitbestimmung gerade nach den Erfahrungen der letzten Jahre unverzichtbar wird. Es liegt an uns, wie weit wir dieses Modell in die Welt hineintragen.“ Konkreter wurde sie nicht.

REFORMBEDARF

Dabei gebe es einiges zu tun, goss Andrea Kocsis, die stellvertretende Vorsitzende von ver.di und Hans-Böckler-Stiftung, ein wenig Wasser in den Festtagswein. „Wieso gibt es keinen lauten Aufschrei, wenn deutsche Unternehmen im Ausland Arbeitnehmerrechte massiv missachten?“, fragte sie in Richtung Ministerin und Abgeordnete. Vor allem vermisste sie ein klares politisches Bekenntnis, die Betriebsverfassung an neue Erfordernisse der Arbeitswelt anzupassen. Seit der letzten Reform 2001 habe sich der Arbeitsmarkt massiv gewandelt. Konkret forderte sie eine Vereinfachung der Wahlverfahren bei Betriebsratsgründungen sowie eine Ausweitung der Mitbestimmung bei Leiharbeit, Honorar- und Werkverträgen. „Freiwillige Vereinbarungen reichen bei Weitem nicht mehr aus“, sagte Kocsis. Außerdem müssten in der globalisierten Arbeitswelt die Beteiligungsrechte des Betriebsrats bei Fusionen, Standortverlagerungen und Outsourcing deutlich gestärkt werden, damit die betriebliche Mitbestimmung bei diesen rasanten Prozessen Schritt halten könne. „Beschäftigungs- und Standortsicherung ist heute eine der wichtigsten Aufgaben der Betriebsräte“, betonte Andrea Kocsis.

In einer Podiumsrunde war zuvor erfahrungsgesättigt ausgelotet worden, ob die krisenerprobte Mitbestimmung für die Aufgaben der Zukunft gewappnet ist. „Zu einer starken Mitbestimmung gehört immer auch ein hoher Organisationsgrad, mit dem man als Betriebsrat argumentieren kann“, unterstrich Willi Segerath, der Konzernbetriebsratsvorsitzende der ThyssenKrupp AG, den elementaren Zusammenhang von Mitbestimmung und Gewerkschaftsarbeit. Seine Kollegin Waltraud Litzenberger, die Konzernbetriebsratsvorsitzende der Deutschen Telekom, verwies auf den tief greifenden Strukturwandel, den die Telekom von der Behörde zum börsennotierten Unternehmen durchlaufen habe – Personalabbau und Standortschließungen inklusive –, den die Betriebsräte „mit der Einigungsstelle im Hintergrund“ aktiv mitgestaltet hätten. In Krisenzeiten seien sich alle über die positive Wirkung der Betriebsverfassung einig gewesen. „Ich wünsche mir, dass diese Einstellung die Krise überdauert“, sagte Litzenberger. Andreas Wallmeier, den Geschäftsführer des Tortenherstellers Coppenrath & Wiese, musste sie nicht überzeugen. Im Wettbewerb um die besten Köpfe, ist er überzeugt, „macht eine gute Mitbestimmungskultur attraktiv“. Nicht erst seit der Krise weiß er, dass „der Werkzeugkasten des Betriebsverfassungsgesetzes auch aus Unternehmersicht zu nutzen ist“.

DEMOKRATIE KOSTET GELD

Als Vertreter des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall forderte Karsten Tacke in der Diskussion schließlich eine Beschleunigung der zeitaufwendigen Mitbestimmungsprozesse in den Betrieben. Außerdem monierte er die Kosten, die in den Unternehmen insbesondere durch Freistellungen entstünden – den Zwischenruf „Managergehälter!“ aus dem Publikum überhörte er geflissentlich. „Ja, Demokratie kostet Geld“, entgegnete DGB-Vorstand Dietmar Hexel. Aber die Kosten für alle Betriebsratsgremien zusammengerechnet seien „mit Sicherheit nicht höher als die Kosten für Boni-Systeme für Manager“. Durch Mitbestimmung könnten Entscheidungsprozesse tatsächlich etwas länger dauern – „dafür stehen am Ende aber auch viel bessere Ergebnisse“, sagte Hexel unter Applaus.

Mehr Informationen

Über die Veranstaltungsdokumentation gelangt man zur Webseite des DGB, auf der die Reden der Festveranstaltung u.a. in Audio-Mitschnitten und einer Bildergalerie dokumentiert sind. 

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