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Magazin Mitbestimmung

Interview: "Ein ungeheuerlicher Vorgang"

Ausgabe 03/2015

Die Deutsche Post will ihr Geschäftsergebnis steigern und das Geld bei den Beschäftigten einkassieren, sagt die stellvertretende ver.di-Vorsitzende Andrea Kocsis.

Der Konzern Post/DHL ist aus einem gültigen Tarifvertrag ausgestiegen, der Fremdvergabe für die Tätigkeiten der Brief- und Paketzusteller ausschloss. Kaum zu glauben, dass der stark mitbestimmte „gelbe Riese“ so etwas im Alleingang macht! 

Dieser Vertragsbruch durch ein DAX-30-Unternehmen ist in der Tat ein ungeheuerlicher Vorgang. Das ist der Einstieg in den Ausstieg aus der Sozialpartnerschaft. Denn wir haben mit dem Unternehmen einen gültigen Tarifvertrag vereinbart, der Fremdvergabe ausschließt – samt einer Revisionsklausel. Demnach sollten „bei einem signifikanten Absinken des wirtschaftlichen Ergebnisses Gespräche zur gemeinsamen Beurteilung der Situation stattfinden und geeignete Gegenmaßnahmen ergriffen werden“. Dieser Fall ist bislang nicht eingetreten. Umso unerträglicher ist für uns, dass die Post mit diesem Manöver unseren Tarifvertrag zum Ausschluss der Fremdvergabe und den Entgelttarifvertrag aushebeln will. 

Was ist der Hintergrund? Geht es dem Marktführer Deutsche Post AG im boomenden Paketgeschäft so schlecht?

Die Deutsche Post/DHL steht wirtschaftlich prächtig da. Dem Vorstand geht es ausschließlich darum, Kapitalmarktinteressen zu befriedigen. Der Konzern hatte im Frühjahr 2014 eine auf sieben Jahre ausgelegte Wachstumsprognose ausgegeben, nach der das Geschäftsergebnis in diesem Zeitraum von 2,8 auf fünf Milliarden Euro steigen soll. Das Geld soll jetzt bei den Beschäftigten einkassiert werden. 

Das Unternehmen hat angekündigt, mit den Billigtöchtern 10 000 neue Jobs zu schaffen. Gleichzeitig werden die befristet Beschäftigten dorthin Verschoben. Was ist das für eine Strategie?

Das ist ein sozialpolitischer Skandal ersten Ranges. Befristet Beschäftigte werden vor die Wahl gestellt: Entweder sie verlieren ihre Arbeit mit dem Auslaufen ihres befristeten Vertrages bei der Deutschen Post AG. Oder sie wechseln zu schlechteren Arbeitsbedingungen in ein Arbeitsverhältnis bei einer der neuen Regionalgesellschaften. Der Paketmarkt wächst, und auch die Deutsche Post AG hat damit begonnen, Beschäftigung aufzubauen. Nun soll dieses Wachstum in eine Billigtochter verlegt werden. Es ändern sich weder Arbeitsplatz noch Aufgabe. Nur das Einkommen und die Arbeitsbedingungen. Das ist Tarif- und Mitbestimmungsflucht par excellence!

Der „gelbe Riese“ knüpft sein flächendeckendes Netz der Deliver-GmbHs angeblich unter dem Konkurrenzdruck der Wettbewerber. Was meint ver.di? Gibt es solche wirtschaftlichen Zwänge?

Die Deutsche Post AG ist nicht nur im Briefbereich unangefochtener Marktführer, sie ist es mit einem Anteil von 46 Prozent auch in dem wettbewerbsintensiven Paketmarkt. Die Post begründet ihre Flucht aus Haustarifverträgen unter anderem damit, dass sich ver.di Verhandlungen über ein Absenken der Löhne verweigert habe. Das ist nicht richtig. Wir haben Gespräche mit dem Vorstand geführt und darauf verwiesen, dass wir Verträge mit festen Laufzeiten haben und wirtschaftliche Gründe für eine Revision nicht vorliegen. Was da passiert ist – klassische Umverteilung von unten nach oben. 

Was wird die gewerkschaftliche Antwort sein?

Es kann nicht nur eine Antwort geben. Wir sind dabei, auf juristischer Ebene eine Klageschrift vorzubereiten. Und wir werden uns gemeinsam mit den Beschäftigten zur Wehr setzen: Sie haben für den Schutz vor Fremdvergabe bezahlt – mit dem Verzicht auf Kurzpausen und freie Tage. Nun ist der Schutz weg, das können wir nicht hinnehmen. Von daher hat unsere Tarifkommission die tarifvertraglichen Bestimmungen zur Arbeitszeit aus dem Manteltarifvertrag zum 31. März 2015 gekündigt und wir haben den Vorstand zu Verhandlungen aufgefordert. 

Kommt auch ein Streik infrage? Brief- und Postzusteller verfügen ja durchaus über eine Streikmächtigkeit.

Die strittigen Fragen werden wir am Verhandlungstisch lösen. Da sind wir uns sehr sicher. Streik ist immer die Ultima Ratio. Aber wir sind eine starke Gewerkschaft, und die ver.di-Mitglieder bei der Deutschen Post AG sind bereit, für ihre Interessen zu kämpfen. 

Sie sind nicht nur Tarifpartei, sondern als stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende auch Teil der Unternehmensspitze. Hat dieser Affront Auswirkungen auf die Sozialpartnerschaft in der Deutschen Post AG?

Der Vertragsbruch – das ist der Kern dieses Alleingangs – ist für uns in der Tat gravierend, und wird nicht ohne Folgen für die künftige Konstruktion unserer Tarif- und Schutzverträge sein. Das haben wir auch über die Arbeit im Aufsichtsrat verdeutlicht. Wir verhandeln mit dem Vorstand auf Augenhöhe, das ist unser Anspruch und die Erwartung unserer Mitglieder. Deshalb haben wir uns mit der Kündigung der tarifvertraglichen Regelungen zur Arbeitszeit handlungsfähig gemacht. Tarif- und Mitbestimmungsflucht werden von uns nicht toleriert und bedürfen politischer, aber noch viel mehr tarifpolitischer Antworten.

Post richtet Billigtöchter ein

Im Anschluss an eine turbulente Betriebsversammlung demonstrierten 1100 Brief- und Paketzusteller Ende Februar bei Frankfurt/Main gegen weitreichende Outsourcing-Pläne ihres Arbeitgebers, der Deutschen Post AG: Der „gelbe Riese“ will einen Teil der bei ihm befristet Beschäftigten aus dem Haustarifvertrag ausgliedern und zu weit schlechterer Bezahlung in Billigtöchter abschieben. Im Alleingang hatte das Management Anfang Januar bundesweit „DHL Delivery GmbHs“ in das Handelsregister eintragen lassen, die parallel zu den existierenden 49 Briefniederlassungen gegründet wurden – von „DHL Delivery Ausburg GmbH“ bis „DHL Delivery Zwickau GmbH“. 

Geschäftszweck der Delivery-Töchter („deliver“ heißt ausliefern) ist „die Erbringung logistischer Dienstleistungen, insbesondere Beförderung und Zustellung von Paketen“, also das Gleiche, was die Haustarifbeschäftigten auch machen. Pikant: Geschäftsführer der jeweiligen Billigtochter sollen die örtlichen Niederlassungsleiter/-innen sein. 

Die Gewerkschaft ver.di ist alarmiert. „Wir werden diesen einseitigen Vertragsbruch und die damit einhergehende Tarif- und Mitbestimmungsflucht nicht hinnehmen“, sagt ver.di-Vize Andrea Kocsis, die für den Postbereich zuständig und auch stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende der Deutschen Post AG ist. 

Denn damit verstößt die Deutsche Post AG gegen den mit ver.di abgeschlossenen Tarifvertrag zum Schutz vor Fremdvergabe von Zustellaufträgen an konzerninterne oder externe Unternehmen. Die Anti-Outsourcing-Vereinbarung von Ende 2011 gilt für die gesamten Briefzustellungen und für das Gros der Paketzustellung und hat eine Laufzeit bis Ende 2015. „Bei den Paketzustellbezirken haben wir einen Stopp vereinbart – also nicht über die 990 Bezirke hinauszugehen, die bereits vertraglich fremdvergeben sind“, hatte Andrea Kocsis seinerzeit im Interview mit der „Mitbestimmung“ den Tarifvertrag erläutert. 

Mit der Gründung der Billigtöchter geht die Deutsche Post AG dazu über, ihren befristet Beschäftigten ein Arbeitsplatzangebot bei den „DHL Delivery GmbHs“ zu machen, berichtet ver.di. Gleichzeitig wird den Mitarbeitern mitgeteilt, dass es keine Verlängerung ihres Vertrages bei der Deutschen Post AG geben wird. Sie haben somit die Wahl zwischen Arbeitslosigkeit oder der Zustimmung zu den neuen Arbeitsbedingungen außerhalb des Haustarifvertrags, was 20 bis 30 Prozent weniger Lohn ausmachen kann. Außerdem gibt es bei der GmbH keine betriebliche Altersvorsorge. Bei weiterhin gleicher Arbeit.

Deshalb hat nun der Fachbereich Postdienste, Speditionen und Logistik in ver.di entsprechend reagiert. Die Konzerntarifkommission hat die tarifvertraglichen Bestimmungen zur Arbeitszeit bei der Deutschen Post AG gekündigt. Die Friedenspflicht endet am 1. April um 0 Uhr. Schon jetzt blieben durch die Betriebsversammlung von Limburg bis in den Odenwald und in den Städten Wiesbaden, Darmstadt und in Frankfurt-Höchst viele Briefe, Pakete und Päckchen liegen.

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