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Magazin Mitbestimmung

Interview: „Es gibt kein Zurück“

Ausgabe 11/2013

Volker Stüber, Leiter der ver.di-Bundesfachgruppe Energie und Bergbau, über die unsolidarische Verteilung der Kosten, den lahmenden Netzausbau und was auf die Beschäftigten zukommt. Die Fragen stellte Doris Trapmann

Die Energiewende läuft nicht rund. Was sind die Gründe?

Sorgen bereiten mir der lahmende Netzausbau und die Kosten dafür in Höhe von vielen Milliarden. Sorgen bereitet mir auch, dass die Kraftwerke zunehmend unwirtschaftlich betrieben werden, weil Energieversorger gezwungen sind, ihre modernen Gaskraftwerke runterzufahren und mit großen finanziellen Verlusten auf Reserve zu stellen, während die Erzeuger der Erneuerbaren ihren Strom zum garantierten Preis abgenommen bekommen. Das ist nicht zukunftsfähig.

Was muss passieren?

Die erneuerbaren Energien müssen in die Gesamtsystemverantwortung genommen werden. Wir brauchen ein neues Marktdesign, das erneuerbare Energien und konventionelle Kraftwerke wirtschaftlich zusammenführt. Denn eine sichere Energieversorgung in Deutschland ohne Kohle- und Gaskraftwerke ist in absehbaren Zeiträumen nicht möglich.

Vieles ist noch offen in diesem Prozess der Energiewende?

In der Tat. Speicherkapazitäten sind nicht ausreichend vorhanden. Ob die regionalen Verteilnetze, sogenannte Smart Grids, funktionieren werden, ist noch unklar. Die so wichtige Energieeffizienz ist nach wie vor ein Stiefkind. Zentral für uns sind – neben der Versorgungssicherheit – natürlich die Beschäftigten in der Energiewirtschaft.

Trägt ver.di die Energiewende in jeder Beziehung mit?

Es gibt kein Zurück. Wir müssen akzeptieren, dass die Energiewende die Energiewirtschaft massiv verändert. Selbstverständlich erfüllt das die Beschäftigten mit Sorge. Die Kolleginnen und Kollegen fragen, wie die Zukunft ihrer Arbeitsplätze aussieht – angesichts der Situation, dass eben nicht mehr nur die Stadtwerke und die großen Konzerne Strom produzieren, sondern auch die Verbraucherinnen und Verbraucher, indem sie Solaranlagen auf das Dach ihres Einfamilienhauses setzen. Aus der Energieeinbahnstraße ist längst Gegenverkehr geworden. Und diese Entwicklung wird sich in den kommenden Jahren noch verstärken, da bin ich mir sicher. Damit wird Energieerzeugung künftig eben nur ein Standbein der Energieversorger sein.

Gibt es neue Geschäftsfelder, alternative Beschäftigungsmöglichkeiten?

Es könnten Jobs in der Energieberatung entstehen, im Bereich der Netze sowie bei den Erneuerbaren. Wie viele Jobs und welche ist noch nicht absehbar, von daher kann man auch noch nicht sagen, welche Qualifikationen künftig gebraucht werden. Unsere Chance liegt darin, diesen Prozess aktiv zu begleiten, auf Weiterbildung und Qualifizierung zu drängen. Neue Beschäftigungsmöglichkeiten werden herkömmliche Arbeitsplätze in den Kraftwerken ersetzen. Ob das soziale und materielle Niveau heutiger tarifvertraglicher Regelungen seine Fortsetzung findet, wird eine der großen gewerkschaftlichen Herausforderungen werden.

Fallen viele Jobs weg in den Atomkraftwerken, die geschlossen werden?

Wir müssen weiter darauf dringen, dass Atomkraftwerke rückgebaut werden. Die Unternehmen dürfen nicht mehr die Wahl haben, AKWs entweder einzuschließen oder rückzubauen. Es muss die Rückbaupflicht ins Gesetz. So wird zumindest ein Teil der Arbeitsplätze in den Kernkraftwerken erhalten – wenn auch nur für knapp zehn Jahre. Denn so lange dauert es, bis ein Atomkraftwerk zurückgebaut ist. Klar ist aber auch: In den großen Energiekonzernen geht der Jobabbau weiter.

Viele Kraftwerke laufen nicht rentabel, weil sie nur noch in Zeiten von Stromspitzen Energie liefern?

Richtig. Davon sind nicht nur die großen Konzerne betroffen, sondern auch viele Stadtwerke. Schuld an dieser Misere ist der Einspeisevorrang der Erneuerbaren. Gleichzeitig aber weiß jeder, dass wir weiterhin Kraftwerke brauchen, die dann einspringen, wenn Wind und Sonne nicht liefern. So, wie es derzeit läuft, darf es nicht weitergehen.

Wie müssen die politischen Rahmenbedingungen künftig aussehen?

Wir brauchen ein Marktdesign, das an den Erfordernissen der Energiewende ausgerichtet ist. Das heißt: Die einzelnen Bausteine müssen weit besser miteinander verzahnt werden. Und vor allem: Die Betreiber der erneuerbaren Energien müssen auch Verantwortung für das Gesamtsystem übernehmen. Es ist völlig in Ordnung, dass den Neuen, den Erneuerbaren auf die Beine geholfen wird, aber inzwischen sind sie erwachsen geworden und müssen nun auch mit anderen Formen der Energieerzeugung konkurrieren. Derzeit liefern die erneuerbaren Energien bereits 23 Prozent des Stromverbrauches. Da ist kein Anschub mehr nötig. Die Erneuerbaren müssen deshalb so schnell wie möglich mit der traditionellen Energieerzeugung harmonisiert werden. Meiner Ansicht nach sind sie dazu auch in der Lage. Denn der Produktionspreis zum Beispiel für Windenergie ist drastisch gefallen.

Wie sollen denn die Back-up-Kraftwerke wirtschaftlich laufen, die wir nur dann brauchen, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint?

Die Bereitstellung von sicherer Leistung muss einen verlässlichen Preis bekommen. Das heißt für ver.di: Wir brauchen einen Kapazitätsmarkt, bei dem ein Kraftwerk dafür Geld bekommt, dass es für einen gewissen Zeitraum eine bestimmte Energiemenge vorhält – ob diese Menge dann geliefert wird oder nicht. Kapazitätsmarkt bedeutet aber nicht, dass jedes Kraftwerk für jedes potenzielle Watt, das es liefern könnte, Geld bekommt. Die erforderliche Kapazität muss ausgeschrieben werden – wobei sich nur die Kraftwerke an der Ausschreibung beteiligen können, die hohe ökologische und soziale Qualitätskriterien erfüllen wie Arbeitssicherheit oder Tariftreue.

Was muss die neue Bundesregierung energiepolitisch jetzt als Erstes anpacken?

Sie muss viele Hebel bewegen, aber vorrangig wäre der Netzausbau. Er geht immer noch viel zu langsam voran. Offshore wie onshore. Es ist bekannt, dass die Übertragungsnetzbetreiber die enormen Summen, die nötig sind, um zum Beispiel Offshore-Windparks an das Stromnetz anzubinden, nicht alleine stemmen können. Onshore dauern die Genehmigungen für neue Netze auch deshalb zu lang, weil Anwohner die Strommasten nicht vor ihrer Haustür haben wollen. Das ist einerseits nachvollziehbar, andererseits aber muss den Menschen klar sein, dass – egal welche Energie sie verbrauchen – die Erzeugung und der Transport dieser Energie immer Auswirkungen haben wird.

Wer soll die enormen Summen für den Netzausbau aufbringen?

Die Energiewende gibt es nicht umsonst. Das müsste allen klar sein. Die Umstellung auf die Erneuerbaren kostet Geld, ebenso die nötige Infrastruktur. Letztendlich müssen wir es alle bezahlen. Aber es muss darum gehen, dass einerseits die Kosten gerechter verteilt werden und dass andererseits nicht unnötig Kosten produziert werden. Beides ist derzeit nicht der Fall. Die Kosten rennen uns davon, Verbraucher wie Wirtschaft stöhnen – auch weil ihnen schwant, dass das Ende der Fahnenstange noch lange nicht erreicht ist. Die Zeit des billigen Stroms ist erst mal vorbei. Aber es gibt sehr wohl Stellschrauben, die verhindern können, dass die Strompreise alles sprengen. Dazu gehört eine EEG-Reform – und zwar so schnell wie möglich.

Wie soll die aussehen?

Es darf nicht länger sein, dass die Gewinne privatisiert und die Kosten sozialisiert werden. Derzeit bekommen Betreiber von erneuerbaren Energien gemäß dem EEG-Gesetz eine garantierte Rendite. Wenn sie gleichzeitig ihren Strom noch selbst nutzen, entfallen Abgaben und Steuern – auch diese Kosten bezahlen die anderen Verbraucher mit. Kein Wunder, dass immer mehr Unternehmen und auch Private sich eigene kleine Anlagen auf das Gelände setzen. Mit dieser Entsolidarisierung muss so schnell wie möglich Schluss sein. Die Kosten der Energiewende müssen von allen getragen werden – von den privaten Haushalten und der Industrie. Es darf nicht länger sein, dass sich einige davonstehlen.

Wo liegen die Chancen, wo die Risiken für die Energiewirtschaft?

Das größte Risiko für die Energiewirtschaft wie für die Wirtschaft insgesamt wäre ein „Zurück“. Investoren brauchen Planbarkeit und Sicherheit. Ein Risiko besteht aber auch, wenn die Energiewende nicht endlich nachjustiert wird, sondern es weitergeht wie bisher – mehr oder weniger unkontrolliert. Wo liegen die Chancen? Überall auf der Welt wird derzeit über neue Energien gegrübelt, nicht nur in Deutschland. Aber wir haben es angepackt. In wenigen Jahren können wir die Lösungen exportieren. Ob es innerhalb der Energiewirtschaft Gewinner und Verlierer gibt, ist derzeit schwer zu sagen. Vor wenigen Jahren meinten Experten, die Stadtwerke seien die Gewinner, weil die Energiezukunft eher dezentral ausgerichtet sein wird. Doch auch die Gaskraftwerke der Stadtwerke stehen derzeit oft still. Denn durch den Einspeisungsvorrang der Erneuerbaren bleiben sie auf ihrem Strom sitzen. Gewinner werden all diejenigen sein, die sich angesichts der Entwicklungen schnell neue Geschäftsfelder aufbauen.

Welchen Stellenwert hat der Klimaschutz für ver.di?

Selbstverständlich hat der Klimaschutz für uns einen sehr hohen Stellenwert. Deshalb dringen wir auch darauf, dass die EU die Energieziele über das Jahr 2020 hinaus fortschreibt. Und die Bundesregierung muss sich bereiterklären, den CO2-Ausstoß in Deutschland um 40 Prozent zu verringern. Zudem: Der Emissionshandel liegt am Boden. Zeitweise kostete jüngst eine Tonne CO2weniger als drei Euro. Das stellt keinen Anreiz dar, den CO2-Ausstoß zu verringern. Deshalb haben Gaskraftwerke derzeit keine Chance am Markt. Wenn die EU nicht entschlossen einen großen Teil der gehandelten Verschmutzungsrechte unwiderruflich vom Markt nimmt, wird sich daran auch nichts ändern. Aber man muss eines deutlich sagen: Wer nun, nachdem wir festgelegt haben, wann die Kernkraftwerke dichtmachen, fordert, auch die Kohlekraftwerke abzuschalten, erweist der Versorgungssicherheit einen Bärendienst. Der Versorgungssicherheit wegen werden wir die Kohle noch lange brauchen. Es muss aber darum gehen, dass moderne, effiziente Anlagen zum Zuge kommen.

Ver.di-Forderungen: Von AKW-Rückbau bis Klimaschutz

Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) reformieren: Ein EEG muss Regelungen enthalten, die die Betreiber von erneuerbaren Energien an den Kosten für die Systemeinbindung von Wind und Solar beteiligen.

Den Kapazitätsmarkt einführen: Voraussetzung dafür, dass auch in Zukunft ausreichend Kraftwerke – und damit Arbeitsplätze – zur Verfügung stehen werden, ist ein „Markt für gesicherte Leistung“. Teilnahmebedingung an diesem Kapazitätsmarkt muss die Fähigkeit eines Anbieters sein, im vorgesehenen Zeitraum gesicherte Leistung vorzuhalten. Als Voraussetzung für die Teilnahme am Kapazitätsmarkt sollten hohe ökologische und soziale Qualitätskriterien festgelegt werden.

 

Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) verstärkt fördern: Konventionelle Kraftwerke sollten – wenn immer möglich – in KWK betrieben werden, was aber Wärmespeicher erfordert. Der Zubau von Fern- und Nahwärmenetzen muss deshalb stärker als bisher gefördert werden.

 

Netzausbau anreizen: Es werden bis zu 4000 Kilometer zusätzliche Höchstspannungstrassen gebraucht, um Windstrom in die Ballungszentren zu transportieren. Auch die Offshore-Parks müssen angebunden werden. ver.di betont: Die Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit durch neue Übertragungsnetze ist eine Aufgabe der Daseinsvorsorge.

 

Speicher entwickeln und fördern: Mit dem weiteren Ausbau von Wind und Sonne werden Stromspeicher immer wichtiger. Speichertechnologien müssen weiter intensiv erforscht und aussichtsreiche Technologien bei der Markteinführung gefördert werden.

 

Energieeffizienz endlich ernst nehmen: Um die Klimaschutzziele zu erreichen, aber auch die Energiewende bezahlbar zu halten, hat eine bessere Energieeffizienz eine Schlüsselrolle. Deshalb muss Deutschland die EU-Energieeffizienzrichtlinie zügig umsetzen.

 

Kernenergieausstieg verantwortungsvoll durchführen: Im Energiewirtschaftsgesetz muss der direkte Rückbau stillgelegter Kernkraftwerke (statt sie einzuschließen) als alleiniger Entsorgungsweg festgeschrieben werden. Dies sichert die Arbeitsplätze und minimiert das Risiko.

 

Klimaschutz neu justieren: Die Bundesregierung muss darauf dringen, dass die EU das CO2-Reduktionsziel für 2020 anpasst und die Zertifikate verknappt. Deutschland muss sich zu einem CO2-Reduktionsziel von 40 Prozent bis 2020 bereiterklären.

 

Sozialverträgliche Gestaltung der Energiewende: In die Energiewende müssen in den nächsten Jahren Milliardenbeträge investiert werden – in erneuerbare Energien, in fossile Back-up-Kraftwerke, in Netze, Speicher und in die Energieeffizienz. Die Zusatzkosten müssen gerecht auf alle Kundengruppen verteilt werden. Eigenverbraucher von erneuerbarer Energie dürfen nicht länger von Energieumlagen, Energiesteuern und Energieabgaben befreit werden.

 

Energiewende politisch besser koordinieren: Die Konkurrenz der zuständigen Ministerien auf Bundesebene, aber auch zwischen Bund und Ländern muss durch eine Zusammenarbeit ersetzt werden. Das Kanzleramt muss seiner Koordinierungsaufgabe zwischen den Bundesministerien in der Energiepolitik gerecht werden.

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