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Magazin MitbestimmungVerkehrsinfrastruktur: Fairness für Knüppeljobs
Die Sanierung von Straßen und Brücken bringt nicht automatisch goldene Zeiten für Bauarbeiter. Denn bei der öffentlichen Vergabe kommt immer noch der billigste Anbieter zum Zug. Das muss sich ändern, sagt die IG BAU. Von Guntram Doelfs
Es war ein drastischer Appell. Mitte Juni wandte sich der nordrhein-westfälische Verkehrsminister Michel Groschek nach einer erneuten Sperrung der Rheinbrücke bei Leverkusen für schwere Lkw an die Fernfahrer. „Bitte nehmen Sie das Fahrverbot ernst. Wer mit zu viel Gewicht über die Brücke fährt, gefährdet das Bauwerk erheblich“, warnte der Minister. Gerade erst hatten Experten neue, gefährliche Risse an Schweißnähten in der Seilkammer der viel befahrenen Autobahnbrücke gefunden. Wohlgemerkt neue Schäden, zusätzlich zu den schon zahlreichen bekannten. Schon 2013 war deshalb die fast 50 Jahre alte Brücke der A1 zeitweise für Lkw gesperrt worden, das Tempo auf 60 km/h reduziert worden. Die wichtige Verkehrsverbindung, über die täglich 120 000 Fahrzeuge rollen, ist marode – wie so viele Straßen und Brücken in Deutschland.
Laut dem aktuellen Verkehrsinvestitionsbericht der Bundesregierung sind 16, 5 Prozent der Autobahnstrecken und rund 35 Prozent der Bundesfernstraßen in einem schlechten Zustand. Knapp die Hälfte aller Autobahnbrücken hat den dafür geltenden Warnwert überschritten. Bei den kommunalen Straßen sieht es noch düsterer aus. Man könne aus verfügbaren Materialien schließen, „dass der Erhaltungszustand gerade bei den Gemeindestraßen deutlich schlechter ist als bei den Bundesfernstraßen“, heißt es im Abschlussbericht der Expertenkommission „Zukunft der Verkehrsinfrastrukturfinanzierung“, kurz „Daehre-Kommission“. Nach Auffassung der Fachleute zeichnet sich daher „klar das Bild eines schleichenden und sich bereits beschleunigenden Substanzverzehrs ab“.
Solche Einschätzungen alarmieren die IG BAU. „Zurzeit verbrennen Bund, Länder und Kommunen mit ihren geringen Investitionen in die Infrastruktur Volksvermögen. Wir gefährden damit den Wirtschaftsstandort Deutschland. Schließlich leben wir im Jahr 2014, nicht im Mittelalter“, warnt Dietmar Schäfers, Vize-Vorsitzender der IG BAU. Massive Investitionen sind unabdingbar. „Um die vorhandene Infrastruktur in ihrer Substanz zu erhalten, brauchen wir jährlich mindestens sieben Milliarden Euro – und das über mindestens 15 Jahre. Das reicht aber gerade mal, den Sanierungsstau aufzulösen. Damit wird deutlich, über welche Dimensionen wir sprechen“, so Schäfers.
ÜBERSTUNDEN OHNE ENDE
Der Bau oder Erhalt von Straßen und Brücken bedeutet allerdings nicht automatisch, dass damit goldene Zeiten für Bauarbeiter anbrechen. „Wir haben derzeit keine akzeptable Situation bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen. Kommunen, Länder und der Bund sollen eigentlich den leistungsfähigsten Anbieter wählen. In der Regel nehmen sie aber den billigsten – ungeachtet der Tatsache, was hinter dem billigsten Angebot steckt“, sagt Schäfers.
Was die „Geiz ist geil“-Mentalität der Vergabeträger für die betroffenen Bauarbeiter bedeutet, weiß Gerhard Citrich nur zu gut. Der Abteilungsleiter Arbeits- und Gesundheitsschutz beim Vorstand der IG BAU hört beinahe täglich unglaubliche Geschichten, was sich auf Baustellen abspielt – trotz Mindestlohn und eigentlich guter tariflicher Vorgaben. „Bei Straßenbauarbeiten schruppen Leute Überstunden ohne Ende, teilweise rund um die Uhr. Schließlich muss die Baustelle schnell wieder verschwinden. Dabei sind gerade Asphaltierungsarbeiten ein Knüppeljob“, erzählt Citrich.
Die harte Arbeit ist nicht ungefährlich. „Viele Baustellen sind sehr eng, damit der Verkehr fließen kann. Das heißt aber, dass die Bauarbeiter gefährlich nah an vorbeifahrenden Autos und Lkw tätig sind – weswegen es immer mal wieder zu schweren Unfällen kommt“, sagt er. Straßenbauarbeiten finden besonders häufig im Hochsommer statt, wenn es sehr heiß werden kann. Auf die simple Idee, den Bauarbeitern alkoholfreie Getränke zur Verfügung zu stellen, kommen dennoch viele Arbeitgeber nicht. Dehydrierte Bauarbeiter greifen zu selbst mitgebrachten Getränken, wozu auch Bier zählen kann, was das Risiko für Unfälle und schlampige Bauausführung steigen lässt.
Öffentliche Träger müssten bei der Vergabe stärker darauf achten, was sich hinter einem günstigen Angebot verbirgt. Immerhin existieren inzwischen in 13 von 16 Bundesländern eigene Vergabegesetze. Aber Gesetze sind eine Sache, die tägliche Praxis eine andere. „Bei jeder Vergabe sitzen die Kämmerer oder Finanzminister quasi mit am Tisch und schauen kritisch mit dem Rotstift, dass so billig wie möglich gebaut wird“, urteilt Norbert Ewald, Abteilungsleiter Bau- und Wirtschaftspolitik und Vergabeexperte der IG BAU. Außerdem sei es für den Vergabebeamten leichter, das billigste Angebot zu nehmen. „Wenn sie es nicht tun, müssen die Beamten den Beweis führen, warum das abgelehnte Unternehmen ein ungewöhnlich niedriges und möglicherweise unseriöses Angebot abgibt“, sagt Ewald. Die Folge wäre ein möglicher Stillstand des Vergabeprozesses und damit der Bautätigkeit, auch könnte der ausgeschiedene Anbieter klagen. Da wählen viele Vergabebeamte dann doch lieber den einfachen Weg.
ARBEITSBEDINGUNGEN MASSIV UNTERGEORDNET
Das liegt auch am grundsätzlichen Rechtscharakter einer Vergabe. „Alle Vergaberegelungen versuchen erst mal zentral, das Verhältnis von Auftraggeber zu Auftragnehmer zu regeln. Die Frage der Arbeitsbedingungen ist da massiv untergeordnet“, erzählt Norbert Ewald. Hinzu kommt, dass der Europäische Gerichtshof vor einigen Jahren im sogenannten Rüffert-Urteil untersagt hat, Tariftreue oder Tarifvorgaben nicht zu einem Bestandteil von Vergabegesetzen zu machen – sofern sie nicht allgemeinverbindlich erklärt sind. Mehr als eine Festlegung auf den gesetzlichen Mindestlohn ist daher juristisch kaum möglich.
„Der Mindestlohn stellt aber nur den niedrigsten anzusetzenden Lohn dar. In der Baubranche kämpfen wir doch ständig mit Umgehungsstrategien – durch Ketten von Subunternehmen, durch den Missbrauch von Werkverträgen oder durch die gezielte Umgehung der Vergabevorgaben“, sagt Dietmar Schäfers. Steuert die öffentliche Hand bei ihrer Praxis der Auftragsvergabe nicht um, könnten milliardenschwere Investitionsprogramme also zum Schlaraffenland für findige Generalunternehmer werden. Die kommen, im Gegensatz zu den vielen süd- und osteuropäischen Subunternehmern, überwiegend aus Deutschland. Chinesische oder andere ausländische Generalunternehmer schreckt nämlich bislang laut IG BAU die Kombination aus dem Paragrafendschungel im deutschen Vergaberecht und dem Mindestlohn auf dem Bau eher ab. Von den Tücken der deutschen Behördensprache ganz zu schweigen.
WIR BRAUCHEN MEHR KONTROLLE
Weil aber viel Geld auch viele schwarze Schafe anlockt, „brauchen wir endlich ein flächendeckendes und enges Netz der Kontrolle. Dazu muss der Zoll mehr Stellen für Kontrolleure bekommen“, fordert Dietmar Schäfers. Aus Sicht der IG BAU muss auch das Personal in den verantwortlichen Behörden deutlich aufgestockt werden. „Früher hatten wir es zu tun mit gut besetzten Bauämtern, die Ausschreibungen genau überprüft haben. Heute ist in diesen Ämtern kaum noch Personal vorhanden. Die Kommunen müssen wieder selbst sehr viel stärker Kontrollaufgaben wahrnehmen“, appelliert Schäfers an die Verantwortlichen. Das wissen natürlich auch die Baufirmen. „Im Vergabeverfahren ist es vielfach Praxis, dass die Unternehmen erst einmal alle Bedingungen unterzeichnen – und dann meinen, damit hat sich die Sache, was in der Praxis leider recht erfolgreich ist“, sagt Nils Böhlke, Tariftreueexperte bei der Hans-Böckler-Stiftung. Kommunen müssten sich durch Vergabegesetze weder gegängelt fühlen noch Mehrkosten fürchten, meint Böhlke: „Zwei oder drei weitere soziale Kriterien sind kein unermesslicher Aufwand, der von den Stellen nicht zu leisten ist.“
Dabei gibt es im Vergaberecht durchaus Ansatzpunkte für die Arbeitnehmerseite. So müssen bei Vergaben Fachkunde und Leistungsfähigkeit der Anbieter berücksichtigt werden. „Wenn diese Anforderung extrem eng ausgelegt würde, wäre es schon extrem hilfreich. Nur passiert das leider nicht“, klagt Norbert Ewald. Mit Folgen: Niemand schaut auf die Subunternehmerketten, die im Wesentlichen die Bauleistungen erbringen. Die Vergabestellen könnten zudem bei ungewöhnlich niedrigen Angeboten die Kalkulationen prüfen. Auch das unterbleibe in der Regel.
HOFFNUNG AUF NEUE EU-RICHTLINIE
Was also tun? Neben verstärktem öffentlichem Druck versucht die IG BAU derzeit, bei der Umsetzung der neuen EU-Richtlinie „Öffentliche Vergabe“ in deutsches Recht möglichst viel über die politische Ebene zu erreichen. Die Richtlinie, die bis 2016 umgesetzt werden muss, ermöglicht erstmals die Berücksichtigung von sozialen Standards, was die IG BAU dahingehend interpretiert, dass bereits bei der Angebotsabgabe der Anbieter festlegen muss, mit welchem Subunternehmer er die Arbeiten fertigstellt. Zudem will die Gewerkschaft durchsetzen, dass die Vergabe grundsätzlich nur auf Grundlage der bestehenden Tarifverträge in der Baubranche erfolgen darf. „Das ist heute so nicht möglich. Es kann aber nicht sein, dass die öffentliche Hand Infrastrukturaufträge nur zu Mindestbedingungen vergibt“, sagt Ewald.
Die Gewerkschaft wird nun selbst aktiv – mit einem Pilotprojekt. In Berlin sollen arbeitslose Bauarbeiter, die Hartz IV beziehen, künftig als Kontrolleure auf Baustellen die Einhaltung der Vergaberichtlinien prüfen. „Das soll in Ergänzung zu den Kontrollen des Zolls passieren“, erzählt Hivzi Kalayci, der für die Berliner IG BAU das Projekt „Kontrollgruppe für die Prüfung nach dem Landesvergabegesetz (KGV)“ koordiniert. Gemeinhin dauert es zu lang, bis der Zoll auf einer Baustelle erscheint. „Um zu erfahren, welche Subunternehmer auf einer Baustelle tätig sind, könnte eine Kontrollgruppe aus erfahrenen Bauarbeitern hilfreich sein“, sagt Kalayci. Die würden auch gleich merken, wenn jemand vom Bau sie anlügt, was der Zoll so ohne Weiteres nicht erkennen könne.
Die geschulte Truppe von bis zu 15 Mann soll ihre Erkenntnisse an die Vergabegerichtsstelle des zuständigen Bezirkes weiterleiten. Finanziert werden soll das Projekt aus Mitteln der Bundesanstalt für Arbeit und der Berliner Senatsverwaltung für Arbeit. Doch es hakt. Die Arbeitgeber sind nicht überzeugt. Sie wollen neben Kontrollen des Zolls, der Behörde für Arbeitssicherheit, den Finanzämtern und den Baustellenläufern nicht noch weitere Kontrollen auf den Baustellen haben. Kalayci will weiter für das Projekt kämpfen, er glaubt an den Erfolg.
Bis dahin wird der Berliner Gewerkschaftssekretär weiter regelmäßig daran erinnert werden, dass die Verkehrsinfrastruktur in der deutschen Hauptstadt dringend ein Facelifting gebrauchen könnte. Kalayci muss regelmäßig von Berlins Stadtmitte in den im Westen gelegenen Stadtteil Spandau. Eine der Hauptverbindungsachsen dorthin ist die Bundesstraße 5. Anfang des Jahres musste in einer Nacht-und-Nebel-Aktion die Freybrücke für Lkw mit mehr als zwölf Tonnen Gesamtgewicht gesperrt werden. Die Brücke, so meldete die Berliner Senatsverwaltung für Verkehr, sei nicht mehr standsicher. Kein Einzelfall übrigens. Knapp 80 Brückenbauwerke in der Stadt gelten aktuell als dringend renovierungsbedürftig. Tatsächlich saniert werden durchschnittlich fünf Brücken pro Jahr.
Es besteht also ein großer Bedarf – sowohl an Investitionen in die Straßeninfrastruktur wie an fairen Konditionen für die Beschäftigten auf den Baustellen. Bleibt die Frage, woher angesichts der Schuldenbremse die Milliarden kommen sollen? Geht es nach der IG BAU, vorwiegend über höhere Gebühren und Steuereinnahmen. Dietmar Schäfers sieht „bei der Lkw-Maut noch Luft nach oben“. Außerdem würde eine Anhebung des Spitzensteuersatzes auf 49 Prozent und die Wiedereinführung der Vermögenssteuer Bund und Ländern rund 17 Milliarden Euro zusätzlich in die Kassen spülen. Selbst die Idee, den 2019 auslaufenden Solidaritätszuschlag zu einem zeitlich befristeten Infrastruktur-Soli umzuwandeln, kann sich Schäfers „gut vorstellen“. Nur von der von Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) geplanten Pkw-Maut hält er wenig.