Quelle: Frieder Blickle/laif
Magazin MitbestimmungPrivate Equity: Firmenjäger machen keine Pause
Trotz Corona-Krise sammeln Finanzinvestoren mehr Geld als je zuvor. Der Ruf der Branche ist angeschlagen. Eine selbstbewusste Mitbestimmung kann das gierige Kapital zügeln. Von Kay Meiners
Wenn es eine Weltmeisterschaft der Firmenjäger gibt, sind es die jährlichen Meldungen der Branche für den Index PEI300. Für das Zahlenwerk – die Abkürzung steht für Private Equity International –ermitteln Rechercheure jene 300 Beteiligungsfonds, die das meiste Kapital eingesammelt haben, um damit Firmen zu kaufen. Wer zum Club gehören will, muss in den letzten fünf Jahren mindestens 1,4 Milliarden Dollar beschafft haben.
Die Messlatte hängt jedes Jahr höher: „Die Top Ten sind um rund 30 Milliarden stärker als noch im letzten Jahr“, heißt es im letzten Bericht, „die Top 50 haben erstmals die Billionengrenze überschritten.“Sein Gewerbe gehe „mit einer guten Kapitalausstattung in und durch das ökonomische und soziale Trauma der Corona-Krise“, verkündete jüngst der Private-Equity-Chef beim Branchenprimus Blackstone, Joe Baratta.
Große Deals trotz Corona-Krise
Der deutsche Markt ist attraktiv für Private Equity, also private Beteiligungen. Die Käufer sind gemeinhin als Finanzinvestoren bekannt. Aktuell gehören rund 5000 Firmen mit 1,1 Millionen Beschäftigten zum Portfolio von Beteiligungsgesellschaften. Zwar hat Corona vorübergehend dafür gesorgt, dass weniger Geschäfte zustande kommen. Dass große Deals trotzdem möglich sind, zeigt der Verkauf des Getriebeherstellers Flender von Siemens an den Investor Carlyle, ein Zwei-Milliarden-Geschäft. Im Schatten der Corona-Krise, so prognostizieren Experten, rüsten die Investoren sich für neue Einkaufstouren. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) will notfalls Geld einsetzen, um Unternehmen gegen unerwünschte Übernahmen zu schützen.
Um den Ruf der Branche steht es nicht zum Besten. Kurzfristiges Profitdenken, Geldgier, kein Respekt vor der Mitbestimmung – das sind die häufigsten Vorwürfe. Alexander Sekanina, Private-Equity-Experte der Hans-Böckler-Stiftung, wirbt gleichwohl für einen differenzierten Blick: Es gebe „Investoren, die auf die Arbeitnehmer zugehen, aber auch solche, die mit dem Rasiermesser kommen“. Das klingt anders als Franz Münteferings berühmte Heuschrecken-Metapher.
Wie es nach einer Übernahme tatsächlich zugeht, „hängt stark von der Erfahrung des Investors mit dem Standort Deutschland ab“, sagt Sekanina. Eine starke Mitbestimmung und ein hoher Organisationsgrad seien im Fall einer Übernahme „für die Arbeitnehmerseite Gold wert“. Nur wo es eine handlungsfähige Vertretung gibt, kann die Arbeitnehmerseite mit einem Prüfkatalog an den Investor herantreten: Wie hält er es mit der Mitbestimmung, der Tarifbindung und den Beschäftigteninteressen? Will er mit der Brechstange Kosten senken, oder bringt er gute Ideen mit?
Dennoch sind die Risiken groß. Ein Team von Ökonomen hat am Beispiel der USA untersucht, wie sich der Einstieg von Private Equity auswirkt. Die Forscher nahmen Tausende Firmen unter die Lupe, die zwischen 1980 und 2013 übernommen wurden. Innerhalb von zwei Jahren nach der Übernahme sank die Zahl der Arbeitsplätze bei zuvor börsennotierten Unternehmen um 13 Prozent, oft wegen Standortschließungen. Bei zuvor nicht börsennotierten Firmen ermittelten die Wissenschaftler ein ebenso starkes Plus bei der Beschäftigung, was sich „überwiegend durch Zukäufe“ erklären lässt, wie Josh Lerner, Professor für Investmentbanking an der Harvard Business School, klarstellt. Weitere Effekte durch Private Equity waren Lohnsenkungen und Produktivitätsgewinne durch ein forciertes Management.
Christoph Scheuplein vom Institut Arbeit und Technik (IAT), der sich für eine Böckler-Studie Buy-outs deutscher Unternehmen angesehen hat, kommt zu ähnlichen Befunden. Private Equity erzeugt Druck auf Finanzen und Beschäftigung – zudem erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass die Firmen auch nach dem Exit des Investors Eigentümern aus kapitalmarktorientierten angelsächsischen Ländern oder dem EU-Ausland gehören. Unter der Hand sprechen Betriebsräte vom „Ausverkauf“. Kann man sich wehren?
Die Strategie der Gewerkschaft
Jürgen Kerner, Finanzvorstand der IG Metall und Mitglied in mehreren Aufsichtsräten hat eine Menge Erfahrung mit Finanzinvestoren. Gerade hat er den Flender-Verkauf von Siemens an Carlyle mitverhandelt – mit beeindruckenden Zusagen für die 8600 Beschäftigten. Für fünf Jahre schließt Carlyle Verlagerungen und betriebsbedingte Kündigungen aus, garantiert den Weiterbestand aller Vereinbarungen, der Mitbestimmung und der Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband. Außerdem sicherte der Investor ausreichend Eigenkapital, ein Wachstumskonzept und eine offene Zusammenarbeit mit den Betriebsräten zu. „Bei uns gehen nicht pauschal die Alarmglocken an, wenn ein Finanzinvestor auftaucht“, sagt Kerner. Die großen Player kennt er alle. Beide Seiten wissen, woran sie sind. Die Themen der Arbeitnehmer sind von vornherein klar – wie Standort- oder Beschäftigungsgarantien. „Und wir erwarten, dass der Käufer das Unternehmen später mit einem mitbestimmten Aufsichtsrat führt und nicht über irgendwelche anderen Kanäle“, sagt Kerner. Er verfügt über gute Netzwerke und informelle Kontakte in die Private-Equity-Szene. Das hilft ihm ebenso wie die Fähigkeit, „Tischdame zu spielen“, wenn Betriebsräte und Investoren sich zum ersten Mal treffen. Dazu kommt eine Strategie der Mehrgleisigkeit. „Wir versuchen, mit allen Kaufinteressenten, die am Ende übrig bleiben, im Vorfeld gleichlautende Vereinbarungen zu treffen.“ Denn wer sich auf einen Interessenten festlegt, der am Ende nicht den Zuschlag erhält, hat kein Eisen mehr im Feuer.
Kerner weiß, dass eine industrielle Lösung – als Alternative zum Verkauf an Finanzinvestoren – nicht immer die bessere ist. Wenn sich zwei Wettbewerber zusammenschließen, kostet das auch Arbeitsplätze, besonders auf gesättigten Märkten. Ganz abgesehen von wettbewerbsrechtlichen Bedenken. Bei Kerners größtem Deal in der letzten Zeit, dem Verkauf der Aufzugssparte von Thyssenkrupp an eine Gruppe von Finanzinvestoren, war das ein entscheidendes Argument. „Hätte damals der industrielle Mitbewerber Kone den Zuschlag bekommen“, sagt Kerner, „wären die Kartellbehörden dazwischengegangen und hätten ihn gezwungen, das Europageschäft weiterzuverkaufen.“
Die Vereinbarungen, die Gewerkschaften mit Investoren treffen, sind politische Erklärungen, die niemand vor Gericht einklagen kann. Doch wertlos sind sie mitnichten. „Sie haben einen hohen moralischen Wert, weil wir sie betriebsöffentlich machen“, erklärt Kerner. „Und wir versuchen, möglichst viel davon in den Kaufverträgen zwischen dem Eigentümer und dem Investor unterzubringen.“
Corona erhöht das finanzielle Risiko
Vereinbarungen wie bei Flender gelingen nicht überall. Gerade wenn Investoren Firmen als sogenanntes Leveraged Buy-out erwerben, steigt oft das Insolvenzrisiko. Der Kauf wird dann weitgehend über Kredite finanziert, deren Bedienung dem gekauften Unternehmen aufgebürdet wird. Genauso machte es der Investor KKR mit dem Metallwarenhersteller WMF.
„Vor der Corona-Krise ist die Schuldenübernahme für die Deals wieder stark gestiegen“, sagt Sekanina. Eine schwere Hypothek. Ein Blick auf die USA zeigt die Dimension der Gefahr. Dort werden jetzt, mitten in der Pandemie, Firmenübernahmen so finanziert, dass die gesamte Schuldenlast mit Zinseszinsen vom übernommenen Unternehmen am Ende der Laufzeit zurückbezahlt wird. „Das Unternehmen steht vor einem abnormen Schuldenberg“, sagt Sekanina: „Eigentlich galten derart riskante Finanzierungsmodelle nach der Finanzkrise als ausgestorben.“
Die Top 7 der Branche
- Blackstone: Mittelzufluss in den letzten 5 Jahren: 96 Milliarden Dollar; Aktivitäten in Deutschland* u. a. Leica (Kamerahersteller), Jack Wolfskin (Outdoorbekleidung)
- The Carlyle Group: Mittelzufluss in den letzten 5 Jahren: 62 Milliarden Dollar; Aktivitäten in Deutschland u. a. Alloheim (Pflegeheime), Ameos (Kliniken), Flender (Getriebe)
- KKR: Mittelzufluss in den letzten 5 Jahren: 55 Milliarden Dollar; Aktivitäten in Deutschland u. a. Axel Springer (Medien), Deutsche Glasfaser, Wella (Haarpflegeprodukte), Kion (Gabelstapler)
- TPG: Mittelzufluss in den letzten 5 Jahren: 39 Milliarden Dollar; Aktivitäten in Deutschland u. a. Transporeon (Logistiksoftware), Grohe (Armaturen)
- Warburg Pincus: Mittelzufluss in den letzten 5 Jahren: 38 Milliarden Dollar; Aktivitäten in Deutschland u. a. Inexio (Glasfaserausrüster)
- NB Alternatives: Mittelzufluss in den letzten 5 Jahren: 37 Milliarden Dollar; Aktivitäten in Deutschland: keine Aktivitäten bekannt, das Unternehmen ist übrwiegend in Nordamerika investiert
- CVC Capital Partners: Mittelzufluss in den letzten 5 Jahren: 36 Milliarden Dollar; Aktivitäten in Deutschland u. a. Bosch Packaging Technology (jetzt Syntegon), Tipico (Sportwetten), Douglas (Parfümerie), Ista (Ablesedienst)
* Auswahl früherer und aktueller Engagements