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Magazin Mitbestimmung

: Endstation für Nokia-Arbeiter

Ausgabe 11/2011

STANDORTWETTBEWERB Der finnische Handy-Konzern will nur drei Jahre nach der Werks­verlagerung von Bochum nach Rumänien das neue Nokia-Werk in Rumänien schließen und weiter nach Asien ziehen. Den rund 2000 Entlassenen hat der Arbeitgeber drei Monatslöhne – rund 1000 Euro – angeboten, er profitiert von einer Lockerung des Arbeitsrechts. Von Silviu Mihai

SILVIU MIHAI ist Osteuropa-Korrespondent/Foto: Dagmar Gester

Razvan Bot bereitet sich auf die Nachtschicht vor. Kurz nach 18 Uhr fahren die Werksbusse im Stadtzentrum ab, pünktlich um 19 Uhr öffnen sich die Eingangstore der Industriehalle, die Arbeiter gehen alle als geschlossene Gruppe hinein. „Westliche Disziplin“, kommentiert der 31-jährige Techniker halb staunend, halb amüsiert. „Meine Aufgabe ist, die Fehler bei den Trägerleiterplatten zu diagnostizieren und zu beheben. Unsere Schicht muss bis morgen um sieben arbeiten. Hier bei Nokia war alles gut organisiert, sehr strikt, vielleicht sogar überorganisiert – bis gar nichts mehr lief“, fügt er ironisch hinzu.

„Die Nachricht kam wie ein Blitzschlag“, erzählt Valentin Ilcas, Vorsitzender von Nokia Metal, einer der Gewerkschaften, die die über 1800 Beschäftigten vertreten. Der finnische Handy-Konzern, der erst 2008 die Produktion von Bochum nach Jucu, in der Nähe von Cluj (Klausenburg), verlagerte, kündigte Ende September an, jetzt auch das Werk in Rumänien zu schließen. Die Arbeit soll nur bis Jahresende weitergehen, danach werden die Mitarbeiter noch drei Monatslöhne erhalten, und dann soll Schluss sein. Die weiteren rund 2500 Beschäftigten diverser Subunternehmen von Nokia, die etwa Catering-, Putz-, Wach- oder Fahrdienste anbieten, werden ihre Löhne höchstwahrscheinlich nur noch bis Dezember erhalten.

Das Unternehmen begründet den Schritt mit der „notwendigen Optimierung der Produktionsprozesse“, die aufgrund der „Nähe zu unseren wichtigsten Zielmärkten“ zukünftig an Standorten in Asien stattfinden sollen. „Das Beispiel Bochum zeigt, dass wir die Grundentscheidung kaum ändern oder verhindern können“, gibt Gewerkschafter Ilcas zu. „Das Kapital profitiert schlicht von seiner Freizügigkeit und geht dahin, wo es günstiger ist“, fährt er resigniert fort.

Dabei sind die Mitarbeiter in dem kleinen siebenbürgischen Dorf alles andere als teuer. Nach mehreren Lohnerhöhungen, die der Konzern in den letzten drei Jahren auf Druck der Arbeitnehmervertreter akzeptieren musste, beträgt der Durchschnittslohn bei Nokia aktuell keine 300 Euro: auch für rumänische Verhältnisse eine niedrige Summe, die knapp unter dem nationalen Durchschnitt liegt. Razvan Bot war trotzdem mit seiner Stelle zufrieden, zumindest am Anfang. „Sie haben nie üppig gezahlt, aber in den ersten zwei Jahren war die Arbeitsmoral einfach klasse. Die Manager kamen meist aus dem Ausland und zeigten Respekt vor unserer Arbeit – was hierzulande nur selten der Fall ist. Es hat echt Spaß gemacht, und ich hatte gehofft, dass es mindestens zehn bis 15 Jahre so weitergeht“, erzählt der junge Mann.

Nokias Standort liegt in einem neu eröffneten Industriepark bei dem alten siebenbürgischen Dorf Jucu, 20 Kilometer von Cluj entfernt. Die Häuser reihen sich die Nationalstraße entlang, kleine Hügel und abgemähte Viehweiden schimmern in der Herbstsonne. Von den 4000 Dorfbewohnern beschäftigen sich die meisten nach wie vor mit der Landwirtschaft, nur wenige hatten die Qualifikationen, die Nokia für den Standort brauchte. „Immerhin bedeutete für uns diese kurze Beziehung eine deutliche Verbesserung der Infrastruktur. Ohne dieses Unternehmen hätten wir nie die Straßen reparieren können“, sagt Bürgermeister Dorel Pojar. „Ich hoffe, dass sich bald ein anderer Investor meldet. Sonst wird unser Haushalt ab 2012 fast um eine Million Euro ärmer, das wäre für uns ein drastischer Verlust“, fügt Pojar hinzu.

Tatsächlich wurde auf Lokalebene viel in Infrastruktur investiert. Viele Projekte erscheinen nun sinnlos. So eröffnete vor einem Jahr die rumänische Eisenbahn einen Bahnhof direkt neben der Industriehalle von Nokia, damit die Mitarbeiter des Unternehmens mit den Regionalzügen fahren können. Doch die Firma hat nie mit der Eisenbahn verhandelt, sondern immer die Werksbusse bevorzugt. Bis heute halten noch keine Züge in Jucu de Jos – einem Bahnhof, den die Behörden in „Jucu Nokia“ umbenennen wollten.

DEPRESSIVE STIMMUNG_ Seit der Nachricht über die Schließung herrscht im Werk eine depressive Stimmung. Die Kontrollen an den Ein- und Ausgangstoren sind jetzt systematisch und rigoros, berichten die Beschäftigten. Der Zugang zum Industriegelände bleibt der Presse versperrt. Aus Angst vermeiden die meisten Mitarbeiter das Gespräch. „Die Werksschließung ist einfach ein Skandal, wir waren alle schockiert, als sie das angekündigt haben. Für viele unserer älteren Mitglieder könnte dies einen Sturz in die Armut bedeuten“, kommentiert Cristian Copil, Vorsitzender der Freien Gewerkschaft Nokia. Der Mann arbeitet selber im Werk, seit der Eröffnung ist er als Techniker für die Verbesserung der Produktionsprozesse in seiner Abteilung verantwortlich. Seine Gewerkschaft vertritt rund 600 Beschäftigte und gehört zum Landesverband CNSLR Fratia, einem der größten in Rumänien.

„Angesichts der schwierigen Situation des Unternehmens haben wir schlechte Nachrichten erwartet, aber nicht die Schließung des Werks. Jeder Beschäftigte hier bringt dem Arbeitgeber rund eine Million Euro Umsatz im Jahr und kostet weniger als 10.000 Euro“, empört sich Copil. Tatsächlich machen die Lohnkosten in Jucu inklusive Steuern und Sozialabgaben nur ein Prozent des Umsatzes aus: ein Verhältnis, das sich auch in Asien kaum unterbieten lässt, so sagen Marktexperten. Der Hauptgrund für die Entscheidung von Nokia liegt also nicht darin, dass rumänische Arbeiter zu teuer geworden seien.

Vielmehr waren es die unternehmerische Strategie und insbesondere die Fehleinschätzung der zukünftigen Marktentwicklungen, die eine Schrumpfung des globalen Marktanteils von Nokia verursachten. Die Investition in das Werk von Jucu, die laut Angaben des Konzerns 60 Millionen Euro betrug, hat sich trotzdem innerhalb von nur drei Jahren amortisiert. „Weil sie nicht in der Lage sind, gescheite Smartphones zu produzieren, die mit dem iPhone von Apple oder dem Galaxy von Samsung konkurrieren können, setzen sie seit einem Jahr auf Kostensenkung“, kommentiert ironisch der 23-jährige Facharbeiter Laurentiu (Name geändert), der seit 2009 Montageanlagen prüft. Der junge Mann, der nach seinem Schulabschluss eine Ausbildung im Bereich IT absolviert hat, findet Nokias Entscheidung „nicht gerade überraschend, dafür aber ärgerlich“. „Wenn die Billighandys, die wir hier produzieren, nur noch in Asien und Afrika verkauft werden können und wenn die Bauteile sowieso aus Asien importiert werden, dann ist es nur logisch, alles nach Asien zu verlagern. Aber daran sind wir ja nicht schuld“, sagt Laurentiu schulterzuckend.

Seit Anfang Oktober verhandeln beide Gewerkschaften mit den Unternehmensvertretern in der Hoffnung auf angemessene Kündigungsbedingungen. „Drei Monatslöhne Abfindung ist ein schlechter Witz“, sagt Bogdan Hossu, Vorsitzender des Gewerkschaftsverbandes Cartel Alfa, jener Schirmorganisation auf Nationalebene, bei der Nokia Metal Mitglied ist. „Unsere deutschen Kollegen in Bochum haben nach Verhandlungen eine anständige Entschädigung bekommen, dies war nur möglich, weil sie mit der Unterstützung der Regierung rechnen konnten, was bei uns nicht der Fall ist“, erklärt Hossu.

KAHLSCHLAG GEGEN SOZIALRECHTE_ Tatsächlich stehen die Chancen der Arbeitnehmer schlecht, denn im Frühjahr hat die Mitte-rechts-Koalition von Ministerpräsident Emil Boc das rumänische Arbeitsrecht an entscheidenden Stellen gelockert, um das von der Wirtschaftskrise schwer getroffene Land attraktiver für ausländische Investoren zu machen. Die Verpflichtung des Arbeitgebers, bei Werksschließungen Verhandlungen mit den Gewerkschaften aufzunehmen, ist in der neuen Version des Gesetzeswerks nicht mehr enthalten. „Der Sozialstaat ist gescheitert, und zwar nicht nur in Rumänien, sondern auch in Westeuropa, obwohl viele Politiker dort dies noch nicht einsehen“, erklärte unlängst Staatspräsident Traian Basescu, als er in einem Interview den Kurs seiner Regierung verteidigte. „Unter dem Vorwand von notwendigen Reformen und Sparmaßnahmen ist der Regierung ein Kahlschlag gegen die Sozialrechte gelungen“, hält Victor Ponta, Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei PSD dagegen.

Facharbeiter Razvan Bot sieht das genauso. Der junge Mann wohnt in Cluj unweit des Zentrums in einer Zweizimmerwohnung mit seiner Frau Melinda und seiner zweijährigen Tochter Adreea. Er liebt schnelle Autos und Computerspiele, vor einigen Jahren hat er eine Zeit lang als Fernfahrer gearbeitet. Heute fährt er ins Nokia-Werk mit den Werksbussen, „weil das kostenlos ist“, doch in seiner Freizeit spielt er gerne den Formel-1-Pilot – virtuell, an seinem kleinen Schreibtisch. „Ich vertraue den Gewerkschaften, sie werden schon ihre Arbeit machen, auch wenn es gerade schwierig ist“, sagt er und schaut zuversichtlich durch seine Brille.

Bot ist kein geschlagener Mann, er lässt sich nicht einschüchtern. Er hat den bitteren Humor und den Optimismus vieler Rumänen, die schwierigere Zeiten erlebt haben. „Das wird mir jetzt kein böses Blut machen, mein nächstes Handy wird wieder ein Nokia sein“, sagt er und lacht. „Wichtig wäre, dass wir gute Arbeitszeugnisse und Belege über unsere Qualifizierungen bekommen“, sagt der junge Facharbeiter, „danach werde ich natürlich eine andere Stelle suchen.“

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