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Blick ins Cockpit Magazin Mitbestimmung

E-Auto: Fahrt ins Ungewisse

Ausgabe 01/2023

Klar ist nur das Ziel: die Transformation der deutschen Autobranche zur Elektromobilität. Doch auf dem Weg dorthin lauern noch viele Schlaglöcher. Von Andreas Schulte

Tesla in Deutschland? Ein Glücksfall, frohlockten Vertreter aus Politik und Wirtschaft. Da hatte sich er US-Autobauer soeben für Grünheide in Brandenburg entschieden. Hier sollte seine Gigafactory entstehen, ein hocheffizientes Werk für den Bau von 500 000 E-Autos jährlich und ein sichtbares Symbol für die Verkehrswende. 41 Millionen Euro hatte Tesla für 300 Hektar Land hingeblättert. 71 Prozent der Menschen fanden die Pläne damals gut, hatte eine Umfrage des Tagesspiegels ergeben. Das war im Winter 2019. Und heute? Tatsächlich ist die Fabrik zwar in Rekordzeit in die Produktion gegangen. Wöchentlich rollen mehrere Tausend Autos vom Band. 8500 Menschen arbeiten im Werk. Aber sie haben keinen Tarifvertrag. Die IG Metall beklagt miserable Arbeitsbedingungen. Immerhin konnte die Gewerkschaft bei der ersten Betriebsratswahl einige Sitze erringen, sodass die managementnahe Liste nur über eine hauchdünne Mehrheit von einem Sitz verfügt. Tesla-Chef Elon Musk tut so, als ginge ihn das nichts an. Der US-Hersteller führt die Zulassungsstatistik bei  vollelektrischen Fahrzeugen in Deutschland an und hat zudem im Januar die Preise gesenkt und so wie deutsche Konkurrenz unter Druck gesetzt. Manche sahen darin den Hinweis auf Absatzprobleme. Tesla sagt: „Da die Produktion in unseren Gigafactorys hochgefahren wird, können wir unsere Fahrzeuge erschwinglicher machen.“ Musk prüft Berichten zufolge derzeit die Verdopplung der Kapazität in Grünheide.

Ab 2035 dürfen in der EU keine neuen Pkw und Lieferwagen mit Benzin- und Dieselantrieben mehr verkauft werden. Das Verkaufsverbot trifft auch Autos mit Hybridantrieb. Die höchsten Verkaufszahlen haben nach Tesla bei den vollelektrischen Fahrzeugen Volkswagen und Stellantis (Peugeot, PSA,Chrysler, Citroen). Premiumhersteller wie BMW oder Mercedes tauchen unter den Top Ten nicht auf.

Ob wegen des steigenden Preisdrucks, wegen strategischer Fehler deutscher Hersteller oder wegen der nicht immer stringenten Förderpolitik der Bundesregierung: Die Straße zum stabilen E-Auto-Markt und der damit verbundene Kampf um den Erhalt der rund 800 000 Arbeitsplätze in der Autoindustrie führt durch dichten Nebel. Zulieferer und Hersteller fahren auf Sicht. Die Autoindustrie steht zugleich vor der vermutlich größten Qualifizierungswelle in ihrer Geschichte.

Das weiß kaum jemand besser als die Belegschaft bei Mercedes in Berlin-Marienfelde und ihr Betriebsrat Bojan Westphal. Hier wurden einst Komponenten für den Verbrenner produziert. Bald sind sie reif fürs Museum. Daher stand das Werk mit seinen 2500 Beschäftigten im Jahr 2020 so gut wie vor dem Aus. Lange rangen Betriebsrat und IG Metall mit dem Management um den Fortbestand. Schließlich beschloss der Konzern, hier Hochleistungsmotoren für E-Fahrzeuge zu bauen. Spätestens 2030 will Mercedes keine Verbrenner mehr produzieren. Knapp sechs Prozent der Mercedes-Flotte rollen mittlerweile rein elektrisch.

Doch wann genau die Elektromotorenproduktion in Marienfelde beginnt, ist noch unklar. „Ein Teil der Beschäftigten weiß, wo und wie sie im Werk arbeiten werden. Andere nicht. Das führt zu einer Mischung aus Unsicherheit und Aufbruchstimmung“, sagt der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Bojan Westphal. Klar ist: Mercedes will die neuen Aufgaben so weit wie möglich mit der Stammbelegschaft angehen. „Die Beschäftigten müssen bereit sein, sich in Teilen zu verändern und neue Aufgaben anzunehmen“, sagt Westphal.

Nicht nur dort: Das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) geht davon aus, dass bis zum Jahr 2035 gut 100 000 Jobs bei Herstellern in Deutschland verloren gehen. Bei Mercedes laufen die Qualifizierungen für die neuen Aufgaben. So haben zum Beispiel elf Beschäftigte aus der Produktion in Marienfelde eine Fortbildung als Programmierer abgeschlossen. Das Unternehmen hatte mit der Unterstützung des Betriebsrats eine Umfrage entwickelt, die Beschäftigte nach ihren Fähigkeiten fragt. So wurden unter anderem IT-Talente aufgespürt. „Solche Entwicklungen zeigen, dass die Transformation in Zusammenarbeit von Betriebsrat, Beschäftigten, Gewerkschaft und Unternehmen gelingen kann“, sagt Westphal.

Neue Aufgaben auch für Betriebsräte 

Mercedes-Betriebsrat Westphal sieht aber nicht nur auf die Belegschaft große Herausforderungen zukommen. Auch die Betriebsratsarbeit ändere sich. „Früher haben wir vor allem Konflikte gelöst, jetzt entwickeln wir mehr und mehr auch Beschäftigungskonzepte.“

Bei Ford in Köln legt der Arbeitgeber darauf offensichtlich weniger Wert. Nach Angaben der IG Metall sollen im Entwicklungszentrum in den nächsten zweieinhalb Jahren bis zu 2500 Stellen abgebaut werden. Hintergrund sei unter anderem die Transformation, heißt es vom Konzern, der eine Zentralisierung der Entwicklung in den USA anstrebt. Und auch Aachen ist betroffen. Nach Ansicht des Betriebsrats setzt Ford damit die Zukunft des ganzen europäischen Autogeschäfts aufs Spiel. Kundenbedürfnisse unterschieden sich zwischen den Kontinenten, Entwicklungen in den USA könnten an den europäischen Bedürfnissen vorbeilaufen. Der Betriebsrat kündigte an, Druck zu machen, bis das Management umdenkt.

Eine Nachricht aus Düren dürfte die Beschäftigten bei Ford daher zurzeit interessieren. Der Ort liegt genau in der Mitte zwischen Köln und Aachen. Dort drängt mit B-ON ein junger EAuto-Anbieter auf den Markt. Mitte des Jahres soll die Produktion in einer zweiten Schicht ausgebaut werden. „Dann werden weitere Jobs für Fachkräfte entstehen“, sagt Sprecherin Veronica Grigoriou, ohne eine Zahl zu nennen. Die Rekrutierungen hätten bereits begonnen. In der Fabrik können 30 000 Modelle pro Jahr produziert werden.

Schlichtweg überfordert

Insgesamt 2,65 Millionen Autos wurden im Jahr 2022 in Deutschland zugelassen. Benziner erreichten dabei einen Anteil von 32,6 Prozent, Diesel 17,8 Prozent. Die alternativen Antriebe erreichten mit hybridangetriebenen Pkw 31,2 Prozent, rein elektrische Fahrzeuge immerhin 17,7 Prozent – eine Steigerung von rund einem Drittel in einem Jahr. Aber deutsche EAuto-Start-ups sorgen noch nicht für große Impulse am Beschäftigungsmarkt. Das Aachener Unternehmen E.go Mobile plant für Ende 2024 zwar die Eröffnung seiner dritten Fabrik, Deutschland kommt als Standort aber bereits zum zweiten Mal nicht infrage. „In Südosteuropa finden wir ein wettbewerbsfähiges Ökosystem mit attraktivem Investitionsklima und den Zugang zu engagierten und talentierten Arbeitskräften“, sagt der Verwaltungsratsvorsitzende Ali Vezvaei. Bis zu 900 Arbeitsplätze sollen nun in Nordmazedonien entstehen.

Während es die Autobauer noch am ehesten in der Hand haben, die Transformation mitzugestalten, sind vielen Zulieferern die Hände gebunden. Sie müssen Teile der Wertschöpfung abgeben. Die Investitionspläne der Hersteller ließen erwarten, dass ein erheblicher Anteil der Entwicklungsleistung von Zulieferern auf die Autokonzerne übergehe, heißt es in einer Studie der Unternehmensberatung Alix Partners. „Bei vielen fällt das Geschäftsmodell weg. Sie sind einfach überfordert“, sagt Jens Clausen, der, gefördert von der Hans-Böckler-Stiftung, die Transformation der Automobilbranche erforscht.

So musste zum Beispiel der Hildener Zulieferer Wielpütz mit 300 Beschäftigten für Ende März dieses Jahres das Aus der Produktion ankündigen. Das Unternehmen ist auf Ölmessstäbe und Pedale spezialisiert. Einen anderen Arbeitgeber dürften die Wielpützer auf die Schnelle kaum finden – zumindest nicht in der Zuliefererbranche. „Zulieferer halten sich mit Investitionen am Standort Deutschland gerade sehr zurück“, sagt Alexander Timmer, Partner bei Berylls Strategy Advisors. Die Berater geben die Studie „Top 100 Automobilzulieferer“ heraus. Die Unternehmen könnten Energiepreisschwankungen und Ähnliches nicht mehr kompensieren – mit schwerwiegenden Folgen.

Der europäische Autozulieferer-Branchenverband Clepa befürchtet EU-weit den Verlust von bis zu einer halben Million Arbeitsplätzen in der Zulieferindustrie. Viele Produkte, die speziell für Verbrenner gefertigt wurden, fallen weg. Neue Batteriefabriken für die Akkus der E-Autos dürften die Verluste kaum auffangen. Die Initiative Agora Energiewende geht für Deutschland von 20 000 Arbeitsplätzen in dieser jungen Branche bis 2030 aus.

Die IG Metall schlägt Alarm. Der sinkende Bedarf an Teilen für den Verbrenner stelle Baden-Württemberg vor eine große Herausforderung, sagt Roman Zitzelsberger, Chef der IG Metall im Bundesland. Er beobachte, wie sich die Produktion nach Osteuropa verlagere. Der Gewerkschafter will gegensteuern. Seine Gewerkschaft erwarte von der Politik deutliche Signale. 

Konkurrenz aus China 

Tatsächlich hat die Bundesregierung Signale gesendet. Doch aus der Sicht des Gewerkschafters dürften es die falschen sein: Nur noch 10,1 Prozent der Neuzulassungen im Januar 2023 waren Elektroautos mit Batterie – auch, weil diese seit Jahresbeginn nicht mehr so stark gefördert werden wie bisher. Hinzu kommen gestiegene Strompreise, die die Konsumenten verunsichern. Mit rund 18 000 Neuwagen schrumpften die Zulassungen von Batteriefahrzeugen um –13,2 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat – weit stärker als die Neuzulassungen insgesamt, die nur um –2,6 Prozent zurückgingen. Schon Ende des Jahres könnte das auf 2,5 Milliarden Euro gedeckelte Budget für die Prämien ganz aufgebraucht sein. Dann werden die Stromer mit ihren weiterhin hohen Anschaffungskosten im Wettbewerb gegen die Verbrenner schlechte Karten haben.

Eine Delle beim Absatz könnte hiesige Hersteller langfristig zurückwerfen. Dies befürchtet Peter Fintl, Director of Technology and Innovation bei der Unternehmensberatung Capgemini. „Für viele E-Autobauer beginnt eine entscheidende Phase. Wenn sie durch eine sinkende Nachfrage jetzt keine Skaleneffekte nutzen können, werden Käufer eher Tesla und chinesische Anbieter bevorzugen, die schlicht günstiger sind.“ Deutsche Hersteller haben lange stark auf das Premiumsegment bei E-Autos gesetzt. „Da tut sich für die Konkurrenz aus China jetzt eine Lücke bei den günstigeren Modellen auf“, sagt Fintl.

Der chinesische Mischkonzern BYD drängt bereits mit Macht nach Deutschland. Die Chinesen sind mit knapp 1,9 Millionen verkauften E-Fahrzeugen jährlich nach eigenen Angaben Weltmarktführer – vor Tesla, das 1,3 Millionen Fahrzeuge im Jahr 2022 absetzte. Seit Ende vergangenen Jahres baut BYD ein eigenes Händlernetz in Deutschland auf. Ein halbes Dutzend Verkaufsstellen gibt es bereits. BYD und andere chinesische Anbieter könnten damit eine Nische ausnutzen, die sich im traditionellen Autohandel auftut. BYD will bis 2026 gut 120 000 E-Autos in Deutschland verkaufen, so berichtet es das Manager-Magazin. Das wären rund doppelt so viel, wie Tesla 2022 schaffte. Auch Experte Clausen erwartet von der Offensive von BYD hierzulande „eine klare Wirkung auf den Absatzmarkt“.

Für das Ford-Werk in Saarlouis, für das der Konzern bereits im vergangenen Jahr das Ende der Produktion in 2025 angekündigt hatte – soll BYD laut Medienberichten Kaufinteresse angemeldet haben. „Warum sollten sie nicht die räumliche Nähe zu ihren Märkten suchen?“, sagt Capgemini-Berater Fintl. „Eine chinesische EAuto-Fabrik in Deutschland halte ich nicht für ausgeschlossen.“

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