Finanzpolitik: „Eine große Chance für unser Land“
Mit der Lockerung der Schuldenbremse geht die Politik den richtigen Weg. Doch die Art und Weise hinterlässt einen Beigeschmack. Ein Kommentar von Sebastian Dullien.
Am Ende ging alles rasend schnell: Weniger als einen Monat nach der Bundestagswahl wurde das Grundgesetz geändert und die Schuldenbremse, die seit 2011 Bund und Ländern verbindliche Vorgaben zur Reduzierung des Haushaltsdefizits macht, massiv gelockert. In Rekordschnelle stimmten Bundestag und Bundesrat den Änderungen zu, die künftig alle Verteidigungsausgaben oberhalb von einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von der Schuldenbremse ausnehmen, um den Bundesländern einen Verschuldungsspielraum von 0,35 Prozent des BIP einzuräumen. Außerdem wurde ein kreditfinanziertes „Sondervermögen Infrastruktur“ eingerichtet, mit dem über die kommenden zwölf Jahre 500 Milliarden Euro in die Infrastruktur investiert werden.
Die zusätzlichen Finanzmittel sind eine notwendige Voraussetzung für bessere Infrastruktur und damit bessere Standortbedingungen, aber es gibt keinen Automatismus, der von mehr Geld zu funktionierenden Bahnen, sanierten Brücken und effizienten Energienetzen führt. Es kommt jetzt darauf an, das Geld möglichst nutzbringend auszugeben und in die wichtigsten, vordringlichsten Projekte zu stecken. Dafür müssen unter anderem Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigt und verschlankt werden. Auch muss darauf geachtet werden, dass bei der Umsetzung Gute Arbeit und Tarifbindung gesichert und gefördert werden.
Etliche Zeitungen kritisierten diese drei Maßnahmen als „Schuldenpaket“. Dabei sind die Änderungen am Grundgesetz eine große Chance für unser Land. Denn mit ihnen wurde die Grundlage dafür gelegt, dass der deutsche Staat in den kommenden zwölf Jahren die öffentlichen Investitionen massiv hochfahren und zugleich die Ausgaben für die Verteidigung erhöhen kann, ohne die Steuern erhöhen zu müssen oder an anderer Stelle im Haushalt zu kürzen. Die Bedeutung dieses Schrittes lässt sich kaum überschätzen, denn die Schuldenbremse war eines der zentralen Wachstumshindernisse der deutschen Wirtschaft.
Obwohl es politischer Konsens geworden war, dass Deutschland eine Grundsanierung und eine Modernisierung der Infrastruktur benötigt und die öffentliche Verschuldung im internationalen Vergleich gering ist, durften sich der Bund und die Länder nicht mehr Geld leihen, um diese Investitionen umzusetzen. Das Ergebnis war ein zunehmender Verfall der öffentlichen Infrastruktur. Einst hatten die Unternehmen Deutschlands Infrastruktur gelobt, doch zuletzt war es auch der Zustand der Straßen, der Schienen sowie der
Kommunikations- und Energienetze, der dazu führte, dass Deutschland in internationalen Standortrankings absackte.
Die Schuldenbremse führte auch dazu, dass die Finanzpolitik die Wirtschaft weiter verunsicherte. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im November 2023, das den zweiten Nachtragshaushalt 2021 der Ampelkoalition für verfassungswidrig erklärte, wurden über Nacht Förderungen etwa für E-Autos gekürzt und hektisch Abgaben erhöht. Seitdem ist die deutsche Wirtschaft nicht mehr gewachsen. Schon die Ankündigung, die Schuldenbremse reformieren zu wollen, hat zu einem Stimmungsumschwung geführt. Aktienindizes wie der DAX und der Euro-Wechselkurs sprangen in die Höhe. Im März legten alle wichtigen Frühindikatoren für die deutsche Wirtschaft zu. Die Konjunkturampel unseres Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) sprang auf Grün. Die Gefahr einer Rezession ist damit erst einmal gebannt. Sowohl das wirtschaftsnahe Institut für Weltwirtschaft aus Kiel wie auch das IMK sehen jetzt für 2026 einen robusten Wirtschaftsaufschwung – dank steigender Investitionen und höherer Rüstungsausgaben.
Doch nicht alles an der Reform ist gut: Die rasche Änderung mit den Mehrheiten des alten Bundestages hinterlässt einen schalen Nachgeschmack. Die schnelle Wandlung des Unionschefs und wahrscheinlich nächsten Bundeskanzlers Friedrich Merz vom knallharten Verteidiger der Schuldenbremse zum Protagonisten einer massiven und raschen Lockerung ist Munition für all jene, die ohnehin glauben, sie würden von den Eliten betrogen und angelogen. Auch die Möglichkeit, Verteidigungsausgaben praktisch unbegrenzt, Investitionsausgaben aber nur zeitlich begrenzt über Kredite zu finanzieren, schafft ein Ungleichgewicht.
Ökonomisch wäre genau das umgekehrte Verhältnis richtig. Das hat mit der Natur schuldenfinanzierter Investitionen zu tun: Investitionen in die Infrastruktur erhöhen den öffentlichen Kapitalstock und damit das künftige Produktionspotenzial und Steuereinnahmen in der Zukunft. Solche Investitionen kann man guten Gewissens auf Kredit finanzieren, weil man künftigen Generationen sowohl den Kapitalstock als auch die Schulden vererbt. Bei Verteidigungsausgaben ist das anders: Sie mögen notwendig sein, erhöhen aber nicht die Einkommen oder Steuereinnahmen der Kinder und Enkel. Diese Ausgaben sollte man deshalb auch nur in Krisenzeiten über Kredite bezahlen und sonst durch höhere Staatseinnahmen.
Ideal dafür wäre eine Vermögensabgabe, denn es ist nur gerecht, dass die Leistungsfähigeren auch einen größeren Anteil der Last notwendiger Sicherheit tragen.
Dennoch: Die Aussichten für die deutsche Wirtschaft sind heute deutlich besser als unmittelbar nach der Bundestagswahl.
SEBASTIAN DULLIEN, Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK)