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Magazin Mitbestimmung

Die Fragen stellte CORNELIA GIRNDT: Ein guter Tag für die Mitbestimmung

Ausgabe 05/2017

Interview Die deutsche Mitbestimmung im Aufsichtsrat ist mit EU-Recht vereinbar, sagt Generalanwalt Henrik Saugmandsgaard Øe, der am EuGH die Klage eines Aktionärs der TUI AG bearbeitet. Sein Schlussantrag bereitet die Entscheidung der EuGH-Richter vor, die im Juni erwartet wird. Wir fragten dazu Norbert Kluge, Leiter der Abteilung Mitbestimmungsförderung in der Hans-Böckler-Stiftung.

STATEMENT DES EUGH-GENERALANWALTES

„ […] Ich würde die deutsche Mitbestimmungsregelung nicht ohne Weiteres als Bestandteil der nationalen Identität […] einordnen. In meinen Augen besteht aber kein Zweifel daran, dass die Regelung ein wesentlicher Bestandteil des Arbeitsmarktes und – allgemeiner – der deutschen Sozialordnung ist.“

EuGH-Generalanwalt Saugmandsgaard Øe in seinem Schlussantrag zum TUI-Fall vom 4. Mai 2017, laut Pressemeldung

STATEMENT DES DGB-VORSITZENDEN

„Ich begrüße die Position des Generalanwalts. Seine Schlussanträge bekräftigen die gewerkschaftliche Auffassung, dass die Unternehmensmitbestimmung mit guten juristischen Argumenten als unionsrechtskonform zu bewerten ist. Auch die Position der EU-Kommission findet wichtige Unterstützung. Diese hatte im Januar dieses Jahres erklärt, dass die Unternehmensmitbestimmung für sie ein „wichtiges politisches Ziel“ sei. Dennoch dürfen wir uns nicht zurücklehnen, wir werden und müssen aufmerksam bleiben und immer wieder verdeutlichen, welchen immensen Wert die Mitbestimmung für die deutsche Sozialordnung hat. Hohe Aufmerksamkeit müssen wir deswegen auch den Plänen der EU-Kommission beim europäischen Gesellschaftsrecht widmen, die ebenfalls eine Bedrohung der Mitbestimmung enthalten.“

Reiner Hoffmann, DGB- und Vorstandsvorsitzender der Hans-Böckler-Stiftung zum Antrag des Generalanwaltes am EuGH

Die Fragen stellte CORNELIA GIRNDT

Ist der 4. Mai ein guter Tag für das Recht der Arbeitnehmer in Deutschland, im Aufsichtsrat mitbestimmen zu können – etwa über Investitionen, Standortverlagerungen oder Fusionen?

Am 4.Mai begründete der Generalanwalt Henrik Saugmandsgaard Øe im TUI-Fall am EuGH seine Schlussanträge. Er sagt, das deutsche Mitbestimmungsgesetz sei mit dem Recht der Europäischen Union vereinbar. Der Generalanwalt sieht keine Diskriminierung ausländischer Arbeitnehmer und auch keine Einschränkung der Freizügigkeit. Folgen die EuGH-Richter diesem Plädoyer, so wird der 4. Mai als ein guter Tag für die Arbeitnehmer in Deutschland und in Europa in die Geschichte eingehen.

Können die deutschen Arbeitnehmer damit rechnen, dass ihre Mitbestimmungsrechte im Aufsichtsrat nach dem 1976er-Gesetz nun Bestand haben und nicht vom Europarecht beschränkt oder gar hinweggefegt werden?

Immer vorausgesetzt, die Richter folgen dem Generalanwalt, können Arbeitnehmer erleichtert durchatmen – die im Aufsichtsrat der TUI AG, aber auch in allen anderen Aufsichtsräten mit ausländischen Tochterfirmen. Sie können sicher sein, dass ihnen die Legitimation als gewählte Arbeitnehmervertreter im mitbestimmten Aufsichtsrat mit Verweis auf das Freizügigkeitsrecht von Arbeitnehmern in der EU nicht abgesprochen wird. Anders als die Arbeitgeberseite samt ihr zugeneigter Rechtsexperten gern ins Gespräch bringen, muss man die in Deutschland gesetzlich garantierte Mitbestimmung nicht zum Gegenstand von Verhandlungen machen, um in Europa anschlussfähig zu werden.

Was waren die entscheidenden Punkte bei der Frage: Ist die Aufsichtsratsmitbestimmung auf der Basis des 1976 verabschiedeten Mitbestimmungsgesetzes europarechtskonform oder nicht?

Der Antragsteller Konrad Erzberger, der einige TUI-Aktien hält, behauptet, dass der Aufsichtsrat der mitbestimmten TUI AG falsch zusammengesetzt ist. Er sieht im EU-Ausland tätige Konzernbeschäftigte durch das deutsche Mitbestimmungsgesetz diskriminiert, weil sie weder an Wahlen zum Aufsichtsrat der TUI AG teilnehmen noch sich in diesen wählen lassen können. Hier geht es also um ein Diskrimierungsverbot.

Zum zweiten sieht er die Freizügigkeit der Arbeitnehmer eingeschränkt. Sie könnten sich, führt der Kläger an, daran gehindert fühlen, im selben Unternehmen in einem anderen EU-Land eine Beschäftigung aufzunehmen, weil sie dabei ihr Mitbestimmungsrecht in Deutschland verlieren würden. Denn das gilt eben nur im nationalen Rahmen.

Was hat man davon zu halten?

Hier sehen wir einen allzu durchsichtigen Versuch, mit juristischer Spitzfindigkeit die deutsche Unternehmensverfassung großer mitbestimmter Unternehmen auszuhebeln. Interessanterweise war es der Vertreter des Großherzogtums Luxemburg, der in der öffentlichen Anhörung zum TUI-Fall beim EuGH Ende Januar deutlich machte, dass es dem Kleinaktionär und Antragsteller um die Abschaffung der Mitbestimmung geht, und nicht um die Europäisierung. Das kommt auch in einem Schriftsatz zum Verfahren klar zum Ausdruck: Die Anteilseignerseite solle künftig allein entscheiden, wer im Aufsichtsrat Sitz und Stimme hat, heißt es da.

Wie haben sich denn andere Ländervertreter bei der Anhörung am EuGH positioniert?

Bemerkenswert ist: Dieses Verfahren am EuGH interessiert nicht nur die deutsche Bundesregierung – die ja Gesetzgeber des Mitbestimmungsgesetzes ist. Vielmehr nutzten die Regierungen von Frankreich, den Niederlanden, Österreich und Luxemburg – sowie die Vertretung der EFTA-Mitgliedsstaaten Island, Liechtenstein und Norwegen – die Gelegenheit, den beteiligten EuGH-Richtern klarzumachen: Es gibt durchaus auf nationaler Ebene Sachverhalte von allgemeinem öffentlichen Interesse, die eine Einschränkung europäischer Grundfreiheiten begründen könnten. Darauf hat der Generalanwalt in seinen Begründungen erkennbar Bezug genommen.

In der Tat bescheinigt der aus Dänemark stammende Generalanwalt Saugmandsgaard Øe der Aufsichtsratsmitbestimmung, dass sie aus Gründen des öffentlichen Interesses nicht anzutasten sei. Selbst für den Fall, dass jemand der Ansicht ist, dass sie doch mit Europarecht kollidiere. Da sagen EU-Kenner: Hört, hört!

Der Generalanwalt sieht keine Einschränkung der europäischen Freizügigkeit. Zumal beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts kein EU-Land verpflichtet ist, Arbeitnehmern, die umziehen, um etwa bei einer Tochtergesellschaft zu arbeiten, die gleichen Mitwirkungsrechte einzuräumen, wie sie sie im Inland hatten.

Der Generalanwalt geht aber noch weiter: Selbst wenn das Gericht zum Schluss kommen sollte, dass die Mitbestimmung die Freizügigkeit einschränkt, stellt er fest: Die Mitbestimmung ist „ein wesentlicher Bestandteil des deutschen Arbeitsmarktes und – allgemeiner – der deutschen Sozialordnung“. Damit sei auch eine Einschränkung der europäische Arbeitnehmerfreizügigkeit zu rechtfertigen. Hier könnte womöglich der EuGH Rechtsgeschichte in Europa schreiben. Man darf gespannt sein, ob die Richter diesem Pfad des Generalanwalts folgen.

Alles gut? Oder was bleibt noch zu tun, um die Mitbestimmung zukunftsfest zu machen?

Folgt der EuGH dem Schlussantrag des Generalanwalts, so verschwindet erst einmal wieder der dunkle Schatten, den der TUI-Fall über die Rechtssicherheit für Arbeitnehmer und Unternehmen gelegt hatte. Die generelle Bedrohung der Mitbestimmung in Deutschland ist damit allerdings nicht vom Tisch: Der Auftrag an die nächste Regierung lautet: Gesetzliche Schlupflöcher in den deutschen Mitbestimmungsgesetzen müssen geschlossen werden. Keinem Unternehmen mit operativer Basis in Deutschland soll es möglich sein, die europäische Niederlassungsfreiheit zu nutzen, um durch einen Rechtsformwechsel aus der Mitbestimmung auszusteigen.

Ein anspruchsvolles Ziel.

Das wird ein harter politischer Kampf werden. Wir wollen die Mitbestimmung stärker in Europa verankern und gleichzeitig weiterentwickeln. Im TUI-Fall haben wir gelernt, dass es von Anfang an besser ist, den nationalen Gegnern der Mitbestimmung europäisch entgegenzutreten. Deshalb hat die Hans-Böckler-Stiftung ihr europäisches Netzwerk der Rechtsexperten einbezogen und der DGB seinen europäischen Dachverband, den EGB.

Was ist von den Plänen der EU-Kommission zu halten, die Unternehmensmobilität, etwa durch grenzüberschreitende Fusion, Aufspaltung oder Sitzverlegung, stärker als bisher europäisch zu regulieren?

Die EU-Kommission hat gerade zu einer öffentlichen Konsultation aufgerufen, ob und wie grenzüberschreitende Fusionen und Aufspaltungen von Unternehmen europäisch harmonisiert werden sollen. Das ist ihr politisches Ziel. Im TUI-Fall hat EU-Kommissionspräsident Juncker gleichzeitig  das sozialpolitische Ziel herausgestrichen, die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in Europa zu fördern. Es wird nun sehr darauf ankommen, in der konkreten europäischen Gesetzgebung diese beiden Ziele als gleichberechtigt anzuerkennen und zu berücksichtigen.

Was muss hier sichergestellt sein?

Kein Arbeitnehmer darf seine nationalen Mitbestimmungsrechte verlieren, wenn der Sitz des Unternehmens in ein anderes EU-Land mit weniger oder keinen Mitbestimmungsrechten verlegt wird. Das europäische Gesellschaftsrecht muss so fortentwickelt werden, dass es obligatorisch und systematisch Mitbestimmungsrechte vorsieht. Der EGB hat dazu seine Forderungen vorgelegt. Den europäischen Binnenmarkt zu gestalten und gleichzeitig nationale Mitbestimmungsrechte beizubehalten und weiterzuentwickeln, das widerspricht sich nach der Lesart des Generalanwalts am EuGH nicht.

Fotos: Gerichtshof der Europäischen Union,

 

WEITERE INFORMATIONEN

Generalanwalt: Mitbestimmung mit EU-Recht vereinbar

Pressemitteilung EuGH: Schlussantrag des Generanwalts

EuGH-Anhörung: Nagelprobe für die Mitbestimmung

Gefahr für die Mitbestimmung: Die TUI-Klage vor dem EuGH

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