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Streikposten vor dem Tesla Service Center im schwedischen Segeltorp Magazin Mitbestimmung

Internationales: „Erfolg wäre ein erstes Loch in der Mauer“

Ausgabe 05/2024

Jannes Bojert von der IG Metall Berlin-Brandenburg-Sachsen und Arturo Vasquez Sandoval von IF Metall Schweden haben ein gemeinsames Ziel: gute Arbeitsbedingungen bei Tesla. Das Gespräch führte Fabienne Melzer

In Schweden bestreiken die Gewerkschaften die Autowerkstätten von Tesla seit einigen Monaten. Worum geht es in dem Konflikt?

ARTURO VASQUEZ SANDOVAL: Wir haben versucht, mit Tesla einen Tarifvertrag abzuschließen. Aber wir beißen auf Granit. Aktuell haben unsere Mitglieder verschiedene Vereinbarungen mit dem Unternehmen Tesla, also der TM Sweden AB. Der Arbeitgeber kann sie nach Belieben ändern und die Beschäftigten können nichts dagegen tun. Der Tarifvertrag gibt ihnen dagegen Garantien, die der Arbeitgeber nicht einfach einseitig ändern kann. Der wichtigste Teil ist aber, dass er den Beschäftigten ein Mitspracherecht gibt.

Nicht nur die Beschäftigten von Tesla streiken. Auch Beschäftigte anderer Unternehmen und Sparten unterstützen sie. Wie funktioniert das?

VASQUEZ SANDOVAL: Das Gesetz ermöglicht uns im Konfliktfall, aus Solidarität zu streiken, wenn der Hauptkonflikt legal ist. So bekamen wir Rückendeckung von der Gewerkschaft, die den See- und Güterkraftverkehr vertritt. Kein Gewerkschaftsmitglied in Schweden arbeitet im Hafen oder in anderen Landesteilen mit Tesla-Produkten. Weitere Gewerkschaften haben sogenannte Sympathiemaßnahmen ergriffen. Die Elektrikergewerkschaft hat zum Beispiel anstehende Bau- und Instandsetzungsarbeiten in der Kundendienstwerkstatt von Tesla blockiert. Ein großes schwedisches Unternehmen, das Fahrzeuge wartet, tut dies bei Fahrzeugen von Ford, Saab oder Volvo, aber nicht von Tesla.

Spielt die Auseinandersetzung in Schweden für Ihre Arbeit eine Rolle, Herr Bojert?

JANNES BOJERT: Bei diesem Streik geht es um die Arbeitsbedingungen von 130 Beschäftigten bei TM Sweden AB und um das schwedische Modell von Tarifverträgen. Er hat aber Bedeutung für Tesla-Beschäftigte weltweit. Allem Anschein nach gilt bei Tesla das eiserne Gesetz, gewerkschaftliche Organisierung der Belegschaften zu verhindern, koste es was es wolle, niemals mit Gewerkschaften zu verhandeln oder einen Vertrag mit ihnen zu unterzeichnen. Wenn IF Metall es schaffen sollte, ist die Mauer vielleicht noch nicht eingerissen, aber sie hat ein erstes Loch.

Auch andere Arbeitgeber verweigern sich Gewerkschaften und Tarifverträgen. Unterscheidet sich Tesla von ihnen?

BOJERT: Um Gewerkschaften draußen zu halten, bekämpfen viele Arbeitgeber Betriebsräte noch bevor sie überhaupt gewählt sind. Tesla fährt eine andere Strategie: Die Werkleitung versucht, den Betriebsrat gefügig zu halten. Schon die ersten Betriebsratswahlen wurden noch vor dem Produktionsstart aus dem mittleren Management heraus in die Wege geleitet und eine Liste mit einer Managerin an der Spitze aufgestellt. Wir haben diesen Zug erwartet, waren aber noch ganz am Anfang unserer Kampagne. Das heißt: Das gewerkschaftliche Netzwerk im Werk war noch nicht stark genug, um gegen diese Übermacht anzukommen. Die Managerin ist immer noch Betriebsratsvorsitzende.

Das war die erste Betriebsratswahl. In diesem Jahr hatten wir dann zwei Jahre nach der ersten die zweite Betriebsratswahl und waren schon deutlich weiter. Wir haben eine IG Metall-Liste aufgestellt, die von allen Listen die meisten Stimmen und 16 von 39 Sitzen bekommen hat. Die anderen Listen haben zusammen eine Mehrheit von 23 Sitzen und werden zweifelsohne von der alten und neuen Betriebsratsvorsitzenden dirigiert, die die Rückendeckung der Unternehmensleitung hat.

Was bedeutet das für die Arbeit im Betriebsrat?

BOJERT: Die Mehrheit des Betriebsrats hat zusammen mit dem Management alle Kommunikationsmöglichkeiten. Sie können Versammlungen ansetzen, sie können Leute von der Arbeit wegrufen und beschallen. Sie können jederzeit E-Mails an die gesamte Belegschaft verschicken und ihre Meinung und ihre Version der Realität verbreiten. Für die Metallerinnen und Metaller in Betriebsrat und Belegschaft ist es viel schwieriger, die Kolleginnen und Kollegen zu erreichen. Aber sie sind viele und erreichen die Belegschaft über persönliche Gespräche, Newsletter und Videos. Ich glaube, dass immer mehr Beschäftigte
erkennen, dass das, was ihnen Werkleitung und Betriebsratsspitze auftischen, nicht der Wahrheit über die Situation bei Tesla entspricht.

Wenn man in der Minderheit ist, hat man im Grunde genommen sehr wenig Rechte. Wir können nur politisch arbeiten.“

JANNES BOJERT, IG Metall-Bezirk Berlin-Brandenburg-Sachsen

Wie gehen die Metallerinnen und Metaller damit um, dass sie im Betriebsrat in Grünheide in der Minderheit sind?

BOJERT: Wenn man in der Minderheit ist, hat man im Grunde genommen sehr wenig Rechte. Deswegen können wir nur politisch arbeiten. Die aktiven Metallerinnen und Metaller im Werk haben vor kurzem die Geschäftsleitung dazu gebracht, eine neue Regelung für Krankmeldungen einzuführen. Das klingt trivial, aber es gab eine regelrechte Flut von Abmahnungen, weil Beschäftigte sich angeblich nicht an die absurd umständlichen Vorschriften gehalten haben: zusätzlich zur schriftlichen Nachricht nicht auch noch den Vorgesetzten angerufen oder die Zeiten nicht richtig eingetragen haben.

Die Aktiven im Werk haben 1.800 Unterschriften für eine Petition gesammelt, auf eine riesige Pappe gedruckt und dem Personalchef übergeben. Rund vier Wochen später haben sie neue Regeln eingeführt, die viel einfacher sind und fast alle Forderungen der Petition erfüllen. Jetzt versucht das Management etwas Neues. Offenbar gibt es die Anweisung, nur mit den nicht-gewerkschaftlichen Betriebsräten zusammenzuarbeiten. Sie wissen, dass sich das Ansehen der IG Metall-Betriebsräte in der Belegschaft immer weiter verbessert, wenn sie die Probleme lösen. Ich bin aber überzeugt, dass sie damit keinen Erfolg haben werden.

Wie läuft die Mitbestimmung in Schweden?

VASQUEZ SANDOVAL: Wir haben Informationen erhalten, dass das Unternehmen ein- oder zweimal im Jahr Belegschaftstreffen abhält. Damit vermitteln sie das Gefühl, dass es eine Art Mitbestimmung gibt, dass man sich äußern und seine Anliegen und Beschwerden vorbringen kann. Aber wenn sie dann alle Informationen haben, gehen sie hin und sagen dem Vorgesetzten: So denken deine Mitarbeiter über dich. Dies wirkt sich natürlich darauf aus, welche Themen in diesen Sitzungen zur Diskussion gestellt werden können.

Reagieren die Menschen in Schweden darauf?

VASQUEZ SANDOVAL: Tesla beziehungsweise die schwedische Gesellschaft TM Sweden AB hat Mühe, neue Leute einzustellen, weil sich die öffentliche Meinung gegen Tesla gedreht hat. Das liegt vor allem an verschiedenen Äußerungen von Elon Musk, die in Schweden nicht mehrheitsfähig sind. Hinzu kommt, dass in den Autowerkstätten nur wenig Leute arbeiten, was bedeutet, dass man Überstunden machen und mehr arbeiten muss als in anderen Werkstätten. Wir hören auch von Beschäftigten, dass sie nicht mehr bei Tesla arbeiten wollen, weil sie keine Zeit mehr für ihre Familien haben.

Weil sie viele Überstunden machen müssen …

VASQUEZ SANDOVAL: Nicht nur Überstunden. Im Vertrag steht auch, dass sie an anderen Orten in Schweden eingesetzt werden können.

BOJERT: Die hohe Arbeitsbelastung kennen wir auch. Wenn ein Team eigentlich aus acht Leuten besteht und sie nur zu sechst oder zu fünft sind, müssen sie oft trotzdem 100 Prozent schaffen. Das ist auf Dauer so anstrengend, dass noch mehr krank werden, ein Teufelskreis. Dabei spielt noch ein anderer Aspekt eine Rolle. Die mittlere Führungsebene, die Supervisors, haben im Rahmen ihrer Zielvorgaben sehr viel Macht. Einige gehen damit sehr vernünftig um und stellen sich schützend vor ihre Teams, andere nutzen diese Macht aus und geben den ganzen Druck, unter dem sie stehen, an ihre Teams weiter.

Auch bei der persönlichen Bewertung ist man vom Supervisor abhängig. Es gibt ein System mit sehr subjektiven Bewertungskriterien und einer Skala von eins bis fünf. Wenn du unter einem bestimmten Wert liegst, hast du keine Chance auf Weiterbildung, Versetzung oder Beförderung.

VASQUEZ SANDOVAL: Ich glaube, es ist weltweit das gleiche Bewertungssystem. Wenn wir mit unseren streikenden Mitgliedern sprechen, sagen sie, dass die Note drei bedeutet, dass sie langfristig aus dem Unternehmen gedrängt werden.

Das Problem in Schweden ist, dass Tesla Leute aus anderen Teilen Europas als Streikbrecher holt.“

ARTURO VASQUEZ SANDOVAL, IF Metall, Stockholm

Ich vermute, Sie haben beide Erfahrungen mit gewerkschaftsfeindlichen Arbeitgebern. Hilft Ihnen diese Erfahrung bei Tesla?

VASQUEZ SANDOVAL: Das Problem in Schweden ist, dass Tesla Leute aus anderen Teilen Europas als Streikbrecher holt. Sie machen an den verschiedenen Standorten die Arbeit, die unsere Mitglieder niederlegen. Tesla bricht mit einem Gentleman's Agreement, das wir in diesem Land zwischen den Gewerkschaften und Industriellen haben. Wir glauben an dieses System und halten uns an die Regeln, Elon Musk aber nicht. Für uns ist es neu, dass man die EU-Gesetzgebung und die Freizügigkeit nutzen kann, um Menschen aus anderen europäischen Ländern zu holen, damit sie bei uns die Arbeit erledigen. Das heißt auch, dass wir darüber nachdenken müssen, ob das die neue Zukunft für uns als Gewerkschaft ist – mit Unternehmen, die die EU so für sich nutzen.

Was nehmen Sie beide von den Erfahrungen des jeweils anderen mit?

BOJERT: Ich bewundere die Entschlossenheit der Kolleginnen und Kollegen in Schweden. IF Metall und IG Metall sind starke Gewerkschaften, aber wir brauchen auch Regeln für einen fairen Kampf. Wenn Tesla ganz legal Streikbrecher aus anderen europäischen Ländern einfliegen kann, besteht Nachbesserungsbedarf bei der europäischen Gesetzgebung. Auch in Deutschland besteht Verbesserungsbedarf. Solidaritäts- oder Sympathiestreiks sind meiner Meinung nach ein wirklich probates Mittel. In Deutschland sind sie aber nur in einem sehr engen und in der Rechtsprechung wenig ausformulierten Rahmen möglich. Kommt ein Gericht zu dem Schluss, dass der Streik nicht zulässig war, muss die Gewerkschaft für den gesamten entstandenen Schaden aufkommen. Damit ist dieses Mittel in den meisten Fällen praktisch unbrauchbar.

VASQUEZ SANDOVAL: Ich denke, das Wichtigste ist, dass wir zusammenarbeiten und uns gegenseitig in unserem Kampf für den Tarifvertrag unterstützen. Ich habe die Kolleginnen und Kollegen in Grünheide besucht und jetzt kommt die IG Metall nach Schweden. Unsere Mitglieder in Schweden haben das Gefühl, dass wir nicht allein sind. Die Mitglieder der IG Metall in Deutschland kämpfen an unserer Seite.

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