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Magazin Mitbestimmung

Von ANNETTE JENSEN: Entgelttransparenz: Ein zahnloser Tiger

Ausgabe 02/2018

Debatte Das Entgelttransparenzgesetz hält nicht, was es verspricht. Doch Gewerkschafterinnen wollen die kleinen neuen Spielräume so gut wie möglich nutzen, um den Gender-Pay-Gap von 21 Prozent zu verringern.

Von ANNETTE JENSEN

Erstmals gibt es in Deutschland ein Gesetz, das die Lohnungleichheit zwischen Frauen und Männern im Betrieb aufdecken und verringern soll. So weit die gute Nachricht. Allerdings wird das Entgelttransparenzgesetz diesem Anspruch nur äußerst unzureichend gerecht. „Ein winziger Trippelschritt in die richtige Richtung“, lautet das Urteil von Christina Klenner vom WSI.

Auch der DGB übt Kritik: Den Arbeitgebern sei es gelungen, den ursprünglichen Entwurf als „Bürokratiemonster“ darzustellen und dafür zu sorgen, dass das Gesetz „möglichst wirkungsarm“ ausgestaltet wurde. Dazu gehört auch die Änderung des Namens: Trug der Referentenentwurf noch den Titel „Entgeltgleichheitsgesetz“, so wurde das Werk schließlich als „Entgelttransparenzgesetz“ verabschiedet. Dass Deutschland damit aus der EU-Schlusslichtgruppe herauskommt, glaubt fast niemand: Gegenwärtig beträgt der Gender-Pay-Gap hierzulande 21 Prozent, in Westdeutschland sogar 23 Prozent. Besondern schwarz sieht es für Frauen in Betrieben ohne Tarifbindung aus.

Pia Bräuning von der IG Metall und Marion Hackenthal von der IG BCE plädieren trotzdem dafür, die seit Anfang dieses Jahres geltenden Spielräume zu gestalten und perspektivisch auszuweiten. Sie und ihre Kolleginnen haben schon Betriebsräte geschult, Infoveranstaltungen für Beschäftigte durchgeführt und Infomaterial erstellt. „Wir hören aus einer ganzen Reihe von Betrieben, dass Frauen das Gesetz für sich nutzen wollen“, berichtet Bräuning.

Als der Betriebsrat der Siemens AG, Niederlassung Hamburg, vor kurzem eine Sprechstunde zu dem Themenkomplex anbot, kamen fast 100 Kolleginnen. Solchen Schwung durch die neue Aufmerksamkeit für das Thema müsse man nutzen, um weitere Verbesserungen zu befördern, so Bräuning. Auch die Hans-Böckler-Stiftung plant eine Tagung zum Thema „Frauenverdienste – Männerverdienste“ – am 16. März zusammen mit dem Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) an der Universität Duisburg-Essen.

Zuwiderhandlungen bleiben folgenlos

Seit dem 6. Januar 2018 haben Beschäftigte in Betrieben mit mehr als 200 Mitarbeitern das individuelle Recht zu erfahren, wie viel Geld Kollegen des anderen Geschlechts verdienen, die gleichwertige Tätigkeiten verrichten. Dass hier von „gleichwertiger“ und nicht nur von „gleicher“ Arbeit ausgegangen wird und das auch klar definiert wird, werten Klenner und andere Expertinnen als Schritt nach vorne.

Schließlich lässt sich im Prinzip durch qualitative Prüfverfahren tatsächlich feststellen, ob eine mittelbare Diskriminierung vorliegt, weil männer- und frauendominierte Tätigkeiten unterschiedlich bewertet werden. Allerdings sind derartige Prüfverfahren in Deutschland bisher nicht vorgeschrieben. Auch fehlen im Gesetz die Konsequenzen, was bei einer festgestellten Diskriminierung zu geschehen hat. Und schließlich erfasst das Gesetz kleinere Betriebe gar nicht – und damit ausgerechnet einen Bereich, in dem Frauen überrepräsentiert sind.

Um die Anonymität zu gewährleisten, besteht der Auskunftsanspruch außerdem nur dann, wenn es im Betrieb mindestens sechs Personen des anderen Geschlechts in entsprechenden Positionen gibt. Was eine Auskunftssuchende dagegen nicht erfährt, ist der Durchschnittsverdienst in der entsprechenden Frauengruppe, so dass sie ihre eigene Position innerhalb des Gehaltssystems nicht wirklich einschätzen kann.

Auch darf sie nur alle zwei Jahre Auskunft verlangen und dabei zwei konkrete Entgeltbestandteile erfragen – doch oft setzt sich das Gehalt aus wesentlich mehr Faktoren zusammen. Somit sind die Voraussetzungen weder für eine Klage gut, noch dafür, strukturellen Diskriminierungen auf die Spur zu kommen. In Großbritannien beispielsweise ist die Situation deutlich transparenter: Größere Unternehmen sind verpflichtet, die durchschnittlichen Stundenlöhne und Bonuszahlungen der weiblichen und männlichen Beschäftigten zu veröffentlichen. Auch müssen sie Auskunft geben, wie hoch der Anteil der Männer und Frauen ist, die einen Bonus erhalten und wie sich die Geschlechter auf der gesamten Gehaltsskala verteilen.

Die Betriebsräte sollen’s richten

Ansprechpartner für die Beschäftigten ist laut Entgelttransparenzgesetz – soweit vorhanden – der Betriebsrat. Er hat laut Gesetz die Aufgabe, die Durchsetzung der Entgeltgleichheit von Frauen und Männern zu fördern. Die „Erfüllung“ des Auskunftsanspruchs liegt allerdings beim Arbeitgeber. „Das Verfahren ist sehr kompliziert und ressourcenintensiv. Wir schlagen deshalb etwas vor, was über das Gesetz hinausgeht: Die Betriebsräte sollen auf freiwillige Betriebsvereinbarungen hinarbeiten“, berichtet die Leiterin der Abteilung Frauen/Gleichstellung der IG BCE Marion Hackenthal. Ziel wäre, dass der Arbeitgeber die Recherchearbeit und die Ermittlung der Durchschnittswerte übernimmt und vereinbart wird, was bei festgestellter Differenz passiert.

Bereits seit Sommer vorigen Jahres ist ein Teil des Gesetzes in Kraft, der Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten auffordert, mit entsprechenden Prüfverfahren herauszufinden, ob sie Frauen und Männer unterschiedlich bezahlen. Darüber besteht Berichtspflicht. Doch Unternehmen, die die Prüfung nicht durchführen, müssen kaum Konsequenzen befürchten.

Im Klartext: Macht das Unternehmen falsche Angaben und wird erwischt, muss die Firma mit Sanktionen rechnen; gar nichts zu tun bedeutet hingegen, auf der sicheren Seite zu sein, erklärte Torsten von Roetteken, früher Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht Frankfurt/Main, auf einer Fachtagung des Harriet-Taylor-Mill-Instituts für Ökonomie und Geschlechterforschung in Kooperation mit dem Hugo-Sinzheimer-Institut im vergangenen November in Berlin. Nichts spricht also dafür, dass viele Unternehmen aktiv werden. Nicht einmal den öffentlichen Dienst verpflichtet das Gesetz zu entsprechenden Aktivitäten.

Erfolgreiche Beweislastumkehr auf EU-Ebene

Zwar verbietet das Entgelttransparenzgesetz, Beschäftigte aufgrund ihres Geschlechts zu diskriminieren. Allerdings liegt die Beweispflicht bei den Betroffenen. „Es ist nicht akzeptabel, das Problem der strukturellen Entgeltdiskriminierung zu individualisieren“, kritisierte der DGB in seiner Stellungnahme.

Die EU-Ebene ist hier deutlich weiter. Hier liegt die Beweislast beim Arbeitgeber, weil der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) in Artikel 157 ein „Entgeltgleichheitsgebot“ enthält. Bezahlt ein Betrieb Männer und Frauen für gleiche oder gleichwertige Tätigkeiten unterschiedlich, muss er das mit objektiven Fakten begründen können, die nichts mit Diskriminierung zu tun haben. Ein Beispiel könnte die größere Flexibilität beim Arbeitseinsatz sein. Wird die Differenz hingegen nicht erklärt, ist sie verboten. Entsprechend verurteilt der Europäische Gerichtshof Arbeitgeber, die Diskriminierungsvorwürfe nicht ausräumen können.

Wie ein wirksames Gesetz auch in Deutschland aussehen könnte, ist ziemlich klar: „Alle Beschäftigten müssen ein umfassendes Auskunftsrecht bekommen und auch gemeinsam klagen können. Darüber hinaus sollte endlich ein Verbandsklagerecht eingeführt werden, damit Verbände stellvertretend für Einzelne klagen können. Unternehmen müssen verpflichtet werden, zertifizierte Prüfverfahren zu absolvieren. Festgestellte Diskriminierungen sind dann zu korrigieren“, formuliert WSI-Expertin Christina Klenner und schlussfolgert: „Unter solchen Voraussetzungen bestünden gute Chancen, dass Deutschland endlich seine peinliche Schlussposition beim Gender-Pay-Gap verliert.“ Doch bisher haben die Arbeitgeber Vorschläge in diese Richtung erfolgreich torpediert.

Aufmacherfoto: Wolfgang Kumm/dpa

 

WEITERE INFORMATIONEN

Daten und Fakten zur Entgeltungleichheit auf der Website der Hans-Böckler-Stiftung

Die Tagung »„Frauenverdienste“ – „Männerverdienste“. Neue Forschung und politische Perspektiven« findet am 16. März an der Universität Duisburg-Essen statt. Es ist die Abschlussveranstaltung des Kooperationsprojektes „Comparable Worth“, welches zusammen mit dem Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) durchgeführt wurde.

Das Hugo Sinzheimer Institut und das Ressort Betriebsverfassung und Mitbestimmungspolitik der IG Metall führen am 12. April eine gemeinsame Tagung in Frankfurt am Main durch, in der das Thema in dem Vortrag „Neuregelungen durch das Entgelttransparenzgesetz – Was kommt auf Betriebsräte zu?“ behandelt wird.

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