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Die Wissenschaftlerinnen Judith Purkarthofer, Lea Elsässer und Stefanie Gärtner (v.l.n.r.), die in diesem Jahr den Maria-Weber-Grant. erhielten Magazin Mitbestimmung

Wissenschaft: Entlastung in der akademischen Rush Hour

Ausgabe 04/2024

Mit dem zum siebten Mal vergebenen Maria-Weber-Grant gibt die Hans-Böckler-Stiftung drei herausragenden Wissenschaftlerinnen mehr Zeit zum Forschen. Von Joachim F. Tornau

Eigentlich haben sie gleich mehrere Vollzeitjobs auf einmal: Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, die den Traum von der universitären Karriere nach dem Doktortitel nicht aufgeben wollen, müssen so viel wie möglich forschen, publizieren, an Konferenzen teilnehmen – und an ihren Hochschulen zugleich Lehr- und Verwaltungsaufgaben erfüllen, die wegen der dünnen Personaldecke zumeist nicht eben knapp bemessen sind. In dieser „Rush hour“ des akademischen Lebens will die Hans-Böckler-Stiftung mit dem jetzt zum siebten Mal verliehenen Maria-Weber-Grant für Entlastung sorgen. Damit mehr Zeit für die Forschung bleibt, wird drei Wissenschaftlerinnen zwölf Monate lang eine Teilvertretung für die Lehre finanziert.

Die Preisträgerinnen kommen aus den unterschiedlichsten Disziplinen, doch eines haben sie gemeinsam: Ihre Forschung ist exzellent. Die politische Ökonomin Lea Elsässer geht der Frage nach, warum im Bundestag kaum noch Abgeordnete aus nichtakademischen Berufen sitzen und wie es sich auswirkt. „Wenn die Verteilung sozioökonomischer Ressourcen über politische Teilhabe und den Zugang zu politischen Ämtern entscheidet, ist das Gleichheitsversprechen der Demokratie verletzt“, sagt die wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Mainz. Elsässer schaut insbesondere auf die Rolle, die die Gewerkschaften für die soziale Repräsentanz im Parlament spielen. Oder spielen sollten. Denn sie versteht ihre Forschung nicht nur als Erkenntnisgewinn, sondern ausdrücklich auch als ersten Schritt zur Veränderung: „Zu verstehen, wie diese Ungleichheiten zustande kommen, kann einen gesellschaftlichen Beitrag dazu leisten, sie zu verringern."

Mit Mehrsprachigkeit beschäftigt sich die Sprachwissenschaftlerin Judith Purkarthofer. So untersucht sie, wie Herkunftssprachen erhalten werden können, wenn Kinder in einer Pflegefamilie untergebracht werden. Sie möchte den sprachlichen Aushandlungsprozessen in mehrsprachigen Familien auf den Grund gehen. Und sie analysiert, welche Rolle Kitas und Schulen für Teilhabe und Förderung spielen können, wenn sie nicht nur einsprachig gedacht werden. „Sprache kann gebraucht werden, um zu diskriminieren, aber auch, um sich dagegen zu wehren“, erklärt die Juniorprofessorin an der Universität Duisburg-Essen. „Das interessiert mich.“

Klassische Grundlagenforschung betreibt die Chemikerin Stefanie Gärtner. „Es gibt nur 82 stabile Elemente auf der Erde“, sagt die Akademische Oberrätin an der Universität Regensburg. „Sie alle adäquat zu verstehen, ist unsere Aufgabe.“ Gärtner möchte die Geheimnisse von Thallium lüften, einem extrem giftigen und schweren Metall, das die Analytik in der Vergangenheit noch an Grenzen habe stoßen lassen. Über die salzartigen Strukturen, die aus der Verbindung mit anderen metallischen Elementen entstehen können, sei kaum etwas bekannt. Von kristallografischen Nüssen, die es zu knacken gelte, spricht die Forscherin und vom Privileg, das es für sie bedeute, derartige Grundlagenforschung leisten zu dürfen.

Mehr zum Thema:

Seit 2018 vergibt die Hans-Böckler-Stiftung den Maria-Weber-Grant. Zielgruppe sind herausragende Wissenschaftler*innen aus allen Fachgebieten. Die Bewerber*innen können für bis zu 12 Monate eine Vertretung beantragen, die Teile der Aufgaben in der Lehre übernimmt, um sich so Freiräume für ihre Forschung zu verschaffen.

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