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Magazin Mitbestimmung

Europäisches Gespräch: Eurokrise als Brandbeschleuniger

Ausgabe 01+02/2013

Die von der Troika verordneten Anti-Krisen-Programme wurden auf dem Europäischen Gespräch lebhaft diskutiert. Fazit: Sparen, privatisieren und deregulieren wird die Probleme nicht lösen, sondern noch verschärfen. Von Andreas Kraft

Die Skepsis im Saal lässt sich mit Händen greifen. „Die EU-Kommission macht doch nicht einfach nur Vorschläge“, sagt ein Böckler-Stipendiat. „Die Deregulierung ist doch ein politisches Programm.“ Ein Gewerkschafter wirft der Kommission vor, marktradikal zu sein: „Aber diese Politik werden wir uns nicht gefallen lassen!“ Egbert Holthuis, der als EU-Beamter im Bereich Beschäftigung und Soziales für die Kommission arbeitet, kann die Kritik nur an sich abperlen lassen. „Einfache Lösungen, die niemandem wehtun, gibt es nicht“, sagt er. „Das Geld ist knapp. Vielen Mitgliedsländern fällt es schwer, Kredite zu bekommen. Das Vertrauen fehlt.“ Europa könne seine Probleme nur selbst lösen. Aber ein Rezept hat Holthuis nicht.

Dabei waren an den zwei Tagen Ende November in Brüssel einige Ideen zur Lösung der Eurokrise zusammengekommen. Einig sind sich die meisten Redner beim Europäischen Gespräch 2012, das die Hans-Böckler-Stiftung auch dieses Jahr zusammen mit Friedrich-Ebert-Stiftung, DGB, Europäischem Gewerkschaftsbund (ETUC) und ETUI veranstaltete, in einem Punkt: Sie sind der Meinung, die bisherige Politik sei kläglich gescheitert. Die Sparprogramme haben die Probleme nicht gelöst, sondern nur verschärft. Auf den Punkt bringt das Sergei Stanishev, Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE): 2009 habe die griechische Staatsschuld 120 Prozent des BIP betragen, heute seien es 190 Prozent. Die Argumente, die Kanzlerin Angela Merkel (CDU) immer wieder vorbringt, seien falsch, eine andere Politik sei dringend geboten. „Deutschland profitiert schließlich am meisten von der EU“, sagt der frühere bulgarische Ministerpräsident.

Für die Lösung der Krise schlägt Stanishev neben einer europäischen Investmentbank und Eurobonds auch ein EU-weites Programm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit vor. Dass in manchen Ländern mittlerweile jeder zweite unter 25-Jährige ohne Job ist, nennt er einen „Skandal für Europa“. Die EU habe nur eine Zukunft, wenn sie etwas dagegen unternehme. „Wenn wir die jungen Menschen verlieren, geht auch die europäische Idee verloren“, sagt er. Ihm schwebt dabei eine Jobgarantie vor. Nach dem Abschluss solle jeder Jugendliche einen Arbeitsplatz oder eine Weiterbildung bekommen – gefördert von der EU. Mit gerade mal zehn Milliarden Euro ließen sich so zwei Millionen Jobs schaffen.

Auch DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach sieht Europa in einer existenziellen Krise. Die Sparvorgaben ließen in den Mitgliedsländern nicht nur die Jugendarbeitslosigkeit in die Höhe schießen, sie führten auch auf allen Ebenen dazu, dass Sozialleistungen gekürzt werden. Die Folgen der Krise, die ja vor allem die Banken verursacht hätten, würden so den Arbeitnehmern zugeschoben. „Die Krise wird so zum Brandbeschleuniger“, sagt Buntenbach, „für Deregulierung und Privatisierung.“ Für sie ist diese Politik nicht nachvollziehbar. „Man sollte doch meinen, dass man aus dem Desaster lernt“, sagt sie. „Stattdessen wird versucht, die Krise durch weitere Deregulierung zu heilen.“ Dabei liege die Ursache der Krise doch genau in dieser marktliberalen (Deregulierungs-)Ideologie.

SOZIALMODELL WIRD UNTERGRABEN

„Es geht hier nicht nur um Worte“, mahnt EGB-Generalsekretärin Bernadette Ségol. „Es geht um ganze Gesellschaften.“ Die derzeitige Sparpolitik in Europas Süden werde zu einem Unterbietungswettbewerb führen, der die Grundlagen des europäischen Sozialstaatsmodells untergrabe. „Es geht hier nicht nur um Griechenland oder Portugal. Es geht um uns alle.“ Darauf, dass die Gewerkschaften die desaströsen Folgen dieser Politik richtig vorhergesagt haben, könne man auch stolz sein. Nun gelte es, die Politik dazu zu bewegen, sich an die EU-Verträge und die darin festgeschriebene soziale Marktwirtschaft zu erinnern. Es müsse wieder von einer sozialen und nicht nur von einer wirtschaftlichen Union gesprochen werden. Für Ségol ist das die zentrale Herausforderung für den Europa-Wahlkampf 2014.
Für einen stärkeren Staat plädiert in einer Podiumsdiskussion mit WSI-Direktorin Brigitte Unger auch der Europaabgeordnete Sven Giegold (Grüne). In Deutschland werde derzeit kaum investiert: „Man müsste die niedrigen Zinsen viel besser nutzen“, meint er. Privatisierungen lehnt er nicht grundsätzlich ab. Doch ob der Staat Unternehmen ausgliedert und verkauft, müsse vor Ort entschieden werden. Wenn aber eine Generalregel von oben – also von der EU – verordnet und allen übergestülpt werde, werde das nicht funktionieren. Zudem blickt er auf die Einnahmeseite: Die Steuerpolitik müsse für mehr Gleichheit sorgen. „Wir müssen für europäische Steuerregeln kämpfen“, sagt er. Unterstützung bekommt er dafür von Unger. Seit Jahren sinke die Steuerquote. Um dem Staat weiter Einnahmen zu sichern, fordert die WSI-Direktorin aber nicht mal Steuererhöhungen, es würde womöglich schon reichen, die fälligen Steuern auch tatsächlich einzutreiben. Allein in Deutschland würden jedes Jahr gut 100 Milliarden Euro Steuern hinterzogen: „Damit könnte man die Staatsschuld in 15 Jahren abbezahlen.“ 

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