Quelle: Thomas Range
Magazin MitbestimmungGewerkschaften: „Eine große Ehre“
Christiane Benner wird voraussichtlich die erste Frau an der Spitze der IG Metall. Mit uns sprach sie über das erste eigene Geld, ihr Böckler-Stipendium und Ideen für die Zukunft. Das Gespräch führten Fabienne Melzer und Kay Meiners
Ende der 1980er Jahre waren Sie Jugendvertreterin in Darmstadt. Als Sie damals vor der Zentrale der IG Metall standen, hatten Sie schon den Gedanken, mal ganz an die Spitze zu kommen?
Ich hatte zu der Zeit gerade die Jugendarbeit der IG Metall für mich entdeckt. Das war aufregend genug. Außerdem war der Betrieb mein Aktionsfeld. Beruflich und politisch. Ich erinnere mich gerne an den Paternoster, den es im alten Gebäude gab. Der ist leider mit dem Abriss und Neubau unserer Zentrale verschwunden.
Sind Sie jetzt, kurz vor der Wahl, nervös, oder ist alles Routine?
Ich bin vor allem sehr glücklich über meine Nominierung, ich empfinde das als eine große Ehre. Und ich freue mich auf unseren Gewerkschaftstag. Ich empfinde es als großen Vertrauensbeweis, nominiert zu sein. Aber mich bewegen auch die aktuellen Umfragewerte von rechten Parteien. Sie zeigen, wie schwer es ist, unsere Gesellschaft zusammenzuhalten. Erst kürzlich habe ich mit unserer IG-Metall-Jugend darüber diskutiert. Sie hat eine klare Haltung gegen rechts und ist auch an vielen Stellen aktiv: in den Betrieben, an den Unis, im Internet. Das macht mich zuversichtlich.
Wie sind Sie zur Gewerkschaft gekommen?
Ein Betriebsratsmitglied hat mich geworben. Ich erinnere mich gut daran. Ich war sehr offen für die Gewerkschaft. Wir hatten in der Schule die 35-Stunden-Woche behandelt. Da gab es diese Fernsehbeiträge über Roboter, die den Menschen die Arbeit wegnehmen. Deshalb war es für mich einfach logisch, in die IG Metall einzutreten, als ich meine Ausbildung begann. Ich wurde dann zur Jugend- und Auszubildendenvertreterin und zur Betriebsrätin gewählt. Ich durfte an der Neuordnung der kaufmännischen Berufe mitarbeiten. Die Expertise der IG Metall hat mich überzeugt, aber auch die vielen interessanten und engagierten Menschen, der Gemeinschaftssinn und die gelebte Solidarität – all das hat mich als junge Frau sehr begeistert.
In welchen Verhältnissen sind Sie aufgewachsen?
Ich bin im hessischen Bensheim groß geworden und habe eine jüngere Schwester. Unsere Mutter war alleinerziehend. Finanziell war es eng. Ich habe den Wert von Arbeit und einem eigenen Einkommen sehr früh schätzen gelernt. Meinen ersten Job hatte ich mit 15. Das gebe ich noch heute allen jungen Frauen in meinem Umfeld mit, weil es mich so sehr geprägt hat: Sorgt für eure finanzielle Unabhängigkeit.
War Ihnen Gewerkschaft in die Wiege gelegt, oder war das Opposition zum Elternhaus?
Weder noch. Ich habe einfach mein Ding gemacht. Ich war Schulsprecherin am Gymnasium und habe mich gegen die Oberstufenreform engagiert. Gewerkschaft war zu Hause einfach kein Thema. Ermutigung für mein politisches Engagement habe ich nicht bekommen, aber auch keine Gegenwehr.
Sie haben nach dem Abitur erst eine Ausbildung gemacht und dann studiert. Wie selbstverständlich – oder eben nicht – war es für Sie, zu studieren?
Ich wollte nach dem Abitur was Praktisches machen. Ein Studium konnte ich mir schlicht nicht leisten. Als ich mich dann nach einigen Jahren im Betrieb doch noch dafür entschieden habe, war das nur mit einem Stipendium der Hans-Böckler-Stiftung möglich. Also das war alles andere als selbstverständlich.
Verändert eine Frau an der Spitze – abgesehen vom gesellschaftspolitischen Signal – die Führungskultur einer Gewerkschaft, bzw. wollen Sie die Führungskultur ändern?
Wir alle im Fünferteam, das jetzt nominiert ist, haben uns vorgenommen, die Führungskultur zu verändern, wenn wir gewählt werden. Wir wollen mehr Kooperation und echte Teamarbeit. Viele Kolleginnen und Kollegen und viele Führungskräfte in der IG Metall arbeiten schon so und wünschen sich das auch von ihrer Spitze. Diesen Ball werden wir aufnehmen: weniger Hierarchie, mehr Vertrauen. Das ist auch notwendig, um die vielen Herausforderungen zu meistern, die vor uns liegen.
Gleichstellung, gleiche Arbeit für gleiches Geld, eine gesunde Umgebung für Frauen und Familien zu schaffen, das ist eines meiner absoluten Herzensthemen.“
Was können Sie besonders gut, was eher schlecht?
Ich lasse mich gerne auf Menschen und neue Situationen ein. Ich kann gut zuhören, viele Dinge auf einmal wahrnehmen und sie mir merken. Manche Leute sind irritiert, wenn ich sie auf Dinge anspreche, die sie vor Monaten oder sogar Jahren mal geäußert haben. Oder freundlich an Absprachen erinnere. Meine Schwächen sind, dass ich ungeduldig bin, mich sehr konzentrieren muss, um mich kurz zu fassen. An meiner Fokussierung muss ich arbeiten.
Worum ging es im ersten Arbeitskonflikt, von dem Sie persönlich betroffen waren?
Als Betriebsrätin beim Maschinenbauer Schenck in Darmstadt habe ich auf der Betriebsversammlung das Wort ergriffen. Ich habe vorgerechnet, wie viel Geld die Firma den Vertriebskollegen bei den Reisekosten vorenthalten hat. Tarifwidrig! Das hat meinem Abteilungsleiter gar nicht gepasst. Er wollte meinen Rausschmiss. Da bin ich nur mit der Solidarität, dem Rückhalt der Kolleginnen und Kollegen gut durchgekommen.
In Ihrer bisherigen Laufbahn haben Sie sich vor allem um Gruppen gekümmert, die für Gewerkschaften schwer erreichbar sind: Höherqualifizierte, IT-ler und auch Frauen. Nehmen Sie sich gerne die schwierigsten Aufgaben vor?
Nein, das hat vielmehr damit zu tun, dass ich die IG Metall als eine Gewerkschaft für alle begreife und diese Überzeugung in meiner Arbeit auch immer gelebt habe. Die Arbeit in den Büros und die in der Produktion greifen auch immer mehr ineinander, nicht zuletzt durch die Digitalisierung. Und dass ich Frauen als wichtige Zielgruppe der IG Metall begreife, hat natürlich auch etwas mit meiner eigenen Geschichte zu tun.
Was haben Sie aus der Arbeit mit und für diese Zielgruppen gelernt?
Dass uns Vielfalt stark macht. Und dass wir viele großartige Menschen für unsere Organisation begeistern und gewinnen können.
Sie wollten mal eine Youtube-Gewerkschaft gründen. Was ist daraus geworden?
Nicht alles entwickelt sich, wie geplant. Wir leisten weiter Hilfe bei Problemen mit der Plattform. Aber die sozialen Medien sind ein sehr dynamisches Umfeld. Tiktok und Instagram sind heute genauso wichtig wie Youtube. Das hat die Sache nicht einfacher gemacht. Menschen zu organisieren, die als Kreative oder Soloselbstständige im Internet arbeiten, ist immer noch Pionierarbeit, Trial und Error sind da normal. Wichtig ist, dass wir dranbleiben.
Was haben Sie erreicht?
Zusammen mit acht großen Plattformen hat die IG Metall einen Code of Conduct für bezahltes Crowdworking und eine Ombudsstelle dafür eingerichtet, die inzwischen um die 70 Fälle pro Jahr schlichtet. Wir haben ein wegweisendes BAG-Urteil erwirkt und zusammen mit anderen Gewerkschaften, dem DGB und der Wissenschaft erfolgreich dafür gekämpft, dass Plattformarbeit gesetzlich reguliert wird. Eine EU-Richtlinie dazu befindet sich aktuell im Gesetzgebungsverfahren. Und was die IG Metall bei all dem gelernt hat, ist sehr wertvoll.
Die IG Metall ist eine Industriegewerkschaft. Kümmert sich die Politik ausreichend um die Industrie?
Es geht gerade ans Eingemachte. Für energieintensive Unternehmen sind die Energiekosten existenzbedrohend. Die Grundstoffindustrie, die davon stark betroffen ist, ist von zentraler Bedeutung für den Industriestandort Deutschland. Deshalb fordern wir einen Brückenstrompreis, bis genug grüner Strom zu wettbewerbsfähigen Preisen zur Verfügung steht, aber auch Entlastungen für die Bürgerinnen und Bürger. Wenn es sein muss, gehen wir dafür auch auf die Straße.
Der Autoindustrie, in der viele Mitglieder der IG Metall arbeiten, geht es nicht gut. Wie sehen Sie die Zukunft?
Entgegen ihrer häufigen Klagen verdienen einige Autohersteller gut, teilweise sehr gut. Leider ist das vor allem mit Luxusmodellen, nicht mit erschwinglichen Kleinwagen so. Mit diesen Gewinnen können auch Investitionen getätigt werden, denn damit die Autoindustrie und vor allem ihre Beschäftigten eine sichere und gute Zukunft haben, müssen wir die Transformation der Autoindustrie schnell, gut und nachhaltig stemmen. Dazu müssen auch die Arbeitgeber ihren Beitrag leisten. Am Umstieg auf die Elektromobilität führt klimapolitisch kein Weg vorbei.
Gewerkschaft: Tarifpartei oder eine politische Kraft für Sie?
Auf jeden Fall beides.
Sie vertreten auch in Aufsichtsräten die Interessen der Beschäftigten. Reichen die Rechte in der Unternehmensmitbestimmung nach Ihrer Erfahrung aus?
Auf keinen Fall! Im Konflikt um Continental in Aachen haben wir das wieder einmal sehr schmerzhaft erlebt. Trotz vieler Aktionen konnten wir die Schließung des Werks nicht verhindern, weil sie mit dem Doppelstimmrecht des Aufsichtsratsvorsitzenden durchgedrückt werden konnte. Das hat mich bestärkt, dass wir eine umfassende Reform der Mitbestimmung brauchen. Unser Reformvorschlag liegt seit einiger Zeit vor, jetzt muss sich die Politik bewegen. Im Kern geht es um Mitbestimmung in strategischen Fragen. Wir brauchen sie gerade jetzt, wo es an vielen Stellen darum geht, die Zukunft der Industriearbeitsplätze zu sichern.
Stimmt es, dass Sie auf einem Konzert von Patti Smith waren, der „Godmother of Punk“?
Ich habe Patti Smith dreimal live erlebt.
Was gefällt Ihnen an Patti Smith?
Sie hat ein unglaubliches Charisma. Ich habe ja vorhin erzählt, wie wichtig mir Unabhängigkeit ist. Das verkörpert sie für mich. Und ich liebe ihre Musik, ihre Texte.
Wie können Sie am besten abschalten?
In erster Linie beim Sport. Ich jogge, wandere, mache Krafttraining. Manchmal hilft auch ein Hollywood-Blockbuster. Oder ein so gutes Buch, an dessen Ende ich bedauere, dass die Geschichte nicht weitergeht.