zurück
Porträtfoto von Nancy Böhning, Mitglied im Aufsichtsrat des Maschinenbaukonzerns GEA Magazin Mitbestimmung

Aufsichtsratsporträt: Engagiert für den Osten

Ausgabe 04/2024

Nancy Böhning, Mitglied im Aufsichtsrat des Maschinenbaukonzerns GEA. Von Martin Kaluza

Einer Partei beitreten? Das musste die Lausitzerin Nancy Böhning ihren Eltern erst einmal erklären. Sie war elf, als die Mauer fiel, die Eltern waren Partei- und Gewerkschaftsmitgliedschaften gegenüber nicht besonders aufgeschlossen, zu sehr hatte die Erfahrung der DDR sie geprägt. Die Tochter hat sich in den 1990er Jahren schnell politisiert: „In Brandenburg warst du entweder Nazi oder Zecke.“ Während des Studiums in Dresden – Germanistik, Soziologie und Wirtschafts- und Sozialgeschichte – trat Böhning der SPD bei. „Inzwischen ist das auch für meine Eltern gar kein Thema mehr“, sagt sie.

Die SPD wurde ihr erster Arbeitgeber, und mit dem neuen Job trat sie bei Verdi ein. Böhning arbeitete im Bundestag für die Abgeordnete Elke Ferner, leitete ab 2014 das Büro von Manuela Schwesig und 2015 das Büro der damaligen Generalsekretärin und Bundesfamilienministerin Katarina Barley. 2017 fragte Lars Klingbeil Böhning, ob sie sich vorstellen könne, SPD-Bundesgeschäftsführerin zu werden – die nächste Herausforderung, die sie annahm.

Nach über zehn Jahren im Dienst der SPD lockte Jörg Hofmann sie 2019 zur IG Metall und holte sich damit jemanden mit gut gefülltem Telefonbuch ins Haus. Seitdem arbeitet Böhning im Hauptstadtbüro der IG Metall und vermittelt zwischen Politik und Gewerkschaft.

Im Juni 2022 übernahm Nancy Böhning ein Mandat im Aufsichtsrat des Maschinenbaukonzerns GEA Group. Als damals die Anfrage kam, musste sie überlegen. „Nicht, weil ich mich geziert hätte, sondern um zu klären, ob ich die Ressourcen dafür frei machen konnte.“ Allein die Koordination mit dem Europäischen Betriebsrat macht im Monat mindestens einen Arbeitstag aus. Und während viele Aufsichtsräte viermal im Jahr tagen, trifft er sich bei GEA acht- bis zehnmal im Jahr.

„Im Aufsichtsrat bin ich die einzige Frau unter 50 Jahren und die einzige Ostdeutsche“, sagt Böhning. Auf der Anteilseignerseite sitzen Menschen, denen sie sonst kaum begegnet wäre – eine Art Clash der Generationen und Kulturen. „Alles Kapitalisten“, sagt sie ein bisschen amüsiert. Die Kommunikation und der Umgang seien dennoch sehr wertschätzend. „Doch ich habe schnell gemerkt, dass ich viele der Codes nicht kannte.“

Als Teil der Beschäftigtenbank im Aufsichtsrat hat sie ein Augenmerk auf die Interessen der Belegschaft. Besonders liegen ihr die GEA-Standorte im Osten Deutschlands am Herzen, zum Beispiel in Prenzlau und Schkopau. Auch als Gewerkschafterin setzt Böhning sich, im Zusammenspiel mit den Geschäftsstellen vor Ort, für mehr Mitbestimmung und Tarifbindung in ostdeutschen Betrieben ein – Themen, bei denen es im Osten noch immer Nachholbedarf gibt.

Böhning hatte das Glück, dass ihre Familie ohne große Brüche durch die Nachwendezeit kam: Ihr Vater kam aus dem Tagebau und fand direkt in der Renaturierung der Abbaugruben Arbeit, ihre Mutter wurde als Lehrerin weiterbeschäftigt. Doch kennt sie das Unbehagen, in das viele Ostdeutsche mit der Wende hinein sozialisiert wurden. „Ich bin in einer Braunkohleregion aufgewachsen und habe erlebt, wie in der Lausitz alles zugemacht hat“, sagt Böhning. „Wenn man heute mit den Leuten spricht, sagen viele: Es geht ihnen gut, sie haben Jobs, es gibt wieder Sportvereine. Trotzdem sitzt tief in ihnen noch immer das Gefühl, sie seien Deutsche zweiter Klasse.“ 

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen