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Magazin Mitbestimmung

: Expansiver Markt

Ausgabe 09/2008

WELTHANDEL Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit bestimmen zunehmend über den Erfolg von Unternehmen am Weltmarkt. Neue Branchen überflügeln dabei mit ihren Wachstumsraten alte Industrien.

Von KAY MEINERS, Redakteur des Magazin Mitbestimmung/Foto: Aufwind-Luftbild, VISUM

Staatliche Eingriffe mögen Unternehmen und ihre Lobbyisten normalerweise nicht. Daher überrascht es, wenn eine Vereinigung wie die Marketing-Gesellschaft Baden-Württemberg International, die die Firmen des CDU-regierten Musterländles vertritt, auf der Münchener Umwelttechnik-Messe IFAT das Hohelied der Regulierung singt: "Einer der Gründe für die weltweite Spitzenposition deutscher Anbieter ist die umfangreiche Umweltgesetzgebung", heißt es da. Und weiter: "Die deutschen Umweltgesetze … waren und sind Motor für technische Innovationen."

Die Begeisterung hat mit dem Schwerpunkt der Messe zu tun. Gleich ob Abfall-Spezialisten, Recyclingfirmen oder Solar-Schmieden - es sind oft jene Branchen, die der Staat durch strenge Auflagen erst geboren oder hochgepäppelt hat, die jetzt am Weltmarkt Erfolg haben und von europaweiten Ausschreibungen auf einst abgeschotteten Märkten profitieren. Die deutsche Abfall- und Recycling-Branche kann weltweit die größten Spezialisierungsvorteile aufweisen.

Sie hat, wie andere neue Industrien, ihre Leistungsfähigkeit mittelbar auch den Umweltaktivisten früherer Jahrzehnte zu verdanken. Ausgerechnet die Freaks mit Jutetasche und Jesuslatschen, die seit den 70er Jahren durch Technikkritik und ökologisches Engagement auf sich aufmerksam machten, haben in vielen Sektoren einen Richtungswechsel hin zu einer verträglicheren Technik erzwungen. Wer die Rettung der Welt nicht als seine Aufgabe ansieht, wird vielleicht von immer strengeren Gesetzen und von steigenden Rohstoff- und Energiepreisen überzeugt werden.

Auf der IFAT, der wichtigsten Messe ihrer Art in Deutschland neben der Kölner ENTSORGA, kann man den neuen Trend besichtigen. Der Veranstalter, die Neue Messe München, wirbt nicht nur mit einer guten Verkehrsanbindung, sondern auch mit einem "Grünanteil von 17 Prozent", mit 75?000 Quadratmetern Solarzellen, 2000 großen Bäumen und 70?000 "standortgerechten" Pflanzen kleinern Formats. Ein Hightech-Paradies, in dem es den Sündenfall nie gegeben hat. In diesem Jahr kamen 120?000 Fachbesucher aus 163 Ländern, davon mehr als 40?000 aus dem Ausland, um Abfall- und Recycling-Anlagen zu bestaunen.

Der Anteil der ausländischen Besucher ist seit der letzten Messe überproportional gestiegen. Registriert wurde ein Plus von 18 Prozent, während die Besucherzahl insgesamt um nur zehn Prozent gestiegen ist. Nach Angaben des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) ist die Nachfrage nach diesen Gütern im vergangenen Jahr im zweistelligen Bereich gestiegen. Aktuell blüht der Export in die osteuropäischen Länder, die jetzt, nach dem Beitritt zur EU, strengere Umweltauflagen einhalten müssen. Europa ist der Hauptabsatzmarkt. Derzeit fließen rund 65 Prozent aller deutschen Exporte in EU-Staaten, rund 10 Prozent nach Asien und weitere 10 Prozent in die USA.

Zu China, das wegen seiner Umweltpolitik oft am Pranger steht, haben die Münchener IFAT-Macher beste Kontakte. Im Dezember startet im Shanghai New International Export Centre zudem die IFAT China, der gelbe Ableger der deutschen Messe. Auch das kapitalistisch-kommunistische Riesenreich, so das Kalkül der Anbieter, kann es sich auf Dauer nicht leisten, die Umwelt weiter in dem Ausmaß zu verschmutzen, wie dies heute passiert. Über 100 Millionenstädte gibt es heute schon in China, deren Namen im Westen kaum jemand kennt. In Deutschland gibt es nur Berlin, Hamburg und München. Wirtschaftswachstum, so das Kalkül, bedeutet früher oder später auch Gewinnchancen für grüne Technik. Es ist nur eine Frage der Zeit, sagen die Optimisten.

TÜCKISCHE EXPORT-STATISTIK_ In den Industriestaaten sind Umweltschutz und Ressourcen-Effizienz zum Querschnittsthema geworden, das in allen Branchen mitgedacht wird - mal mehr, mal weniger. Das ist gut für die Umwelt, schafft aber Probleme für die Statistik. Denn wer wissen will, wie viele Arbeitsplätze der Umweltschutzgedanke hierzulande geschaffen hat oder wie viel Geld die Deutschen mit dem Export von Umwelttechnik verdienen, hat mit vielerlei Definitions- und Abgrenzungsproblemen zu kämpfen: Nimmt man nur den harten Kern nachsorgender Umwelttechnik, oder sucht man in allen Branchen nach umweltverträglichen Produkten? Und: Sind Car-Sharing-Unternehmen normale Autovermieter oder ökologische Dienstleister?

Was das Inland angeht, kommt das Umweltbundesamt zu dem Ergebnis, dass - bei über 40 Millionen Erwerbstätigen - in Deutschland 1,8 Millionen Menschen in klassischen Umweltschutzbranchen arbeiten - die Vorleistungen nicht eingerechnet. Von dieser eher konservativen Rechnung erfasst werden unter anderem die Abfallwirtschaft und der Gewässerschutz, die zusammen für bis zu drei Viertel der Beschäftigung verantwortlich sind - dazu weitere Branchen wie die Lärmbekämpfung oder das Energie- und Gebäudemanagement. Der Staat ist gerade beim nachsorgenden Umweltschutz noch der wichtigste Nachfrager.

Und das Ausland? Kann man auch den Einfluss des Umweltschutzes auf die Exporte messen? Die Zahlen der traditionellen Außenhandelsstatistik weisen für das Jahr 2007 Exporte im Wert von 969 Milliarden Euro aus, geordnet nach so genannten Güterabteilungen. Es zeigt sich, dass nur drei Gütergruppen zusammen fast die Hälfte der Exporterlöse einspielen: Kraftwagen und Kraftwagenteile erwirtschaften 19 Prozent dieser Summe, der Maschinenbau weitere 14 Prozent, die chemische Industrie folgt mit rund 13 Prozent. Sie sind es vor allem, die Deutschland reich machen.

Auf den Export von Umweltschutzgütern führt das Umweltbundesamt gegenwärtig nur 50?000 Arbeitsplätze zurück. Das ist eine niedrige Zahl, aber auch eine, die nicht viel aussagt. Denn sie erfasst nur die Beschäftigungswirkung durch den Export von Waren, Bau- und Dienstleistungen, die unmittelbar dem Umweltschutz dienen, und auch das wohl nur unvollständig. Eine umfangreichere Studie mit dem Titel "Wirtschaftsfaktor Umweltschutz", die das Niedersächsische Institut für Wirtschaftsforschung (NIW) und das Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) im Jahr 2006 anfertigten - ebenfalls im Auftrag des Umweltbundesamtes - fragt, welcher Anteil der Industrie-Exporte potenziell dem Umweltschutz dienen könnte - und errechnete dabei für das Jahr 2004 einen Anteil von rund fünf Prozent an den Exporten.

Auch diese Quote hat freilich den Haken, dass sie nur den harten Kern eines Trends erfasst, der längst auf die gesamte Wirtschaft ausstrahlt. Aber das Verhältnis von Ausfuhren zu Einfuhren fällt in dieser Warengruppe mit 2?:?1 sehr günstig aus, was größere komparative Vorteile signalisiert als bei den anderen Industriewaren, wo das Verhältnis 1,4?:?1 ist. Und das in einem Land, dessen Industrie ohnehin äußerst wettbewerbsfähig ist.

Der integrierte Umweltschutz, die umweltfreundliche und intelligente Produktion, die Belastungen von vornherein vermeidet, Ressourcen effizient einsetzt und im Idealfall den klassischen nachsorgenden Umweltschutz überflüssig macht, kann so kaum gemessen werden. Er dürfte in seiner Bedeutung für die Wettbewerbsfähigkeit den harten Kern der Umweltschutz-Industrie noch bei weitem übersteigen. Zu diesem Schluss kommen auch die Institute NIW und ISI, wenn sie in ihrer Umweltstudie schreiben, die "Möglichkeiten der Identifikation" stünden hier "in krassem Gegensatz zur zunehmenden Bedeutung für eine nachhaltige Entwicklung".

SCHNELLE, RISKANTE MÄRKTE_ Neben den alten Branchen, deren Wurzeln bis weit in das 19. Jahrhundert zurückreichen und die Anschluss an den Trend zur Nachhaltigkeit suchen, wachsen neue Industrien und Dienstleistungen heran, die die Wachstumsraten der klassischen Unternehmen in den Schatten stellen. Die Botschaft der Umweltaktivisten ist einfach: Sie werben dafür, so früh wie möglich die neuen, umweltfreundlichen Techniken einzuführen, nahezu unabhängig vom Preis. Wenn die strengen Normen in einem Land einen globalen Trend nur vorwegnehmen, dann werden jene Länder mit Wettbewerbsvorteilen und Exportchancen belohnt, die rechtzeitig auf den neuen Trend gesetzt haben. Doch das ist nur die eine, die schöne Seite der Medaille.

Zur Wahrheit gehört auch, dass der Markt Engagement für die Umwelt belohnen kann, aber nicht belohnen muss. Jede Innovation, jede Erfindung kann auch einen Misserfolg und eine Sackgasse bedeuten. Es gibt keinen Erfolg ohne Risiko, keinen Gewinn ohne Abwägung von Kosten und Ertrag, ohne eine nüchterne Beurteilung der Effizienz. Neue, schnell wachsende Märkte sind aufregend - aber auch gefährlich. Sie locken Konkurrenten und Imitatoren an, die den Wettbewerbsdruck verschärfen. Genau das wird auch für den Markt für Umweltgüter erwartet. So stiegen zwischen 2003 und 2004, als die Nachfrage nach Solarzellen boomte, in Deutschland die Importe von Fotovoltaik-Anlagen und Komponenten um 60 bis 70 Prozent. Die Kapazitäten in Deutschland waren schlicht zu klein. Die Chinesen halfen gern.

Es drohen auch umgekehrt Rückschläge - wenn man die Sache allzu euphorisch angeht. Die Wachstumserwartungen, wie es sie Anfang der 90er Jahre gab, seien enttäuscht worden, heißt es in der Studie von NIW und ISI. Die - messbare - Umweltindustrie sei "zum Mitläufer" der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung geworden und nicht mehr "in dem Maße treibende Kraft" wie noch Anfang der 90er Jahre. Da ist gerade für große Unternehmen die Versuchung groß, mit sicheren, aber weniger innovativen Produkten noch ein paar Jahre Geld zu scheffeln. Auf Dauer, das zeigen alle Indikatoren, kann nur Technologieführerschaft Marktanteile sichern. Aber die Märkte verändern sich noch schnell.

DEUTSCHLAND UND DIE USA GLEICHAUF_ Die im globalen Maßstab wichtigsten Konkurrenten der Deutschen sind die USA, die trotz eines sehr hohen Ressourcenverbrauchs regional sehr moderne Umweltgesetze, an Umweltthemen interessierte Lobbygruppen und einen starken industriellen Cluster aufweisen. Bei Umwelt- und Klimaschutztechnologien halten Deutschland und die USA jeweils etwa 20 Prozent des Weltmarktanteils an Umwelt- und Klimaschutz-Technologien.

Die Deutschen halten neben hohen Weltmarktanteilen bei Abfall-, Recycling- und Klärtechnik auch viele Patente bei Lärmschutz, in der Luftreinhaltung und in der Mess- und Regeltechnik. Die alten Industrien wie die Auto-, Chemie- und Pflanzenschutzindustrie sowie der Maschinenbau haben ebenfalls ein hohes Wachstumspotenzial, das sie steigern können, wenn sie auf den neuen Trend einsteigen. Die schier unübersehbaren Marktstudien der Unternehmensberater befriedigen die Sehnsüchte der Politiker, die zukunftsfeste Arbeitsplätze schaffen wollen, und das Interesse der Firmen, die auf der Suche nach den besten Chancen am Markt sind, gleichermaßen.

Eine der aktuellen Studien stammt von der Beratungsfirma Roland Berger. Im Auftrag des Bundesumweltministeriums hat sie zehn Märkte für Umwelttechnik einer Prüfung unterzogen und dabei auch die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen untersucht - in so unterschiedlich entwickelten Branchen wie der Aufbereitung von Industrieabwässern, energiesparenden Fahrzeugmotoren, solarer Kühlung oder synthetischen Biokraftstoffen. Nach Meinung der Berater wird der Markt für Umwelttechnologien bis zum Jahr 2020 um rund 5,4 Prozent weltweit wachsen, wogegen der Markt für Automobile nur um rund 3 Prozent pro Jahr zulegen soll.

Europäische Unternehmen haben in den neuen Branchen Weltmarktanteile zwischen 20 und 80 Prozent - außer bei Hybridfahrzeugen. Als Erfolgsfaktoren nennen die Unternehmen - wenig überraschend - an erster Stelle die Marktnachfrage, doch mit geringem Abstand folgen andere Faktoren, so etwa die Einstellung der Gesellschaft gegenüber neuen Technologien und die staatliche Unterstützung von Forschung und Entwicklung. Das mag man als Anerkennung der Zivilgesellschaft und der Politik deuten. Es ist zugleich aber auch eine Mahnung: Stellt euch den Umweltschutz nicht zu romantisch vor. Er wird auch in Form neuer Technologien zu euch kommen.


 

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